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In Italien kommt es immer wieder zu Gewalt unzufriedener Arbeiter.

© picture alliance / dpa

Stimmung in Italien: „Wir haben die Schnauze voll“

Viele Italiener sind zufrieden mit ihrer populistischen Regierung. Schlimmer kann es ohnehin nicht mehr kommen, sagen sie.

Im Cafè „A Tavolo“ am gutbürgerlichen Mailänder Corso Vercelli laufen gerade die Bilder des eben verstorbenen Gilberto Benetton über den Bildschirm. Doch kaum jemand schaut hin. Die Gäste sitzen beim Cappuccino und unterhalten sich oder schauen in ihre Smartphones.

Zusammen mit seinen beiden Brüdern und seiner Schwester hatte Gilberto seit Mitte der 60er Jahre aus kleinen Anfängen einen Textilkonzern mit Weltgeltung geschaffen. Die bunten Pullover eroberten die Welt. Später diversifizierte die Familie und schmiedete einen großen Infrastrukturkonzern, zu dem auch Autobahnen gehören. Doch der gute Ruf der Familie hat unter dem Einsturz der Autobahnbrücke in Genua gelitten, obwohl immer noch nicht klar ist, wer die Verantwortung dafür trägt. In den sozialen Medien wird der Tod des Unternehmers mit viel Häme kommentiert.

Gilberto war einer der letzten großen Unternehmerpersönlichkeiten, von denen das Land einst so viele hatte. Carlo de Benedetti, Verlagschef und Boss des Computerherstellers Olivetti gehörte dazu, auch Gianni Agnelli, mächtiger Fiat-Boss oder Pietro und Michele Ferrero (Nutella), der in der piemontesischen Provinz einen Lebensmittelriesen aufbaute.

Die Bürger sind vermögend, der Staat marode

Viele dieser Unternehmer sind tot, andere, wie De Benedetti oder Giorgio Armani sind weit über 80. Wieder andere haben verkauft. Versace ging gerade an Michael Kors, Magneti Marelli an den US-Fonds KKR. Gucci, der Energiekonzern Edison oder der Lebensmittelriese Parmalat sind schon länger in ausländischer Hand. Viele andere der vielen tausend Familienunternehmen des Landes stehen vor einem Generationswechsel. Neue Unternehmer kommen kaum nach. „Das Interesse ausländischer Käufer ist riesig“, berichtet der Vertreter einer renommierten Mailänder Wirtschaftskanzlei.

Italien ist die zweitgrößte Industriemacht in Europa, extrem stark diversifiziert, von Pharma, über Maschinenbau bis hin zu Automobilbau, Lebensmittel und Mode – und sehr exportstark. Individuell sind die Italiener deutlich vermögender als die Deutschen. Doch der Staat ist marode. Steuern werden in großem Umfang hinterzogen und die Schwarzarbeit blüht nach wie vor. Die alten Parteien sind schon in den 90er-Jahren im Mafia- und Korruptionssumpf versunken und auch Silvio Berlusconi sowie Hoffnungsträger Matteo Renzi sind gescheitert.

Die Opposition spielt keine Rolle mehr

Nun reagiert eine Populistenallianz aus der rechtsnationalen Lega und der Fünf-Sterne-Allianz, die sich nicht schert um den höchsten Schuldenstand der EU nach Griechenland und munter weiter Schulden machen will. Die EU droht mit dem Einleiten eines Verfahrens, die Märkte spekulieren gegen Italien, aber die meisten Menschen stört das nicht.

„Wir haben die Schnauze voll. Die früheren Regierungen haben uns doch für dumm verkauft, die Steuern erhöht und trotzdem noch Schulden angehäuft. Jetzt sollen es die mal probieren. Schlimmer kann es ja nicht werden“, sagt Zeitungshändler Piero. Selbst eingefleischte Linke wie Franco aus Lecco am Comer See hegen heimlich Bewunderung für den hemdsärmeligen Lega-Chef Matteo Salvini, der den Märkten, Bürokraten und der EU den Kampf angesagt hat und gern mit Zitaten des Ex-Diktators Benito Mussolini provoziert.

In Umfragen kommt die Lega auf 34 Prozent, der Regierungspartner immerhin noch auf 28 Prozent. Die Opposition spielt praktisch keine Rolle mehr. Für alle Kleinunternehmer aus dem Norden, die unter der Steuerlast ächzen und Hauptnutznießer der Flat Tax mit nur noch zwei Steuersätzen sind, wählen die Lega. Die Regierungspartner glauben, mit der Herabsetzung des Rentenalters auf 62 Jahre neue Jobs für die vielen jungen Arbeitslosen des Landes – die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei fast 30 Prozent – zu schaffen. Und mit einem Bürgereinkommen von 780 Euro im Monat für Arme punktet die Fünf-Sterne-Bewegung vor allem im wirtschaftlich abgehängten Süden des Landes.

"Wir leben über unsere Verhältnisse"

Dass das Land sich all das nicht leisten kann und die Schulden weiter wachsen, die Zinsen für Staatsanleihen steigen und die Konjunktur zunehmend schlecht läuft: Das interessiert kaum jemanden. Schuld an allem sind das „Establishment“, Spekulanten und die EU.

Pino aus Genua, der noch mit 70 jeden Tag in sein Büro in einer Versicherung fährt, ist einer der wenigen, die die Entwicklung kritischer sehen. „Wir leben seit Jahrzehnten über unsere Verhältnisse“, sagt der rüstige Berufstätige, der in seiner Freizeit aus den Mandarinen und Orangen seines Gartens einen leckeren Likör herstellt. Allerdings: Auch seine beiden Söhne hangeln sich trotz Studium mit Gelegenheitsjobs durchs Leben, die ihnen vielleicht 600 bis 800 Euro pro Monat einbringen. Wie so viele der unter 40-Jährigen leben sie bei den Eltern, die zum Glück mehrere Eigentumswohnungen haben, die sie an Touristen vermieten.

Der alte Schlendrian geht weiter. Statt in neue Autobahnen, Schienenstrecken oder Schulen zu investieren, enthält der Haushalt vor allem konsumtive Ausgaben. Die Trümmer der Genueser Eisenbahnbrücke liegen nach wie vor im Flussbett des Polcevera. Und der Hafen von Genua, der größte des Landes und wichtigster Arbeitgeber der Stadt, beklagt hohe Verluste. Aber das ist kein Thema in der Bar am Corso Vercelli.

Gerhard Bläske

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