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Wirtschaft: Stadt der Bälle

Der offizielle EM-Ball kommt aus China, die Versionen für den deutschen Massenmarkt aus Pakistan. Ein Fabrik-Besuch.

Die Halle könnte unscheinbarer kaum sein, doch hinter den grauen Stahltüren im pakistanischen Sialkot hüten sie Geheimnisse. Hier in der Thermo Bonding Unit von Forward Sports werden die Fußbälle für die kommende Bundesligasaison und das Champions-League-Finale 2013 in Wembley produziert. Einzig der Wachmann in Flecktarn am Eingang gibt einen Hinweis auf das sensible Umfeld. Niemand geht hier raus, ohne kontrolliert worden zu sein. Wenn um 16.30 Uhr die durchdringende Sirene das Arbeitsende signalisiert, werden die Arbeiter durchsucht. Die Identifikation erfolgt per Daumenabdruck. In Schlangen warten die Arbeiter dann. Die Männer links, die Frauen rechts, die danach in Bussen direkt bis nach Hause gefahren werden. Firmenchef Khawaja Masood Akhtar ist stolz auf seine Frauen – oder genauer, wie er mit ihnen umgeht.

Eigentlich wollte er erst gar keine Frauen einstellen, sagt der Mann im weißen Shalwar Kameez, der traditionellen Kombination aus knielangem Hemd und Hose. Er trägt einen gestutzten schwarzen Bart und eine kantige Metallbrille. „Adidas wollte diese Gender-Sache“, sagt er und lacht. Zuerst hat ihn die Forderung des Auftraggebers aus Deutschland etwas unruhig gemacht. Wieder mal so eine Herausforderung – wie zuerst der Umweltschutz, später die Kritik an der Kinderarbeit.

Forward Sports produziert Bälle und neuerdings auch Taschen und Rucksäcke für den Konzern aus Herzogenaurach. 1990 hat Masood eine kleine Firma in der Stadt im Nordosten Pakistans eröffnet. Der Onkel drängte ihn zu dem Schritt, er selbst wollte den elterlichen Betrieb eigentlich gar nicht verlassen, erzählt der 63-Jährige. Vor 18 Jahren stieg Adidas bei ihm ein, inzwischen hat Masood ein beachtliches Areal am Stadtrand mit 2700 Beschäftigten, 550 davon Frauen.

Trotz der politisch angespannten Situation in Pakistan haben seine Auftraggeber den Standort nicht aufgegeben. Masood und seine Kollegen sind sichtlich genervt davon, dass praktisch jeder Pakistan mit Terror gleichsetzt. „Unsere Industrie leidet darunter, dass alle vom Terror reden. Wenn in Wasiristan eine Bombe hochgeht, rufen die Leute gleich an, keiner weiß, wo das liegt.“ Sein größeres Problem aber sind dann doch die neuen Produktionstechniken, die Konkurrenz aus China – und eben die Frauen.

Angetrieben von den Deutschen, entschloss sich Masood trotz Bedenken zu einer Offensivstrategie in dem konservativ geprägten muslimischen Land. Anfangs war allen unwohl bei dem Gedanken, die meisten Angestellten kommen aus armen Familien. Für die meisten war es der erste Job, das erste Mal, dass sie ihr Zuhause verlassen. Eine heikle Situation. Also entschloss sich Masood, die Arbeitsschutzvorschriften nicht ganz so strikt auszulegen. „Wenn sie sich mit einem Schleier verhüllen wollen, sollen sie es tun.“ Auch ein Schleier vor dem Gesicht sei okay. Mit grünen Käppis fürs Haar wie in vielen Fabriken weltweit üblich und ohne weites Gewand wäre wohl keine von ihnen gekommen. „Viele Frauen sind sehr streng, was ihre Religion angeht“, sagt Masood, bevor er selbst zum Mittagsgebet verschwindet.

Er habe gesagt, wenn sich die Frauen über die Männer beschweren würden, flögen die Männer raus. Und so hat er es dann auch gemacht. „Da war ich vielleicht manchmal ungerecht, aber ich musste das Vertrauen der Frauen gewinnen“, sagt Masood. Bald will er auch eine Kinderbetreuung einrichten, damit auch Mütter bei ihm arbeiten können.

Frauen und Männer verdienen bei Forward Sports den gleichen Lohn, versichert Masood. 11 500 Rupien (knapp 100 Euro) im Monat werden ausgezahlt, weitere 1500 Rupien gehen in Sozialversicherungen zum Beispiel für den Krankenhausbesuch und in die Altersvorsorge. Und wer heiratet, bekommt 100 000 Rupien Zuschuss – „für eine Hochzeit“, beeilt sich Masood zu sagen und biegt sich vor Lachen.

Farhat ist eine der Frauen. Sie arbeitet im vorderen Gebäude, wo maschinengenähte Bälle hergestellt werden. Seit acht Uhr morgens sind hier 225 Menschen im Einsatz, mittags hatten sie eine halbe Stunde Pause.

Die 25-Jährige Farhat näht Achteck an Achteck, immer wieder sinkt ihr nackter Fuß aufs Pedal, die schmalen Finger schieben die kleinen Kunststoffteile unter die Nadel der Sun-Star-Maschine. Farhat trägt ein weites, hellblau-rot gemustertes Tuch locker über Haaren und Armen. In Gruppen zu acht nähen sie die Bälle, 35 schaffen sie pro Stunde. 43 Grad sind es draußen, drinnen, unter den Ventilatoren, sind es noch mindestens 35 Grad.

Farhat ist nach der fünften Klasse von der Schule gegangen, sie wohnt noch daheim, erzählt die Frau mit dem schmalen Gesicht. Sie hat von der Stelle durch eine große Anzeige der Firma erfahren. Die Familie habe eingewilligt, dass sie arbeiten geht. „Ich brauche das Geld für meine Familie“, sagt Farhat. Auch ihr jüngerer Bruder arbeitet in der Firma. Sie selbst hat noch nie einen der Bälle ausprobiert. Ihr Chef kann es kaum glauben, als sie verlegen lächelnd sagt: „Ich würde gern mal mit einem spielen.“ Die Frage stelle sich nicht, pakistanische Frauen spielten nicht Ball, hatte er gerade erst noch gesagt. Dann drängt er zum Weitergehen.

Masood selbst hat ein kleines weißes Handtuch dabei, mit dem er sich immer wieder den Schweiß abtupft. Hat er mal über eine Klimaanlage für die Leute nachgedacht? „Unbezahlbar“, sagt er eine Etage höher, wo 1082 Männer und Frauen in einer Halle von der Größe von etwa dreieinhalb Fußballfeldern unter Energiesparlampen im unablässigen Singsang ihrer Nähmaschinen Rucksäcke und Taschen nähen. Nicht ohne Stolz verweist er auf das spezialisolierte Dach aus Vietnam, das die Temperaturen erträglich halte. An einer Tasche arbeiten 25 bis 38 Leute.

Energie ist ein schwieriges Thema in Pakistan. Ständig fällt der Strom aus. Masood schätzt, dass er inzwischen die Hälfte des Stroms mit eigenen Dieselgeneratoren produziert. Eine teure Angelegenheit. Aber ohne Strom läuft nichts.

„Elektrizität ist so teuer, ich tue alles, um sie zu sparen“, sagt er. Gerade erst hat er in die Energiesparlampen investiert, andere haben schon auf noch sparsamere LEDs umgestellt. Das kommt auch bei ihm demnächst, versichert Masood.

Bisher kompensieren die günstigen Arbeitskosten die Ausgaben, merkt ein Mitarbeiter an. Über ihre Produktionskosten wollen sie allerdings nicht näher sprechen.

Inzwischen haben sich Sialkots Firmen zusammengetan, um ein 15-Megawatt-Kohlekraftwerk zu bauen, gemeinsam mit China, sagt Masood. Trotz all der Sonne sei Solarenergie bei ihnen viel zu teuer, wehrt Masood ab. Eventuell würden sie auf günstige Biomasse aus Landwirtschaftsabfällen ausweichen.

Auf die Politik zählen sie bei all ihren Problemen nicht. „Ich wende mich nicht an die Regierung. Wir machen unsere eigenen Sachen und sagen ihnen nur, behindert uns nicht“, sagt Masood. Auch den Trockenhafen, das große Frachtzentrum nebenan, haben sie selbst finanziert, genauso wie den Flughafen. 360 Leute hätten dafür zusammengelegt. Damit Straßen gebaut würden, hätten sie an die Regierung sogar Geld gezahlt.

In den vergangenen Jahren hat sich viel verändert hier in Sialkot. Früher war Sialkot der Nabel der Welt für Fußbälle – handgenähte Fußbälle. 40 Millionen Stück fertigten 5000 Menschen hier jedes Jahr. Dann gab es viel Streit um die Arbeitsbedingungen und Kinderarbeit, die Internationale Arbeitsorganisation und Unicef hätten für sie und die Familien Programme aufgelegt, erzählen Mitarbeiter. Eigentlich will niemand darüber reden, wo denn all die Kinder wirklich geblieben sind. Doch dann sagt einer: „Na ja, in heimischen Firmen arbeiten natürlich Kinder.“ In den schwarz rauchenden Ziegeleien, in Autowerkstätten, in Hotels. Dabei gilt auch in Pakistan eigentlich ein Mindestalter von 14 Jahren. Bei Forward Sports liege das Mindestalter bei 18.

Veränderungen wurden in Sialkot aber auch notwendig, weil die hiesige Spezialität, die handgenähten Bälle, nicht mehr so gefragt sind wie früher. Inzwischen sind thermogeklebte und maschinengenähte Bälle für die Sportgeschäfte und Kaufhäuser interessanter. In den vergangenen drei Jahren haben die pakistanischen Produzenten einen großen Teil des Geschäfts an China verloren. Eine halbe Million Bälle pro Monat, schätzt Masood, der zugibt, dass er zunächst bei den Investitionen für die neuen Produktionen wohl etwas geschlafen hat.

In China wird jetzt auch der „Tango 12“, der offizielle Thermo-Ball für die Europameisterschaft 2012 gefertigt. Hier in Sialkot machen sie die handgenähten Repliken und allerlei abgeleitete Modelle mit dem EM-Design fürs Massengeschäft. „Wir wollen das Geschäft wiederhaben“, sagt Masood kämpferisch. 200 000 hätten sie bereits mit der Maschinennäherei zurückgewonnen, 60 000 über die Thermo-Produktion. Er rechnet sich weiter gute Chancen aus. China habe seine Mindestlöhne in jüngster Zeit massiv angehoben. „Und die Chinesen wollen keine Arbeit mehr machen, die dreckig ist und stinkt.“ In drei bis vier Jahren wolle er das alles wieder hier machen.

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