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Das Angebot wächst. Auch ohne Kaufprämien bringen deutsche Hersteller zunehmend Elektroautos auf den Markt. Foto: dpa/p-a

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Wirtschaft: Stecken lassen

Elektroautos werden sich auch ohne Anreize durchsetzen, glauben Ökonomen. Die Autolobby protestiert

Berlin - Wenn man dem weltgrößten Chemiekonzern glauben mag, braucht ein Autofahrer nicht viel mehr als den richtigen Lack auf der Karosserie, um seinen Mitmenschen zu zeigen, wie nachhaltig er unterwegs ist. Wer in diesem Herbst „in“ sein wolle, kaufe sich ein weißes oder braunes Auto, sagte ein Sprecher von BASF dieser Tage. „In den Farben spiegelt sich ein ökologisches Bewusstsein wieder.“ Und auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt am Main konnte man bis Sonntag beobachten, dass Privatleute sich mehr für konventionelle PS-Monster interessierten als für die Prototypen der Hybrid- und Elektrofahrzeuge.

Nüchternheit kehrt ein in die Debatte um Elektromobilität. Politik und Wirtschaft diskutieren derzeit weniger über die Rettung des Weltklimas und die Frage, wie man schnell viel Wind- oder Sonnenstrom für Fahrzeugantriebe nutzen kann. Vielmehr wurden dieser Tage Studien veröffentlicht, die stärker nach Kosten und Nutzen fragen. Und die kommen zum Ergebnis: Elektroautos werden sich so oder so durchsetzen – allerdings nicht so schnell und wohl anders, als es die Bundesregierung bisher erwartet und kommuniziert hat. Die gute Nachricht für Steuerzahler lautet: Der Staat muss zumindest kurzfristig keine finanziellen Anreize bieten, damit der Verkehrssektor nach und nach elektrifiziert wird.

Ein Team der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin hat am Dienstag nach fast zwei Jahren Entwicklungsarbeit ein Simulationsmodell vorgestellt, das Entscheidungsträgern helfen soll, den Automarkt zu verstehen und Aussagen darüber zu treffen, welche politische Maßnahme welche Auswirkungen haben könnte. Finanziert hat das Projekt das Bundesumweltministerium. In der Simulation lassen sich Rahmenbedingungen – etwa Marktanreize, Steuern, Subventionen der Infrastruktur, Ölpreise oder Batteriekosten – manipulieren; die Auswirkungen werden sofort grafisch sichtbar. Einen Eindruck von der Software, allerdings ohne die Möglichkeit, an diesen Stellschrauben zu drehen, findet man online unter www.mmem.eu.

Das Modell versucht die Komplexität des Marktes abzubilden: So bezogen die Wirtschaftsforscher etwa ein, dass es verschiedene Kundengruppen gibt: Privatkunden und Betreiber großer Autoflotten. Es gibt Menschen, die über einen Carport verfügen, an dem sie ihr Auto über Nacht an eine Steckdose schließen könnten. In Städten mit vielen Mietshäusern dagegen braucht es eine völlig andere Infrastruktur, öffentliche Ladestellen zum Beispiel. Auch gehen Forscher davon aus, dass Autokäufer auch künftig nicht sehr rational handeln, und etwa bereit wären, viel mehr Geld für ein Auto zu bezahlen, nur aufgrund der Annahme, dass sie langfristig damit Spritkosten sparen.

Unterm Strich tritt Folgendes in der ESMT-Simulation ein, sollten Politiker zwischen Berlin und Brüssel nicht in den Markt eingreifen und lediglich an dem bereits erklärten Ziel festhalten, wonach der CO2-Ausstoß der Neuwagenflotte jedes Herstellers bis zum Jahr 2030 auf 95 Gramm je Kilometer sinken muss: Im Jahr 2020 würden gut 460 000 Autos mit Elektroantrieben über die Straßen rollen.

Damit würde die Bundesregierung ihr Ziel von einer Million Fahrzeuge zwar deutlich verfehlen – wäre aber viel erfolgreicher, als Analysten von Deutsche Bank Research und das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) glauben. Diese gingen in einer vor zwei Wochen veröffentlichten Studie davon aus, dass 2020 nur 100 000 (oder drei Prozent) E-Autos über deutsche Straßen rollen – sofern keine Subventionen gezahlt werden.

Dem ESMT-Modell zufolge würde sich der Markt wie von unsichtbarer Hand gesteuert weiterentwickeln: Bis 2030 wären immerhin sechs Millionen oder 15 Prozent aller Fahrzeuge hierzulande elektronisch unterstützt unterwegs. Reine Elektrofahrzeuge blieben dabei noch Jahrzehnte ein Nischenprodukt, glauben die Berliner Forscher. Die Zukunft gehöre den Plug-In-Hybriden oder Fahrzeugen mit „Range Extender“, einem Reichweitenverlängerer, also einem spritbetriebenem Stromgenerator als Unterstützung.

„Insgesamt geht es ohne Politik gut. Elektromobilität wird sich so oder so für Hersteller und Kunden lohnen“, sagte Projektleiter Michael Holtermann am Dienstag. Er riet der Politik allerdings, ihr Augenmerk auf ein bisher vernachlässigtes Thema zu lenken: Die ausbleibenden Mineralölsteuereinnahmen. Bis 2030 würde nur noch die Hälfte der Spritmenge von heute verkauft werden – auch weil Benziner und Diesel immer effizienter fahren würden. „Als Ersatz einfach die E-Autos zu besteuern, wäre kontraproduktiv“, sagte Holtermann.

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