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Olaf Scholz hält eine komplette Übernahme des Risikos der Coronakredite nicht für möglich.

© DAVIDS/Sven Darmer

Streit um Corona-Darlehen: Warum die Wirtschaft fordert, dass der Staat 100 Prozent des Kreditrisikos trägt

Nur 10 Prozent des Risikos tragen die Banken. Doch deren Prüfverfahren verzögern die Auszahlung. Das Problem stürzt Politik und Verbände in ein Dilemma.

Seit Tagen warnt DIHK-Präsident Eric Schweitzer vor einer drohenden Pleitewelle von Mittelständlern, weil die Corona-Krise vielen Firmen einen kompletten Einbruch ihres Umsatzes eingebrockt hat. Doch auch wenn die Politik in Rekordzeit Hilfspakete in dreistelliger Milliardenhöhe aufgelegt hat: Es gibt bereits eine erbitterte Debatte, ob das ausreicht.

Denn der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Mittelstandsverband BVMW beklagen, dass etwa die bereit gestellten Kredite oft nicht bei den Betroffenen ankämen. Hauptstreitpunkt ist dabei die Regelung, dass der Bund bis zu 90 Prozent der Haftung für Kredite über die staatliche Förderbank KfW übernimmt. Das klingt nach viel. Aber Schweitzer fordert eine 100-prozentige Abdeckung, weil die Hausbanken ansonsten bei der Kreditvergabe zögerten.

Die Frage stürzt alle Beteiligten ins Dilemma. Die Banken wehrten sich am Montag prompt gegen den Vorwurf, sie seien Schuld an einer Verschleppung der Kreditausgabe. Denn sie müssten nun einmal die Bonität der Firmen prüfen und damit die staatlichen Vorgaben beachten, betonte etwa der Bankenverband BdB. Schließlich müssen sie bei Krediten an kleinere Unternehmen zehn Prozent des Risikos übernehmen, bei größeren Firmen 20 Prozent.

Ist eine vollständige Risikoübernahme möglich?

Großzügigkeit zu eigenen Lasten könnten sich viele Kreditinstitute derzeit auch gar nicht leisten. Einerseits fordert die Europäische Zentralbank von Privatbanken, wegen der Corona-Krise keine Dividenden mehr auszuzahlen. Andererseits sollen die Banken Kredite nur durchwinken und dabei selbst einen Haftungsanteil übernehmen? Das wird auch in der Bundesregierung als Problem eingeräumt.

"Natürlich müssen wir als Bank bei Finanzierungsanfragen eine individuelle Risikoprüfung vornehmen und jeweils entscheiden, ob ein Geschäftsmodell nachhaltig tragfähig ist", hatte deshalb etwa die Commerzbank vor wenigen Tagen betont. Der deutsche Sparkassenverband DSGV teilte ebenfalls mit: "Teilweise sind Kreditvergaben ohne eine vollständige Risikoübernahme durch den Staat nicht möglich."

Bundesregierung zeigt nach Brüssel

Auch der Förderbank KfW ist unwohl. Sie ist zwar ein zentrales Instrumente, um schnell Hilfe zu organisieren. Aber auch die Förderbank steckt dabei in der Zwickmühle - und verweist darauf, dass man eine "Verantwortungspartnerschaft" mit den Banken habe. Immerhin trage man selbst bis zu 90 Prozent des Risikos. Banken, so wird in Frankfurt betont, seien ja genau deshalb zwischengeschaltet, damit sie Bonität und Geschäftsmodell der Firmen prüften. Daran verdienten sie auch.

Ebenfalls im Dilemma steckt die Bundesregierung. Sie hat versprochen, schnell zu helfen, hat dafür binnen Tagen lang gehegte Grundsätze in der Finanz- und Europapolitik über Bord geworfen - und braucht nun Erfolgszahlen, dass sie geliefert hat. Das Bundeswirtschaftsministerium ist deshalb stolz darauf, bei der EU-Kommission erreicht zu haben, dass immerhin bis zu 90 Prozent der Haftung für die Kredite beim Staat liegen dürfen. Sogar in der Finanzkrise seien es nur 60 Prozent gewesen, wird in Berlin betont.

Die EU-Kommission hat nun binnen weniger Tage mit dem "temporary framework agreement" den EU-Staaten die Sondererlaubnis für Firmen in Schieflage eingeräumt und hebelt die EU-Beihilferegeln für den Moment aus. Aber die etwa vom DIHK geforderte 100-Prozent-Haftung wird im Wirtschaftsministerium als chancenlos in Brüssel angesehen.

"Moral-Hazard"-Problem

Zudem wird sowohl in der Regierung als auch bei öffentlichen Banken die Frage gestellt, ob dies wirklich sinnvoll wäre oder es nicht ein "moral-hazard"-Problem geben könnte. "Denn Banken könnten dann gleich alle ihre Problemfälle mit beim Staat abladen - auch wenn deren Probleme gar nicht aus der Corona-Krise stammen", sagt ein mit den Vorgängen Betrauter. Ein Rest von Grundmisstrauen sei in einer Marktwirtschaft auch gegenüber Unternehmen nötig - bei aller Hilfsbereitschaft in der Krise.

Nur nutzt dies wiederum den von der Krise betroffenen Firmen nichts. DIHK-Präsident Schweitzer spricht davon, dass in der Reisebranche 40 Prozent der Unternehmen von der Insolvenz bedroht seien. Aber wie soll eine Bank die Bonität einer Firma beurteilen, deren Umsatz über Nacht auf Null abgesackt ist - und das in einer Branche arbeitet, von der derzeit niemand sagen kann, wann sie wieder normal funktionieren kann?

Angesichts der großen Nervosität in vielen Unternehmen, die um ihr Überleben kämpfen, führt dies zu radikalen Forderungen: "Die Kredite sollten nicht wie üblich über die Hausbanken geleitet werden, sondern direkt von der Förderbank KfW abgewickelt werden", fordert etwa der Präsident des Mittelstandsverbandes BVMW, Mario Ohoven. Nur will das wiederum die KfW nicht akzeptieren. (rtr)

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