zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Streit um den Meisterbrief

Der DIHT macht dem Handwerk die neuen Lehrberufe streitig / "Sprengstoff für ganze Berufszweige"VON ULRIKE SOSALLA DÜSSELDORF.Mit soviel Widerstand hatte der Zentralverband des Deutschen Handwerks nicht gerechnet.

Der DIHT macht dem Handwerk die neuen Lehrberufe streitig / "Sprengstoff für ganze Berufszweige"VON ULRIKE SOSALLA

DÜSSELDORF.Mit soviel Widerstand hatte der Zentralverband des Deutschen Handwerks nicht gerechnet.Gewerkschaften, mehrere Berufsverbände und vor allem der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) wollen dem Handwerk am kommenden Dienstag bei einer Anhörung des Wirtschaftsausschusses des Bundestages die Stirn bieten.Der Grund der Aufregung klingt unscheinbar: Die Novelle der Anlage A zur Handwerksordnung.Doch auf den hinteren Seiten der Handwerksordnung versteckt sich Sprengstoff für ganze Berufszweige. Die Anlage A legt fest, welche Berufe unter Meistervorbehalt stehen ­ zur Zeit 127.Nur wer eine Meisterprüfung abgelegt hat, darf sich darin selbstständig machen.Handwerksfremde dürfen nicht einmal Teile dieser Tätigkeitsbereiche ausüben.Diese Novelle steht seit Jahren auf der Tagesordnung.Bei der Reform der Handwerksordnung 1993 wurde sie "aus Zeitgründen", so das Wirtschaftsministerium, ausgeklammert.Die Entwicklung läßt sich jedoch nicht aufhalten: Die Berufe verändern sich schneller, neue Techniken erlauben, früher getrennte Tätigkeiten einheitlich anzubieten, und immer mehr Maschinen übernehmen die Arbeit ­ nur in der Anlage A scheint die Zeit stehengeblieben zu sein.Da steht der Gloêkengießer (bundesweit kaum noch 218 Beschäftigte) neben dem Silberschmied (246 Beschäftigte), der Böttcher neben dem Schirmmacher. Es sind weniger die Randberufe, um die sich Industrie und Gewerkschaften sorgen, eher die modernen Tätigkeiten.Der Deutsche Industrie- und Handelstag befürchtet, daß Existenzgründer abgeschreckt werden, weil der Gründer erst eine dreijährige Meisterausbildung überstehen müßte.Trockenbau, Metallapparatebau, Offsetdruck und Druckvorlagenherstellung sowie der Computer- und Medienbereich sollten künftig zum Handwerk gehören, warnt Jürgen Möllering, Justitiar des DIHT.Das Schadenspotential sei riesig, sagte er dem "Handelsblatt": "Die Verhandwerklichung der PC-Branche betrifft mehr als 30 000 Händler und Dienstleister." Besonders schwer habe es, wer nach vielen Arbeitsjahren als Industriemeister entlassen werde und dann nicht als Selbständiger arbeiten dürfe ­ weil er den Meisterbrief brauche.Mit Deregulierung habe das nichts zu tun, klagt Möllering.Die Initiative zu den Plänen ging auch nicht vom FDP-geführten Wirtschaftsministerium aus, sondern von zwei Abgeordneten aus CDU und FDP, die dem Handwerk nahestehen.Erzürnt über die Vorschläge des ZDH ist auch Walter Hesse, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Druck.Die Umbenennung des bisherigen "Buchdruckers" in "Drucker" würde dazu führen, daß der gesamte Offsetdruck auf einen Schlag zum Handwerk zählte."Damit würden die hochmodernen, innovativen Berufe im Medien-, Werbe- und Grafikbereich mit neuen Zugangsbeschränkungen belegt", erklärt er. Hintergrund sei, den sinkenden Einfluß des Handwerks in der Drucksparte zu erhöhen.Von den knapp 14 000 Druckbetrieben in Deutschland zählen nur 4500 zum Handwerk ­ 27 Prozent weniger als noch 1977.Die Folgen der Neuregelung zeigen für Hesse, wie undurchdacht die Vorschläge seien."Dann müßte jede Werbeagentur, die am Computer Druckvorlagen herstellt, einen Meisterbrief vorlegen." Als Hauptgrund für den Vorstoß sieht Möllering, daß die Gewerke vor unerwünschtem Wettbewerb geschützt werden sollen."Schon heute ist die wettbewerbsrechtliche Abmahnung oder die einstweilige Verfügung die schärfste Waffe gegen die Konkurrenz ohne Meisterbrief", sagt er. Ein Beispiel sei ein pfiffiger Existenzgründer, der mit einem Computer beschriftete Klebefolien herstellte.So lange, bis ihm die von einem Schilder- und Lichtreklamehersteller erwirkte einstweilige Verfügung ins Haus flatterte.In ihrer Existenz bedroht sehen sich die Kosmetikerinnen.Ihr Beruf soll neu in die Anlage A aufgenommen werden.Das bedeutet in der Praxis, daß sich die bisher ein- bis zweijährige Ausbildung auf sechs bis sieben Jahre verlängern würde."Das ist so, als würde man einen Schreiner zum Innenarchitekten ausbilden", stöhnt Thorsten Troschka, Geschäftsführer der Bundesvereinigung selbständiger Kosmetikerinnen."Das ist ein sozialpolitisches Problem, da die Möglichkeit wegfallen würde, sich mit relativ geringem Aufwand selbständig zu machen." Die Diskussion um die Anlage A könnte einen alten Streit wieder anfachen: den um die Meisterprüfung.Nach Ansicht von Walter Hesse vom Druckverband ist der ZDH daran nicht unschuldig."Wer solche überspitzten Forderungen stellt, der führt sich selbst ad absurdum." Wenn der Meisterbrief den Zugang zu immer mehr Berufen bloêkiert, dann sei der Ruf nach der Abschaffung nicht weit.Das meint auch der Bundesverband der unabhängigen Handwerker, der vor wenigen Tagen in Bonn für die Abschaffung des Meisterzwangs demonstrierte.Nach Angaben des Verbandes könnte eine Reform etwa 20 000 Arbeitsplätze im Kleingewerbe und in der Dienstleistungssparte schaffen.

ULRIKE SOSALLA

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false