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Wirtschaft: Stockholm übt sich im Balanceakt

Das Land würde die EWU-Kriterienweitgehend erfüllen/Die Anti-Europa-Stimmung in der Bevölkerung aberbremst die RegierungVON JÖRGEN DETLEFSEN, STOCKHOLMEs wird ernst auf dem Weg zurWährungsunion.Aber wie überzeugt sind unsere Nachbarn von der IdeeEuropa wirklich?

Das Land würde die EWU-Kriterienweitgehend erfüllen/Die Anti-Europa-Stimmung in der Bevölkerung aberbremst die RegierungVON JÖRGEN DETLEFSEN, STOCKHOLM

Es wird ernst auf dem Weg zurWährungsunion.Aber wie überzeugt sind unsere Nachbarn von der IdeeEuropa wirklich? Unsere Korrespondenten zeichnen ein Stimmungsbild.Eserscheint paradox: Schweden hofft, die Konvergenzkritierien derEuropäischen Währungsunion (EWU) erfüllen zu können.Dennochbefürwortet die Regierung in Stockholm bislang nicht die Mitwirkung an derdritten Phase der EWU, sogar der - mögliche - Beitritt zum EuropäischenWechselkurssystem (EWS) steht noch aus.Der Grund: Weder in derBevölkerung noch im Stockholmer Reichstag gibt es derzeit eine Mehrheitfür die EWU.Der sozialdemokratische Ministerpräsident Goeran Persson hebt hervor,derzeit würde es bei einem Referendum über die EWU ein "donnernendesNein" geben, laut Umfragen von 54 Prozent.Gar 62 Prozent der Wähler sindheute gegen die Mitgliedschaft in der EU.Der Sinneswandel seit demerfolgreichen Referendum von 1994 zum EU-Beitritt ist auf die Enttäuschungzurückzuführen.Statt des erhofften Rückgangs liegt die Arbeitslosigkeitbei einer Rekordhöhe von 12,7 Prozent.Auf Kritik, ihre EWU-konforme Sparpolitik sei schuld an der Misere,entgegnet die Regierung, die EWU sei Voraussetzung für einen Aufschwung.Die Sanierung wäre ohnehin nötig gewesen.Die Haushaltslage sei besserals in den meisten anderen EU-Ländern, "besser als Deutschland".Schwedensei auf dem bestem Wege, die Maastricht-Konvergenzkritierien zu erfüllen:Das diesjährige Haushaltsdefizit von 2,5 Prozent - allerdings aufgebessertdurch Rentenfondsreserven - unterschreitet die EWU-Grenze von 3 Prozent; indem einstigen Hochinflationsland wird 1997 nur noch eine Teuerungsrate von1,5 Prozent erwartet; der langfristige Zinssatz ist auf 6,7 Prozentgesunken.Hinsichtlich der Staatsverschuldung von 78 Prozent baut Stockholmdarauf, daß die EU das Sinken in Richtung der festgelegten 60 Prozenthonorieren werde; und bezüglich der frei floatende Schwedenkrone vertrittes die - von Bonn allerdings verworfene - Auslegung der MaastrichterVerträge, daß der feste Kurs gegenüber den anderen EU-Währungenausreiche.Dennoch setzt die schwedische Regierung auf Abwarten.Angesichts dernegativen Stimmungslage im Lande hält Persson es bislang für nichtopportun, den Appellen von Unternehmern und einflußreichenGewerkschaftsführern zu folgen, klar für die EWU Stellung zu beziehen.Ebensowenig entspricht er der Empfehlung von Reichsbankchef UrbanBaeckstroems, die EWU-Vorentscheidung durch die Einbindung derSchwedenkrone in das Europäische Währungssystem (EWS) zu treffen.Das Zögern Perssons hat auch mit Deutschland zu tun.Das Auf-beziehungsweise Überholen des großen Nachbarn im Süden, an dem Schwedensich ständig mißt, hat keine Triumphgefühle ausgelöst, eher Besorgnis;denn Schweden ist abhängig von der Zugkraft der deutschen "Lokomotive".Deren Erlahmen und die Stagnation der Inlandsnachfrage tragen dazu bei,daß das in diesem Jahr erwartete Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von2,2 Prozent hinter dem EU-Durchschnitt zurückbleibt.Ihr Ziel, dieArbeitslosigkeit mit Hilfe von Ankurbelungsprogrammen und Erleichterungenfür die Arbeitgeber wie liberalisiertes Arbeitsrecht bis zurJahrtausendwende zu halbieren, dürfte die Regierung verfehlen.Das verstärkt nun die Forderung der EWU-Gegner nach einer Rückkehr zum"schwedischem Modell".Der Ministerpräsident sah sich veranlaßt, die"mangelnde nationale Kontrolle" der künftigen und "sehr mächtigen"Europäischen Zentralbank zu anzuprangern.Durch eine überstaatlichdiktierte Finanz- und Steuerpolitik würde die EU sich zu einer Föderationentwickeln, für die die Schweden nicht gestimmt hätten.Die "politischenund wirtschaftlichen Eliten" dürften den Bevölkerungen die EWU nichtaufzwingen.Damit ist in erster Linie Deutschland gemeint, das erallerdings zugleich immer wieder als wichtigsten Alliierten in der EUbezeichnet.Wegen der zwiespältigen Signale des Regierungs- und sozialdemokratischenParteichefs ist ein Pro-EWU-Votum auf dem Parteitag im kommenden Herbstfraglich; schon im Juni muß er seine Empfehlung abgeben.Im Reichstag, derschließlich das letzte Wort hat, treten nur die Konservativen eindeutigfür die EWU ein.Die Tatsache, daß Deutschland Probleme mit derErfüllung der EWU-Kriterien hat, könnte, so offensichtlich dieSpekulation Perssons, zu einer Verzögerung führen.Nach einer Wartezeitließen sich seine Landsleute womöglich für das Projekt gewinnen.INSTOCKHOLM setzt die Regierung auf Zeit - und hofft auf eine Verschiebungder EWU.

JÖRGEN DETLEFSEN[STOCKHOLM]

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