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Wirtschaft: Steuerreform: "Die Steuersätze müssen früher sinken als 2005" - Hanns-Eberhard Schleyer im Interview

Hanns-Eberhard Schleyer (55) ist seit 1990 Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, der die Interessen von rund 850 000 Betrieben in der Bundesrepublik vertritt. Im Handwerk arbeiten etwa sechs Millionen Beschäftigte, mithin jeder fünfte Erwerbstätige.

Hanns-Eberhard Schleyer (55) ist seit 1990 Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, der die Interessen von rund 850 000 Betrieben in der Bundesrepublik vertritt. Im Handwerk arbeiten etwa sechs Millionen Beschäftigte, mithin jeder fünfte Erwerbstätige. Der Jurist Schleyer war zuvor Rechtsanwalt sowie Staatssekretär unter dem früheren rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel (CDU).

Herr Schleyer, das Handwerk hat sich lange gegen die jüngst verabschiedete Steuerreform gewehrt. Ist alles wirklich so schlimm?

Nein. Das Handwerk kann mit den Nachbesserungen nunmehr leben. Wir haben uns nie gegen eine Reform gewehrt, sondern immer wieder Korrekturbedarf angemeldet und Argumente dafür vorgetragen. Mit dieser Kritik haben wir letztlich Erfolg gehabt. Eine Abflachung des Tarifs bei der Einkommensteuer ist und bleibt der Königsweg, um auch für mittelständische Personenunternehmen die Steuerlast zu senken. Der Spitzensteuersatz sinkt auf 42 Prozent, und die Einkommensgrenze wird auf 104 000 Mark angehoben. Dazu wird für Gewinne aus Betriebsveräußerungen und Betriebsaufgaben einmal im Leben der halbe Steuersatz angesetzt. Das erleichtert auch im Handwerk die notwendige Umstrukturierung.

Noch immer sind Kapital- gegenüber Personengesellschaften stark im Vorteil; auch weiterhin werden die Abstände der Steuersätze recht groß sein. Sind Sie damit zufrieden?

Der Kompromiss im Bundesrat hat einen schalen Beigeschmack - es hätte auch im normalen Vermittlungsverfahren erreicht werden können. Um so wichtiger ist es, dass die Arbeit am Entlastungsgesetz für den Mittelstand nun sachorientiert und offen begonnen wird. Um die steuerliche Gleichbehandlung von Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen zu erreichen, sollten die Verbesserungen am Tarif rascher kommen, nicht erst 2005. Mindestens ebenso wichtig ist es, die Einkommensgrenzen künftig regelmäßig anzupassen. Es ist ein Skandal, dass über Jahrzehnte die Einkommensgrenzen nicht den gewachsenen Einkommen angepasst wurden. Daher kommt heute bereits ein Facharbeiter in die Nähe des Spitzensteuersatzes.

Trotz Ihres lautstarken Klagens über die Steuerreform scheint die Bundesregierung eher ein Ohr für die Sorgen der Industrie zu haben. Woran liegt das?

Auch in der Vergangenheit hatten wir Probleme, die sich aber verschärft haben, seit die neue Regierung im Amt ist. Zwar werden kleine und mittlere Unternehmen gelobt für ihre Beschäftigungs- und Ausbildungsleistung, aber die politischen Entscheidungen benachteiligen den Mittelstand: Die Änderungen bei Lohnfortzahlung und Kündigungsschutz, die 630-Mark-Jobs und die Öko-Steuer. Gerade die ist für uns sehr bürokratieintensiv, und sie hat auch nicht für eine entsprechende Senkung der Lohnnebenkosten gesorgt.

Warum finden VW-Chef Ferdinand Piëch oder der RWE-Vorstandsvorsitzende Dietmar Kuhnt eher Gehör beim Kanzler als der Generalsekretär des deutschen Handwerks?

Vielleicht wegen der systemimmanenten Nähe von Großbetrieben, Gewerkschaften und Sozialdemokraten. Sicher liegt es am Flair der Chefetagen solcher Konzerne, den kleine Betriebe nicht haben. Dafür schaffen sie Arbeitsplätze, die andere abbauen.

Derzeit wird über die Einführung eines Einwanderungsgesetzes diskutiert. Werden Sie wenigstens dazu um Rat gefragt?

Ja, wir möchten auch in der Einwanderungskomission mitarbeiten. Wir fordern schon lange, den Zuzug zu regeln. Eine multikulturelle Gesellschaft würde uns viele notwendige Impulse geben. Die Leistungsfähigkeit der US-Wirtschaft wäre überhaupt nicht vorstellbar ohne die Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte. Deutschland hat sicherlich einen Bedarf von 75 000 bis 100 000 Zuwanderern im Jahr.

Nach welchen Kriterien wollen Sie die Einwanderer denn auswählen?

Die Qualifikation ist wichtig, aber auch die Bereitschaft, sich für die Gesellschaft zu engagieren. Wünschenswert wäre auch eine gewisse regionale Verteilung - die Zuwanderer sollten also aus allen Regionen der Welt kommen.

Warum bilden Sie die Leute nicht selber aus?

Das ist ein demographisches Problem. Wir haben im Handwerk immer mehr unbesetzte Ausbildungsstellen, vor allem im Südwesten. Zudem gibt es immer mehr Jugendliche mit Defiziten beim Lesen, Rechnen oder Schreiben. Was Schule und Elternhaus versäumt haben, kann der Ausbildungsbetrieb nicht mehr nachholen. Außerdem sind viele Handwerksberufe anspruchsvoller geworden - ein Automechaniker ist heute entweder Autoelektroniker oder Autotechniker. Die schulische Ausbildung hat mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten.

Im Bündnis für Arbeit haben Sie ausgehandelt, dass eine Mobilitätsbeihilfe Jugendlichen, etwa aus Ostdeutschland, den Umzug in die alten Bundesländer erleichtern soll.

Richtig. Dieses Problem muss man aber sensibel angehen, damit es nicht heisst, der Osten werde entvölkert. Es ist deshalb nur ein Instrument unter vielen.

Für Jugendliche mit eher praktischen Fähigkeiten soll eine "Ausbildung light" her.

Das ist eine weitere Forderung, der nun mit zwei Modellversuchen entsprochen wird. Wir werden jetzt die entsprechenden Ausbildungsordnungen erarbeiten. Das schließt übrigens nicht aus, dass bei entsprechendem Erfolg die Ausbildung zu einer normalen Lehre erweitert werden kann.

Die Wirtschaftsforscher warnen vor einer Abschwächung der Konjunktur. Kommen auch auf das Handwerk Probleme zu?

Das Wachstum von etwa 2,7 Prozent in diesem Jahr wird im wesentlichen vom Export getragen; beim Handwerk wird es allenfalls zwischen einem und anderthalb Prozent liegen. Das ist aber je nach Branche und Region unterschiedlich. In Süd- und Südwestdeutschland profitieren einige Betriebe vom Exportboom, etwa die Zulieferer der Automobilindustrie. Beim Bau sieht man zwar Licht am Ende des Tunnels, besonders im Westen, aber das Niveau ist sehr niedrig. Im Osten sieht es noch dramatisch aus.

Das Handwerk ist auf das Inland konzentriert. Warum spielt der Export keine Rolle?

Die Zahl der exportierenden Betriebe hat sich in den vergangenen zehn Jahren auf rund 70 000 verdoppelt. Das ist aber immer noch zu wenig. Deshalb entwickeln wir gerade ein Konzept zur Außenwirtschaftsförderung. Auch in puncto Kooperationen wandelt sich viel. Handwerker müssen branchenübergreifend zusammen arbeiten und Systemlösungen anbieten, wenn sie größere Kunden anziehen und über die Region hinaus anbieten wollen. Zur Expo hat das schon funktioniert - eine Arbeitsgemeinschaft des Handwerks hat den gesamten Themenpark für 300 Millionen Mark gebaut.

Nutzen die Handwerksbetriebe die Möglichkeiten des Internet?

Natürlich. Das Internet wird auch im Handwerk zur Selbstverständlichkeit. Es hilft, größenbedingte Nachteile zu lösen: Die Einkaufsmärkte werden transparenter, Kooperationspartner lassen sich leichter finden, die Arbeitsorganisation wird einfacher. Auch die Nachfrage wird zunehmend über das Internet abgewickelt. Wir unterstützen die Betriebe durch die Entwicklung eines Portals "handwerk.de", von dem alle 850 000 Handwerksbetriebe profitieren sollen. Es soll Kooperationen ermöglichen, die Beschaffung erleichtern, Betriebsdatenbanken und Ausbildungsbörsen enthalten.

Bei der Modernisierung der Handwerksordnung geben Sie sich weniger progressiv. Wäre es nicht an der Zeit, den Meisterbrief abzuschaffen und auch Gesellen zu erlauben, einen Betrieb zu gründen?

Nein, dank des Meisterbriefs ist das Handwerk sehr leistungsfähig und hat anders als andere Wirtschaftsbereiche in den vergangenen 15 Jahren zwei Millionen Jobs geschaffen. Dank der Handwerksordnung gehen Unternehmen seltener in Konkurs, weil die angehenden Meister etwas über Betriebsführung lernen. Und auch die Lehrlingsausbildung wäre in dieser Größenordnung nicht vorstellbar.

Warum nicht?

Das Handwerk bildet 40 Prozent aller Lehrlinge aus, doppelt so viele, wie wir eigentlich benötigen. Ohne den Meisterbrief läge diese Rate weitaus niedriger. Außerdem werden Arbeitsabläufe immer komplexer, und Qualitätssiegel wie der Meisterbrief helfen dem Verbraucher, gute von weniger guten Betrieben zu unterscheiden.

Der Kunde muss also vor dem Markt geschützt werden?

Natürlich kann man sagen, der Markt soll es richten. Aber wir sind mit dem System bislang gut gefahren - bei den Jobs, bei den Insolvenzen und beim Thema Ausbildung.

In wenigen Jahren steht die EU-Osterweiterung an. Haben Sie vor der zunehmenden Konkurrenz aus dem Osten Angst?

Nein, das Handwerk hat immer für die Osterweiterung plädiert. Der Beitritt der neuen Länder kann aber nur unter bestimmten Bedingungen geschehen. Erstens müssen die Rahmenbedingungen dort noch den europäischen Standards angepasst werden. Und zweitens brauchen wir Übergangsfristen, was die Freizügigkeit der Niederlassungen und der Arbeitnehmer betrifft.

Noch immer fehlen Milliarden im Entschädigungsfonds für die NS-Zwangsarbeiter. Hat sich das Handwerk beteiligt?

Wir haben gemeinsam an die Betriebe appeliert, sich am Fonds zu beteiligen. Auch im Handwerk waren Zwangsarbeiter beschäftigt. Es gibt unterschiedliche Reaktionen, negative wie positive. Ich persönlich meine, dass wir eine gemeinsame Verantwortung haben, und dass sich das Geschehene nicht wiederholen darf. Auch deshalb halte ich es für wichtig, dass wir ein Zeichen setzen und den vereinbarten Beitrag leisten.

Herr Schleyer[das Handwerk hat sich lange gegen d]

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