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Wirtschaft: Stromaktien unter Spannung

Die Branche steht unter Hochspannung. Die Nervosität der deutschen Strommanager ist förmlich zu spüren.

Die Branche steht unter Hochspannung. Die Nervosität der deutschen Strommanager ist förmlich zu spüren. Erwartet wird der "Big Bang", die Initialzündung für die Restrukturierung eines Marktes mit mehr als 80 Mrd. DM Jahresumsatz. Jeder spricht mit jedem über Kooperationen oder Fusionen, heißt es in den Chefetagen in Essen, Düsseldorf oder München. Welches Unternehmen aber wird den großen Deal machen und den Dornröschenschlaf der Elektrizitätswirtschaft beenden? Für den Anleger ist die Antwort hochinteressant, denn damit werden wichtige Weichen gestellt.Denn von den fast 1000 Energieunternehmen werden in Deutschland nur wenige überleben, sagen die Experten voraus. Bis zum Jahr 2010 wird sich die Szene nach der vor einem Jahr in Gang gekommenen Liberalisierung grundlegend geändert haben. Der Markt heißt dann Europa mit einem Volumen von einer Billion DM.Die Unternehmen haben schon im Vorfeld der Liberalisierung begonnen, Kosten in Milliardenhöhe zu sparen. Aber wie sich nach dem rasanten Start der Marktöffnung zeigte, reichen diese Pläne bei weitem nicht aus. In allen Unternehmen stehen die Kosten deshalb wieder auf dem Prüfstand. Wachstum kann auf dem gesättigten Markt, der für die kommenden Jahrzehnte nur mäßige Zuwachsraten, wenn nicht Stagnation verspricht, nur durch Zukäufe realisiert werden.Manfred Remmel, Vorstandsvorsitzender des mit Abstand größten deutschen Stromerzeugers RWE Energie, hat das Ziel eines Marktanteils von 15 Prozent in Europa bis 2010 vorgegeben. Das würde rund 150 Mrd. DM Umsatz bedeuten, heute sind es gut 20 Mrd.. So soll RWE der BASF schon ein Übernahmeangebot für die Wingas GmbH gemacht haben, um die Position beim Gas zu stärken. Bisher soll der Deal nicht zustande gekommen sein, weil der russische Partner der Wingas - die Gazprom hält 35 Prozent - nicht auf sein Recht verzichten will, den Anteil aufstocken zu können. Noch einmal 10 Mrd. DM Umsatz könnten kommen, wenn die Mehrheit bei der benachbarten VEW AG in Dortmund gelänge. An der hält aber auch die zur Viag gehörende Bayernwerk ein Paket von etwa 20 Prozent, RWE ist bisher mit 10 Prozent beteiligt.Aber auch die Chefs der in der Rangliste der Produzenten hinter RWE folgenden Veba, Ulrich Hartmann, und Viag, Wilhelm Simson, brauchen ihre Erfolgsstory. Bayernwerk könnte von RWE im Gegenzug für das VEW-Paket den 26-Prozent-Anteil an der ostdeutschen Veag und damit dort das Sagen erhalten. Im Umfeld der Veba ist zu hören, daß ein großer Coup unmittelbar bevorstehe. Der könnte aber nur auf internationaler Ebene stattfinden. Gerüchte einer Fusion mit der belgischen Tractebel wurden allerdings von den Beteiligten schon dementiert.Eine Schlüsselrolle spielt die Nummer vier am deutschen Markt, die Energie BadenWürttemberg AG (EnBW). Hier steht die Privatisierung eines Anteils in Höhe von 25,13 Prozent des Landes an. Dafür soll die EdF, die einen strategischen Einstieg in den deutschen Markt sucht, fünf Mrd. DM geboten haben. Der Einstieg der Franzosen würde ein Signal bedeuten. Wenn der größte europäische Stromerzeuger, bei der EnBW Fuß faßt, könnte das Bundeskartellamt die Konzentrationswelle wohl kaum mehr stoppen.Diese Unwägbarkeiten und Spannungen auf dem Markt haben auch die Kurse der Energieversorgungsunternehmen gedrückt. Dazu kommen die politischen Unsicherheiten - Atomausstieg, steuerliche Belastungen. Seit der Bundestagswahl hinkt der Branchenindex dem Dax deutlich hinterher. Dabei ist die Entwicklung differenziert. Während Veba- und Viag-Aktien derzeit ein 52-Wochen-Hoch verzeichnen, liegen RWE-Titel um gut 20 Prozent unter dem letzten Hochstand vom Juli 1998. Bei allen drei großen Werten - die kleineren Unternehmen geraten kaum ins Blickfeld - sind sich die Analysten wenig einig, wohin die Reise gehen sollte.Katrin Spanek von der Bankgesellschaft Berlin spricht von großen Unsicherheiten bei der weiteren Entwicklung der drei. Bei RWE - "deutliches Potential nach oben und große Chancen durch die Umstrukturierung" - und Veba - "steht vor einer großen Akquisition und könnte mittelfristig die Chemie zur Disposition stellen" - setzt sie auf Kaufen. Wenig Phantasie gibt sie Viag. Das Unternehmen habe die schwächste Ausgangsposition, und die Frage sei völlig offen, wohin die Strategie gehe. Deshalb plädiert sie auf Halten. Die Einschätzung des Analysten Klaus Repges von der WestLB: Anleger sollten RWE mit einem Kursziel von 55 Euro kaufen und Veba halten. Bei Viag sei eine unterdurchschnittliche Entwicklung zu erwarten. Christoph Vogt von M.M. Warburg sieht die drei Versorger-Aktien als fair bewertet und empfiehlt Halten. "Phantasie resultiert bei den deutschen Versorgern vor allem aus dem anhaltenden Konsolidierungsprozeß der Branche", begründet Vogt seine Entscheidung. Jörg Natrop von der WGZ Bank stuft RWE als "Marktperformer" (durchschnittliche Kursentwicklung) ein und empfiehlt, daß Anleger in Veba und RWE investiert bleiben sollten. Den Kurs der Viag bewertet er als zu hoch.Fazit: Wenn schon die professionellen Beobachter in ihren Analysen so schwankend sind und keine einheitliche Linie finden können, bedeutet das für den Anleger: Die Zeiten bleiben noch spannend. Auch nach dem erwarteten "Big Bang".

ERWIN SCHNEIDER (HB)

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