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Medizin für wenige. Nur ein Bruchteil der indischen Bevölkerung hat Zugang zu einer Versorgung auf europäischem Niveau.

© REUTERS

Streit um Patente: Arzneimittel bezahlbar machen

Das Pharma-Urteil in Indien wirft die Frage nach anderen Finanzierungsmodellen für Medikamente auf. Hilfsorganisationen wollen mehr staatliche Gelder für die Entwicklung von Präparaten.

Es ist ein Unterschied, der in Indien über Leben und Tod entscheiden kann. Eine Monatsration des Krebsmittels Glivec von Novartis kostet dort umgerechnet knapp 1700 Euro. Für das Nachahmerpräparat, so berichtet die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“, fallen nur knapp 140 Euro an. Genau dieses Nachahmerpräparat wollte der Schweizer Pharmakonzern in Indien verbieten lassen – und unterlag vor dem Obersten Gericht in Neu-Delhi. Die Richter verwehrten den Patentschutz, weil sie bei Glivec keine wirkliche Neuerung im Vergleich zu Vorgänger-Mitteln sahen. Auch andere Hersteller sind betroffen: Roche und Pfizer wurden im vergangenen Jahr in Indien Patente aberkannt und Bayer musste Anfang März eine Zwangslizenz für sein Krebsmittel Nexavar akzeptieren.

Was Hilfsorganisationen jubeln lässt, verärgert die großen Pharmakonzerne. Denn die haben Jahrzehnte in Forschung und Entwicklung von Wirkstoffen investiert und wollen diese Kosten über den Patentschutz wieder hereinholen. Dagegen stehen hunderte Millionen von Menschen in den Entwicklungsländern, für die eine medizinische Versorgung mit wirkungsvollen Mitteln auch wegen hoher Medikamentenpreise unerschwinglich bleibt. Noch ist Indien zwar kein Markt, der für die Konzerne besonders lukrativ ist: Nur ein Bruchteil der 1,2 Milliarden Einwohner des Landes hat Zugang zu einer medizinischen Versorgung auf westlichem Niveau. Doch das wird nicht so bleiben, und so ist eine Lösung der Konflikte in den Schwellenländern auch für die Hersteller wichtig.

Raghunath Mashelkar, der frühere Präsident des indischen Rats für wissenschaftliche und industrielle Forschung, fordert mehr Flexibilität bei den Preisen. Die Pharmakonzerne sollten sich die Hersteller von Autos oder Mobiltelefonen zum Vorbild nehmen, bei denen stark unterschiedliche Preise in verschiedenen Ländern üblich seien, sagte Mashelkar. „Die Hersteller müssen die Medikamente so anbieten, dass die Menschen sie sich leisten können. Geld verdienen müssen sie mit großen Volumen bei kleinen Gewinnmargen.“ Experten raten zudem zu Kooperationen mit den Herstellern in den Schwellenländern, um Mittel billiger anzubieten. In Indien stellt der Großteil der Pharmaunternehmen Generika her. Die Konzerne müssten ihr Geschäftsmodell ändern, fordert Amit Backliwal, Südostasien-Chef des Gesundheitsinformationsdienstes IMS Health. Der Novartis-Konkurrent Roche etwa plant, eine günstigere Variante seiner Krebsmittel Herceptin und MabThera zusammen mit dem indischen Generika-Hersteller Emcure Pharmaceuticals auf den Markt zu bringen. Diesen Weg könnten auch andere Konzerne gehen, erwartet Ajay Kumar Sharma von der Beratungsfirma Frost&Sullivan.

Der Verband VFA, der die forschenden Pharmakonzerne in Deutschland vertritt, sieht beide Vorschläge als problematisch an. Preisstaffelungen bei den Arzneien gebe es längst, sagt Sprecher Rolf Hömke. Einen Preis zu finden, der etwa für alle Einwohner Indiens angemessen sei, gestalte sich dagegen schwierig. „Das Problem ist das enorme Wohlstandsgefälle, das nicht von einem Gesundheitssystem aufgefangen wird“, sagt der VFA-Sprecher. Schon heute beteiligten sich die Pharmakonzerne an Programmen, die armen Menschen kostenlos Medikamente zu Verfügung stellten. So argumentiert auch der betroffene Hersteller Novartis, dass die meisten der mehr als 16 000 Patienten in Indien, die Glivec erhielten, dies kostenlos bekämen.Glivec-Nachahmerprodukte werden nach Branchenangaben dagegen an über 300 000 Kranke ausgegeben. Auch bei den Kooperationen mit lokalen Herstellern ist der VFA skeptisch. „Das ist keine Garantie für die Sicherung von Marktanteilen“, sagt Hömke. Weiterhin könnten andere Generikahersteller im Land die Preise der verbilligten Originalmedikamente unterbieten.

Hilfsorganisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“ fordern dagegen völlig neue Forschungsfinanzierungen und eine Abkehr vom Patentsystem. „Die meisten Preisstaffelungen, die es heute gibt, schließen trotzdem einen Großteil der Weltbevölkerung von neuen und wirksamen Arzneien aus“, sagt der Sprecher der Organisation, Oliver Moldenhauer. Auch das Verschenken von Arzneimitteln sei keine Dauerlösung. „Wir müssen die Forschungskosten von den Medikamentenpreisen entkoppeln.“ Die Organisation schlägt daher ein System mit Pauschalzahlungen seitens der Staaten oder Versicherer in den Schwellenländern an große Pharmakonzerne oder andere Entwickler vor. Letztere müssten im Gegenzug auf den Patentschutz verzichten und Lizenzen an die Generikahersteller in dem Land vergeben. Auch umfassende Rabattverträge für arme Länder seien ein gangbarer Weg. In die Forschung müssten auch mehr staatliche Gelder fließen, die etwa an Erfolge bei Medikamentenentwicklungen geknüpft seien, fordert Moldenhauer. „Wenn ein westlicher Pharmakonzern einen Durchbruch bei einem Malariamittel erreicht, könnten Geberländer und die Staaten, die davon profitieren, dafür eine Prämie zahlen.“

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