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Stabilitätspakt und Exportstärke: Sparen ist besser als Strafen

In der Politik ist man enttäuscht von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ökonomen verteidigen den deutsch-französischem Kompromiss zu Strafverfahren gegen Defizitsünder.

Berlin - Die Finanzminister mehrerer EU-Mitgliedstaaten klagten am Dienstag, die deutsche Regierungschefin habe ihre harte Linie gegen Haushaltssünder aufgegeben und sich auf einen allzu weichen Kompromiss mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy eingelassen. FDP-Generalsekretär Christian Lindner sah sogar den Euro in Gefahr: „Bei allen sonstigen Fortschritten könnte dieser Kompromiss jetzt zu weich sein, um einen harten Euro zu garantieren“, sagte Lindner am Dienstag.

Die Ökonomen sehen das gelassener. „Das ist kein 1:0 für Frankreich, das ist ein 60:40 für Deutschland", sagt Nicolaus Heinen, Ökonom bei DB Research. Ursprünglich wollte Deutschland ebenso wie die EU-Kommission erreichen, dass ein Land automatisch Strafen zahlen muss, wenn es zu viele Schulden macht. Nun hat sich Frankreich mit seiner Forderung durchgesetzt, dass die Mehrheit der EU-Mitglieder weiter zustimmen muss, bevor ein Land bestraft wird.

Experte Heinen findet das nicht so tragisch. Im Gegenzug habe die Kanzlerin dem französischen Präsidenten seine Zustimmung für wichtige Änderungen im EU-Vertrag abgerungen. Geht es nach dem Willen der beiden Euro-Partner, soll der Vertrag künftig die Möglichkeit vorsehen, dass man Defizitsündern ihr Stimmrecht entzieht, und zwar nicht nur in Finanzfragen, sondern auch bei anderen politischen Entscheidungen. „Damit wäre ein Staat politisch isoliert – und hätte einen umso stärkeren Anreiz, seinen Haushalt wieder in Ordnung zu bringen“, sagt Heinen. Noch wichtiger sei der Plan, eine Insolvenzordnung für Staaten im EU-Vertrag zu verankern. Wenn ein Staat ähnlich wie ein Unternehmen Insolvenz anmelden könnte, müssten nicht länger nur die europäischen Steuerzahler für das Land aufkommen. Auch die Gläubiger, zum Beispiel Banken oder Hedge-Fonds, die dem Staat Geld geliehen haben, müssten dann zumindest auf Teile ihrer Forderungen verzichten – bekämen im Gegenzug aber Verfahrenssicherheit.

Um den Vertrag zu ändern, ist die Zustimmung aller Mitglieder der Währungsunion erforderlich. Einige Länder meldeten am Dienstag bereits Bedenken an. „Die Chancen sind relativ hoch, dass wir eine Insolvenzordnung bekommen, wenn Deutschland und Frankreich sich einig sind“, glaubt Heinen. Schließlich laufe Mitte 2013 der sogenannte Rettungschirm aus, der Euro-Länder mit Finanzproblemen über Kredite und Garantien im Gesamtwert von 750 Milliarden Euro unterstützt. Das Rettungspaket, das die Euro-Länder gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds geschnürt haben, hat im vergangenen Mai dafür gesorgt, dass sich der Euro wieder stabilisierte und Schuldenländer wieder Geld am Kapitalmarkt leihen konnten. Verlängert werden kann der Rettungsschirm in der jetzigen Form nicht, weil er gegen die EU-Regel verstößt, die besagt, dass die Länder sich nicht gegenseitig unterstützen dürfen. „Gibt es bis Mitte 2013 keine Nachfolgeregelung, besteht die Gefahr, dass die Märkte wieder sehr volatil werden“, sagt Heinen.

Auch Roland Döhrn, Konjunkturchef beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), sagt: „Automatische Strafen bringen nicht viel“. Das RWI gehört zu den Wirtschaftsinstituten, die im Auftrag der Regierung die Konjunkturprognose erstellen. In der jüngsten Gemeinschaftsdiagnose hatten die Forscher darauf hingewiesen, dass die hohe Verschuldung vieler Euro-Staaten eine Bedrohung für das Wachstum sei.

RWI-Experte Döhrn hält nicht viel von Sanktionsmechanismen, die automatisch greifen, wenn ein Land die Grenze von drei Prozent des Haushaltsdefizits überschreitet. Es sei nicht tragisch, in der Rezession einmal zu viele Schulden zu machen. Viel wichtiger sei, dass man auch einspare, wenn die Wirtschaft gut läuft. „Was wir brauchen ist eine Finanzpolitik, die einen ausgeglichenen Haushalt über die Konjunkturperiode hinaus vorlegt“, sagt Döhrn. Ein vielversprechender Ansatz sei die deutsche Schuldenbremse, die strukturelle Defizite begrenzen soll, nicht konjunkturelle. „Ein ähnliches Instrument sollten alle Mitgliedsstaaten haben“, findet Döhrn. Steffen Kampeter (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium, betonte am Dienstag, dass der gefundene Kompromiss ausdrücklich vorsehe, dass nationale Regeln von anderen Staaten übernommen werden könnten.

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