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Stimmen-Manipulation und Dienstreisen-Skandal: Kein Ende der Krise bei ADAC

Gefälschte Zahlen, Dienstreisen im Hubschrauber und Aufklärung nur scheibchenweise. Der ADAC steckt tief in der Krise. Es scheint, als sei kein Ende absehbar.

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Am Ende dieser Woche, als viele dachten, dass es schlimmer kaum mehr kommen könne, passiert genau das. Es kommt noch schlimmer.

Am Freitag bestätigt der Allgemeine Deutsche Automobil-Club ADAC, dass sein Präsident Peter Meyer, aber auch andere Mitglieder des Präsidiums, in den vergangenen Jahren die gelben Hubschrauber der Luftrettung für dienstliche Flüge genutzt haben. „Es geht um weniger als 30 Termine in den vergangenen zehn Jahren“, versucht eine Sprecherin schleunigst zu beschwichtigen. „Es handelt sich nicht um ein Privatvergnügen von Herrn Meyer.“ Die Flüge seien nur Ausnahmen in dringenden Fällen gewesen und ordnungsgemäß abgerechnet worden.

Doch da ist es schon passiert.

Die Nachricht des Freitags ist der vorläufige Tiefpunkt der tiefsten Krise, in der der ADAC je steckte. Betroffen ist – rein rechnerisch – jeder vierte Bundesbürger. 19 Millionen Mitglieder hat der größte Verein Europas. Eine Basis, die Macht und Einfluss verleiht. Die aber genauso gut ihr Vertrauen entziehen kann. Seine Macht hat der ADAC selbstbewusst in den vergangenen Jahrzehnten dokumentiert. Wie er mit dem Verlust seiner Vertrauensbasis und Glaubwürdigkeit umgeht, lässt sich dieser Tage beobachten. Schlecht.

Der inzwischen zurückgetretene Kommunikationschef Michael Ramstetter hatte die Abstimmungen zum Preis für das vermeintlich beliebteste Auto der Deutschen („Gelber Engel“) manipuliert, indem er die magere Teilnehmerzahl einfach verzehnfachte. Auch in den Vorjahren soll nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Ramstetters selbstherrliches Auftreten, über das Mitarbeiter klagten, weckt nun den Verdacht, dass noch mehr im Argen liegt. Womöglich wurde selbst an den bislang über jeden Zweifel erhabenen ADAC-Tests getrickst.

Bangen um den Vereinsstatus

Auch auf die zahlreichen Geschäfte des Clubs fällt ein Schatten. Die Staatsanwaltschaft München untersucht die Vorgänge inzwischen. Der Autoclub, der mit seinen 31 Tochterfirmen rund eine Milliarde Euro umsetzt, muss um seinen Vereinsstatus bangen. Das Ansehen und die Glaubwürdigkeit des ADAC leiden schwer – jeden Tag ein wenig mehr.

Es ist deswegen kein Wunder, dass die Mitarbeiter in der Münchner ADAC-Zentrale nicht das geringste Interesse haben, über die vergangenen Tage zu sprechen. Über Rolltreppen und Aufzüge strömen sie am Ende dieser Woche ins Atrium des großen Gebäudes in der Hansastraße. Es ist Mittagszeit und alles sieht aus, als sei dies ein ganz normaler Arbeitstag, eine ganz normale Pause. Doch das täuscht. Normal ist hier gar nichts mehr. „Kein Kommentar“, heißt es überall. Was sollen sie auch sagen, wenn sich nicht mal die Chefs auf eine gemeinsame Linie der Rechtfertigung einigen können.

Denn inzwischen gibt es auch Zweifel an der Darstellung des ADAC-Geschäftsführers Karl Obermair, er habe von den Manipulationen seines Kommunikationschefs zu der Preisverleihung des „Gelben Engel“ nichts gewusst. Aussagen von ADAC-Präsident Peter Meyer kollidieren mit denen Obermairs. Hätte der Autoclub aber die Preisverleihung Mitte vergangener Woche im Wissen um die falschen Zahlen wie geplant veranstaltet, stünden auch die prominenten Preisträger, allen voran VW-Chef Martin Winterkorn, dumm da. VW kündigte schon an, mit dem „Gelben Engel“ nicht mehr werben zu wollen. Der Autobauer wird es verkraften, denn der Verkaufsschlager VW Golf hat die Auszeichnung „Beliebtestes Auto der Deutschen“ eigentlich nicht mehr nötig.

Entsprechend irritiert ist man auch in Wolfsburg. „Mich wundert, dass ein Autoclub, der die höchste Glaubwürdigkeit genießt, diese so aufs Spiel setzt“, sagte VW-Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh diese Woche. „Man zieht ja jetzt alles in Zweifel.“ Auf die Münchner Autolobby ist man derzeit nirgendwo in der Autoindustrie gut zu sprechen. Der ebenso einflussreiche Autoverband VDA sagt vorsichtshalber nichts. Richtig eng war die Verbindung zwischen VDA-Präsident Matthias Wissmann und ADAC-Chef Meyer ohnehin nie.

Glauben an die Unfehlbarkeit des „Idealvereins“

Einer, der von Berufs wegen reden muss, ist ADAC-Pressesprecher Andreas Hölzel. Er hat die Austritte der vergangenen Tage angeblich nicht gezählt. „Aber“, sagt er, „die Mitarbeiter in der Beschwerdestelle haben alle Hände voll zu tun.“ Andreas Hölzel erzählt von wüsten Attacken und jeder Menge Kritik. Mitglieder rufen an, schreiben Briefe, SMS oder E-Mails. Im Internet läuft das, was inzwischen gemeinhin als „Shitstorm“ bekannt ist. „Klar“, sagt Hölzel, „das kann ich nicht beschönigen, da muss man eben durch.“ Aber wie?

Eine schnelle Antwort wird der Club, der sonst auf (fast) alle Fragen Antworten parat hat, wohl nicht finden. Ist der Ruf einer Institution wie des ADAC erst einmal ruiniert, helfen keine Pressemitteilungen mehr.

Pannenhilfe, Lebensrettung, Autos, Versicherungen, Kindersitze, Winterreifen, Reisen – der ADAC beschäftigt sich mit so vielen Dingen und Dienstleistungen, dass mancher den Überblick verliert. Die Mitglieder, die Öffentlichkeit, die gesamte Autofahrernation verbindet eine Art Glauben an die Unfehlbarkeit des „Idealvereins“, wie der seit 2001 amtierende Präsident Peter Meyer den ADAC nennt.

Seine Geschichte liest sich wie die Liebesgeschichte der Deutschen zu ihrem Automobil. Dabei fing alles auf zwei Rädern an, vor 111 Jahren. Am 24. Mai 1903 wurde die „Deutsche Motorradfahrer-Vereinigung“ im Hotel Silber in Stuttgart gegründet. Erst acht Jahre später nannte man den Verein „Allgemeiner Deutscher Automobil-Club“. Vor allem nach der Neugründung 1946 ging es bergauf: Mit dem Siegeszug des Autos gewann auch der ADAC an Einfluss und Ansehen im Wirtschaftswunderland.

90 Prozent steuerfreie Einnahmen - das kommt manchen komisch vor

Der Club zeigte vor allem seit den 70er Jahren, wohin die Reise verkehrspolitisch nach seinen Vorstellungen gehen sollte. Der Slogan „Freie Bürger fordern freie Fahrt“, mit dem sich der ADAC nach der Ölkrise 1974 gegen ein Tempolimit einsetzte, wurde zum geflügelten Wort. Diese radikale Pro-Auto-Politik provozierte auch prominente Kritik. Der Schriftsteller Günter Grass gehörte 1989 zu den Unterzeichnern eines Aufrufs („ADAC ade“), der zum Austritt aus dem Autoclub aufforderte. Grass und andere rügten den Missbrauch des Begriffs Freiheit und die Anstiftung zu „gemeingefährlicher Raserei“. Das Wachstum des ADAC hielten solche Aktionen nicht auf. Stets fand der Autoverein genügend Anlässe, um sich als mächtiger Lobbyverband einzumischen: Gurtpflicht, Rußpartikelfilter, E10, Pkw-Maut.

Die Arbeit der politischen ADAC-Einflüsterer in der Bundeshauptstadt wird in der Repräsentanz Unter den Linden 36 koordiniert. Geleitet wird das feine „Präsidialbüro“ von einer Frau: Monica Berg. Das wäre nicht der Rede wert, wenn der ADAC nicht ein Club wäre, dessen Männerbünde gerade mit einem besonders schwerwiegenden Aufsichtsproblem zu kämpfen hätten. „Wir sind ein männlich geprägter Verein“, sagt auch Sprecher Hölzel, der froh ist, mal Statistiken ausbreiten zu können neben der dieser Tage zwingenden Floskel: „Aus Fehlern müssen wir lernen.“

Ähnliches hatte Präsident Peter Meyer den Mitgliedern des Clubs bereits am Donnerstag schon versprochen. In einer Mitteilung, die auch auf der Facebook-Seite des ADAC fleißig kommentiert wurde, heißt es: „Was ich als Präsident aus der Kritik der letzten Tage ableite, ist ein Arbeitsauftrag, der ganz klar in Richtung mehr Transparenz, bessere Nachvollziehbarkeit von öffentlichen Aussagen und direktere Mitgliedereinbindung geht.“

Dann kam die Sache mit den Hubschraubern. Dass die ehrenamtlichen Mitglieder des ADAC-Präsidiums, obwohl sie einem Automobilclub vorsitzen, nicht über Dienstwagen verfügen, sie also mit dem eigenen Auto, mit Flugzeug oder Bahn reisen sollten – oder mit den Hubschraubern. Letzteres allerdings laut Statuten des Clubs nur in „begründeten Ausnahmefällen“.

Hubschrauber aus dem Reservebestand

Jene Hubschrauber, die das Präsidium nutzte, stammen aus dem Reservebestand des Clubs. Insgesamt hat der ADAC 51 Hubschrauber an 36 Stationen im Einsatz, 15 in Reserve. Rettungsflüge werden normalerweise aus Bundesmitteln, Krankenkassenbeiträgen, von den Mitgliedern und durch Spenden finanziert. Die Rechnungen für die nun bekannt gewordenen Flüge seien aber an den Club gegangen – und demnach nicht mit öffentlichen Geldern beglichen worden.

Dass auf den jüngsten Skandal nun noch weitere folgen könnten, zeichnet sich bereits ab. Ausgerechnet in dieser Woche kam auch ans Licht, dass Deutschlands größter Verein kaum Steuern zahlt, was bei anderen Vereinen ähnlicher Größe und mittlerweile selbst in der Bundespolitik für Aufsehen sorgt. Konkret geht es darum, auf welchen Anteil seiner Mitgliedsbeiträge der Club Steuern, also Umsatzsteuern, bezahlt. Der ADAC beziffert diese Summe für 2013 mit 11,3 Millionen Euro, was gerade einmal ein Prozent der Gesamteinnahmen von gut einer Milliarde Euro sind. Also ziemlich wenig, zumal für einen Betrieb dieser Größe.

Geschummelt hat der ADAC bei der Steuerberechnung wohl nicht. Der Verein selbst gibt an, seine Steuerlast beziehe sich auf rund zehn Prozent der Einnahmen, 90 Prozent bleiben steuerfrei. So sei das mit den Steuerbehörden in München und anderen deutschen Finanzbehörden abgesprochen.

Die Vereinbarung ist dabei auch nicht das Problem. Denn geschätzt wird bei allen Vereinen in Deutschland, wie groß der Anteil von sogenannten „echten“ und „unechten“ Mitgliedsbeiträgen ist. Nur echte Mitgliedsbeiträge nämlich sind steuerfrei, unechten dagegen steht eine Leistung des Vereins gegenüber, im Fall des ADAC also die kostenlose Pannenhilfe, Verkehrsinformationen oder auch das ADAC-Magazin. Weil das aber sogenannte gewerbliche Leistungen sind, muss der Verein die Beiträge in dem Umfang versteuern. Beim ADAC sollen die Leistungen nur zehn Prozent ausmachen.

Steuersystem unter die Lupe nehmen

„Das Gefühl sagt einem, dass das nicht stimmen kann“, erklärt nun unter anderem der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lothar Binding, und will die ADAC-Besteuerung in zwei Wochen sogar auf die Tagesordnung der Beratungen seiner Fraktion setzen lassen. Vermutungen, dass die bayerischen Steuerbehörden bei dem berühmten und politisch weit vernetzten Verein die Steuerlast absichtlich zugunsten des ADAC geschätzt haben, will sich Binding zwar nicht anschließen, wenn ihm auch das Verhältnis 10/90 ein wenig komisch vorkommt. Weshalb er das Bundesfinanzministerium auffordert, eine Untersuchung der Sache anzuregen. „Das System des ADAC“, sagt Binding, „muss genauer unter die Lupe genommen werden.“

Allein an einer Baustelle wird der ADAC wohl erst einmal Ruhe haben. Die Stiftung Warentest will an der Kooperation mit dem Club trotz aller Skandale festhalten. „Wir haben keine Veranlassung, an den Gemeinschaftstests zu zweifeln“, sagte Stiftungsvorstand Hubertus Primus. Die Verbraucherschützer lassen Reifen und auch Kindersitze beim Autoclub testen. Zweifel an der Seriosität auch dieser Untersuchungen weist die Stiftung weit von sich. „Die Untersuchungen werden laufend von uns überprüft und nach unseren Kriterien durchgeführt“, betont Primus. Dazu gehöre etwa, dass die Produkte verdeckt eingekauft werden. Betrug wie beim Autopreis „Gelber Engel“ werde so schon im Keim erstickt. Das ist wichtig, denn auch die Stiftung Warentest kämpft nach einem Rechtsstreit mit dem Schokoladenhersteller Ritter Sport um ihr Ansehen.

Mitarbeit Patrick Guyton, Heike Jahberg

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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