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Die Coronakrise wird das Gesundheitssystem einiges kosten.

© dpa

Streit zwischen Krankenkassen: Wie sollen Kliniken die Kosten der Corona-Krise stemmen?

Die AOK will das Vergütungssystem außer Kraft setzen und Kliniken feste Budgets garantieren. Andere Kassen wittern dahinter einen Plan der Krankenhauslobby.

Die Bundesregierung will die kommende Sitzungswoche des Bundestages nutzen, um alle notwendigen gesetzlichen Regelungen durch den Bundestag und am Freitag auch durch den Bundesrat zu bringen, die erforderlich sind, um Deutschlands Krankenhäuser in die Lage zu versetzen, die Corona-Krise finanziell zu bewältigen. Bis gestern bestand zumindest zwischen den Krankenkassen scheinbar Einigkeit über den richtigen Weg zu diesem Ziel. Vorgesehen war danach, dass die Krankenhäuser vorerst bis Ende dieses Jahres Liquiditätshilfen aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds erhalten, der derzeit noch ausreichend gefüllt ist.

Ansonsten sollte es für die Krankenhäuser heißen: Weitgehend Business as usual. Dies bedeutet, dass jede einzelne Krankenhausleistung, ob für Corona-Patienten erbracht oder für normale Patienten, mit den Krankenkassen nach dem Vergütungssystem der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) plus einigen Sonderentgelten für Corona abgerechnet würde.

Krankenhäuser, die am Jahresende weniger eingenommen haben als geplant, weil sie lukrative planbare Operationen verschoben haben, sollten dafür einen Ausgleich erhalten. Kliniken, die bis zum Jahresende alle geplanten Operationen doch noch erbringen konnten, sollen die so entstehenden Mehrerlöse behalten. Auf einen entsprechenden Vorschlag hatte sich die Vertreter der verschiedenen Krankenkassenarten im Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) verständigt.

AOK mit neuem Vorschlag

Doch nun ist dieser Konsens überraschend wieder in Frage gestellt, erfuhr Tagesspiegel Background „Gesundheit & E-Health“ aus Kreisen der GKV. Nachdem der AOK-Bundesverband sich in den GKV-internen Verhandlungen mit seinem Vorschlag, wegen der Corona-Krise das DRG-System vorübergehend außer Kraft zu setzen und den Kliniken statt dessen fixe garantierte Budgets zu überweisen, nicht durchsetzen konnte, unternahm er am Freitag überraschend einen neuen Anlauf. Er leitete dem Bundesgesundheitsministerium einen gemeinsamen Vorschlag von AOKen und Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) zu.

Kern des Vorschlages ist erneut das Garantiebudget. Sollte das Bundesgesundheitsministerium diesem Vorschlag folgen, würde dies dazu führen, dass das Vergütungssystem bis Ende 2020 faktisch außer Kraft gesetzt würde und die Krankenkassen für diese Zeit auch auf ihr Recht verzichteten, zu kontrollieren, ob den ausgezahlten Geldbeträgen auch entsprechende Leistungen gegenüberstehen.

Ausdrücklich soll geregelt werden, dass Kliniken, die am Ende Geld aus ihrem Budget nicht ausgegeben haben, dieses behalten dürfen. Dagegen sollen Kliniken, die mit ihrem Garantiebudget nicht auskommen, Nachforderungen stellen dürfen. Finanziert werden soll das Ganze direkt aus dem Gesundheitsfonds, also nicht über die Krankenkassen, bei denen die Patienten jeweils versichert sind. Vielmehr sollen die Landes-AOKen für die Abwicklung zuständig sein.

Damit würde der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen bis Ende Jahres außer Kraft gesetzt. Allein die Ortskrankenkassen wären Herr des Verfahrens und einzige Abrechnungsstelle. Die Mittel des Gesundheitsfonds sollen entsprechend durch Steuerzuschüsse aufgestockt werden. Einen höheren Steuerzuschuss soll es auch geben, sollte es zu steigender Arbeitslosigkeit und damit zu sinkenden Beitragseinnahmen des Gesundheitsfonds kommen.

Garantiebudgets helfen kleinen Krankenhäusern

Die Empörung bei Ersatzkrankenkassen, Betriebskrankenkassen und Innungskrankenkassen ist groß. Nicht nur, weil der AOK-Bundesverband die mit dem GKV-Spitzenverband vereinbarte gemeinsame Linie verlassen und sich mit dem normalerweise auf der anderen Seite des Verhandlungstisches sitzenden Krankenhäusern zusammengetan habe. Die anderen Kassenarten werfen der AOK vor allem vor, gemeinsam mit der DKG ein eigenes Süppchen zu kochen.

Garantiebudgets würden nämlich allen Krankenhäusern gleichermaßen zu Gute kommen und damit vor allem ökonomisch schwach aufgestellten kleinen Krankenhäusern helfen, die eher keinen großen Beitrag zur Bewältigung der Corona-Krise leisten können. Schwerpunktkrankenhäuser, die die Hauptlast tragen, blieben hingegen womöglich sogar unterfinanziert. Es sei denn, die Garantiebudgets würden so hoch gesetzt, dass es insgesamt zu einer Überfinanzierung der Kliniken käme.

Die verborgene Agenda der Krankenhauslobby

Genau dieses zu erreichen, sei, so die Kritik, die verborgene Agenda der Krankenhauslobby. Das AOK-System würde ebenfalls von den Garantiebudgets profitieren. Die Ortskrankenkassen hätten das Problem, dass sie im morbiditätsorientierten Finanzausgleich im Krankenhausbereich tendenziell weniger Zuweisungen erhielten, als sie an tatsächlichen Ausgaben hätten. Dagegen seien ihre Ausgaben für ambulante Arztbehandlungen in der Regel geringer, als die an der Krankheitsentwicklung orientierten Zuweisungen aus dem Fonds für ambulante Behandlung.

Ein Aussetzen des Fallpauschalen-Systems zugunsten von Garantiebudgets für die Kliniken würde den Ortskrankenkassen damit in der Summe einen finanziellen Vorteil verschaffen. Dies sei deren versteckte Agenda jenseits des gemeinsamen Ziels, die Kliniken finanziell für die Bewältigung der Corona-Krise zu rüsten. Ob das Bundesgesundheitsministerium dem neuen Vorschlag von AOK und DKG folgen will, war bisher nicht in Erfahrung zu bringen. Eine Anfrage von Tagesspiegel Background blieb unbeantwortet.

Derweil versuchten Ersatzkassen, Betriebs- und Innungskrankenkassen am Nachmittag mit einem ans Bundesgesundheitsministerium und die Gesundheitsexperten im Bundestag versendeten Eckpunkte-Papier das DRG-System durch die Corona-Krise zu retten. Es sieht weitgehende Zugeständnisse an die Kliniken vor. So sollen die Untergrenzen beim Pflegepersonal ausgesetzt werden. Rechnungen sollen innerhalb von fünf Tages gezahlt werden müssen. Statt 15 Prozent soll der Medizinische Dienst der Kassen dieses Jahr nur fünf Prozent der Rechnungen prüfen. Für in Vorbereitung auf die Corona-Krise leerbleibende Betten soll es bis zu 430 Euro pro Tag extra geben.

Peter Thelen

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