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Start-ups statt Konzerne: Warum die Anziehungskraft großer Marken immer schwächer wird

Die Zeit des treuen Kunden ist vorbei. Supermarkt-Kunden sind neugierig darauf, neue Produkte auszuprobieren. Konzerne stellt das vor gehörige Probleme.

Wer darauf Wert legt, die Haare mit den Shampoos von der Marke Dove zu waschen, der steht bei der Supermarktkette Kaufland seit einigen Monaten ratlos vor dem Regal. Wenn er dann auch noch Eiscreme von Ben & Jerry’s mag, die Nudeln von Bertolli am leckersten findet und die Deos von Axe als persönliche Duftmarke auserkoren hat, der dürfte das Geschäft schnell wieder wutentbrannt verlassen. Denn keines dieser Produkte gibt es bei Kaufland mehr.

Es sind Marken, die alle zum Konzern Unilever gehören und die teils seit Jahrzehnten zu den konstanten Umsatzbringern des Einzelhandels gehörten. Doch nach einem Streit über die Lieferpreise schmiss Kaufland Ende des vergangenen Jahres kurzerhand alle Unilever-Artikel aus dem Sortiment. Für das eigene Geschäft sind diese großen Marken nicht mehr wichtig, so das Kalkül von Kaufland.

Und diese Rechnung scheint aufzugehen. Die Anziehungskraft von Marken in deutschen Supermärkten hat nachgelassen, den oben beschriebenen Kunden gibt es schon lange nicht mehr. In dieser Woche bestätigte eine Studie des Marktforschungsinstituts Nielsen die Sicht von Kaufland. „Nur jeder zehnte Deutsche ist ein treuer Verbraucher“, heißt es dort.

Lediglich 13 Prozent der Deutschen kaufen demnach „nur selten neue Marken und Produkte“ beim alltäglichen Einkauf. 32 Prozent hingegen lieben es, neue Marken und Produkte im Bereich Haushalt und Lebensmittel auszuprobieren. „Das Neuentdecken gehört für viele mittlerweile zum Einkauf dazu“, fasst Fred Hogen, Handelsexperte bei Nielsen, die Ergebnisse zusammen.

Handelsmarken werden immer beliebter

Die Gründe für die nachlassende Attraktivität etablierter Marken sind vielfältig, doch mindestens drei sind klar zu benennen. Da wären zum einen die Eigenmarken vieler Händler. Egal ob „Gut und Günstig“ und „Ja“ im Billig-Segment oder „Rewe Feine Welt“ und „Edeka Selection“ im hochpreisigeren Bereich – die Supermarktketten bieten inzwischen in fast alle Warengruppen selbst hergestellte und meist günstigere Artikel an.

Gleiches gilt für Drogerieketten von dm („Balea“) und Rossmann („Domol“). Auch Amazon baut die Auswahl von Eigenmarken auf seiner Plattform aus. Allerdings von vielen Kunden unbemerkt, denn bei Marken wie „Lifelong“ (Tierfutter) oder „Presto“ (Drogerieartikel) ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen, dass sie zu Amazon gehören.

Beim Kunden kommen die Handelsmarken gut an. Denn laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Ipsos und der „Lebensmittel Zeitung“ sehen mittlerweile rund zwei Drittel der Verbraucher Markenartikel und Handelsmarken als gleichermaßen vertrauenswürdig und qualitativ hochwertig an. Hartnäckig hält sich auch das Gerücht, dass Marken- und No-Name-Produkte eh aus ein und derselben Fabrik kommen. Das stimmt mitunter, lässt aber außer Acht, dass dennoch unterschiedliche Zutaten und Rezepte etwa für die Bahlsen-Prinzenrolle und ihr jeweiliges Handelsmarkenäquivalent verwendet werden.

Nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) gewinnen die Handelsmarken zudem fast überall Marktanteile: in den Supermärkten ebenso wie in den Drogeriemärkten und den Warenhäusern wie Kaufland. Eine Ausnahme bilden lediglich die Discounter, wo sich bemerkbar macht, dass Aldi immer mehr Produkte von Markenherstellern in seine Regale aufnimmt.

Food-Start-ups sind innovativer und schneller

Ebenfalls problematisch für große Marken ist die wachsende Popularität von Food-Start-ups. Nicht erst seit Fernsehshows wie „Die Höhle der Löwen“, in der junge Unternehmen ihre Ideen präsentieren, wächst die Neugier auf innovative Produkte. Die jungen Gründer greifen neue Trends wie etwa vegane Ernährung schneller auf und schaffen es besser als große Konzerne, ihre Unternehmensphilosophie dem Zeitgeist anzupassen.

Produkte wie die hippen Gewürzmischungen von Ankerkraut, der koffeinhaltige Kakao von Koawach oder das vegane Eis von Lycka gehören inzwischen zum Sortiment zahlreicher Supermärkte. Der Hype um den fleischlosen Burger des US-Start-ups Beyond Meat zeigte jüngst eindrücklich, wie groß der Hunger auf neue Produkte ist.

Immer weniger Kunden achten beim Einkauf auf Marken-Label.
Immer weniger Kunden achten beim Einkauf auf Marken-Label.

© Getty Images/iStockphoto

Dass die Start-ups auf ein solches Interesse stoßen, liegt jedoch auch am dritten Grund für die Krise der Markenprodukte: Die Konzerne haben es jahrelang verschlafen, selbst innovative Produkte auf den Markt zu bringen. Der Innovationsmanager des traditionsreichen Keksherstellers Bahlsen beschrieb dem Wirtschaftsmagazin „Gründerszene“ vor einem Jahr, wie ein neues Produkt in seinem Konzern entwickelt wird.

Demnach sind an jedem neuen Projekt rund zehn Mitarbeiter beteiligt. Jeder Vorschlag durchläuft dabei insgesamt vier Stufen, in denen verschiedene Gremien den Daumen heben oder senken können. Dabei sind Mitarbeiter aus Vertrieb, Controlling, Qualitätsmanagement oder auch der Rechtsabteilung involviert. In dieser Zeit könnte ein Start-up schon zwei Mal pleite gegangen sein, sich neu erfunden und einen Exit hingelegt haben, mag da so mancher Kunde denken. Insgesamt brauche jedes neue Produkt bei Bahlsen tatsächlich rund zwei Jahre Entwicklungszeit. Auf neue Trends könne man daher gar nicht kurzfristig reagieren.

Doch auch wenn ein neues Produkt auf den Markt kommt, ist es nicht unbedingt für jeden als Innovation zu erkennen. Als neueste Kreation von Bahlsen gilt der „Keks’n Cream“ aus dem Jahr 2016, ein Doppelkeks mit Schokoladenfüllung. „Klar, der Konsument wird das nicht als Innovation sehen, sondern als weiteren Sandwich-Keks auf dem Markt“, räumt der Innovationsmanager ein. Doch alle anderen Sandwich-Kekse auf dem deutschen Markt seien rund. „Wir haben uns der Herausforderung gestellt, einen rechteckigen Keks mit einer Creme zu füllen“, erklärt er stolz.

Konzerne investieren in Start-ups

Einige etablierte Marken versuchen indes am Erfolg von Start-ups teilzuhaben und bieten sich als Geldgeber an. So hat zum Beispiel der mit sinkenden Umsätzen kämpfende Marmeladenhersteller Zentis in dieser Woche angekündigt, in Food-Start-ups investieren zu wollen. Auch Unternehmen wie Jägermeister oder Katjes haben eigene Wagniskapitalgesellschaften aufgebaut.

Immer in der Hoffnung, am Erfolg der nächsten großen Marken beteiligt zu sein. Auch Bahlsen geht diesen Weg, indem der Konzern in Berlin einen Co-Working-Space und ab diesem Herbst auch eine Großküche für Food-Start-ups betreibt, um als erstes die neuen Produkttrends mitzubekommen.

Den Supermärkten kann all das egal sein, sie wähnen sich in der komfortablen Situation, nicht mehr von Markenherstellern abhängig zu sein. So gibt Kaufland an, keine Umsatzeinbußen durch die Auslistung von Unilever zu spüren. Den Kunden stehen viele andere Marken und Eigenmarken zur Verfügung, teilt das Unternehmen auf Nachfrage mit. „Nach unseren Erfahrungen sind die Verbraucher nicht zwingend markenaffin, sondern daran interessiert, neue Marken und Produkte auszuprobieren.“

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