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Karsten Wildberger ist bei Eon für die digitale Transformation zuständig.

© Martin Leclaire

Stromanbieter Eon: „Energie wird zu einem emotionalen Produkt“

Deutschlands größter Energieversorger will sich wandeln: zu einem Dienstleister, der den Kunden beim Sparen hilft. Im Interview erklärt Eon-Vorstand Karsten Wildberger, wie das aussehen könnte.

Herr Wildberger, alle reden über Digitalisierung. Wie smart ist Ihr Home?

Mein Haus wird zunehmend smarter, und ich teste sehr viel. Licht und Musik steuere ich mit dem „Echo“ von Amazon und per Smartphone-App. Solaranlage, Stromspeicher, Brennstoffzellenheizung sind in Planung.

Die Kunden werden aktiver, viele erzeugen selbst Strom. Wie geht Eon damit um?

Energie wird als Produkt immer interessanter. Wir helfen Kunden, passende Lösungen für sie zu finden – zum Beispiel mit der Eon-Solar- und Speicherlösung Aura, oder wie in Schweden, wo unsere Kunden Energie aus einem Wind- und Solar-Portfolio wählen können. In Großbritannien bieten wir Kunden ein Stromprodukte mit Preissicherheit – der Kunde profitiert automatisch von positiven Preisentwicklungen am Markt.

Die Stromtarife sind zeitlich flexibel?

Das wird kommen, auch in Deutschland. Dann können Sie die Waschmaschine laufen lassen, wenn der Strompreis niedrig ist. Zudem wird Energie zunehmend zu einem emotionalen Produkt. Wir haben eine Riesennachfrage nach Photovoltaik-Anlagen und Stromspeichern. In Großbritannien haben wir fast alle großen Einzelhändler an ein Energiemanagementsystem angeschlossen, mehr als 10 000 Filialen. In der Zentrale können wir einzelne Kühlaggregate überwachen und sicherstellen, dass die Pizza nicht auftaut. Für die Hotelkette Radisson bauen wir Brennstoffzellen zur Strom-, Wärme- und Kälteversorgung.

Eon hat ja ein Innovationszentrum namens Agile. Was tut sich da?

Wir haben insgesamt vier Innovationssäulen: Da gibt es Innovation, die sehr nah am Kerngeschäft liegt, zum Beispiel beim Hochleistungsladen von Elektroautos. Zweitens haben wir einen Bereich, der in Start-ups investiert, etwa in Kite-Segel, die in mehreren Hundert Metern Höhe Strom generieren, oder in den Heizungsbauer Thermondo. Bei Agile bieten wir unseren Mitarbeitern die Möglichkeit, eigene Firmen zu gründen. „Agile“ ist aber auch offen für Leute mit guten Ideen, die nicht bei Eon arbeiten. Wenn die Testphase erfolgreich war, können die Start-ups in einem Inkubator die nächste Stufe zünden, um marktreif zu werden. Die vierte Innovations-Säule sind Kooperationen, zum Beispiel mit der RWTH Aachen am Eon Research Center.

Gibt es Erfolge?

Daraus ist zum Beispiel unser neues Angebot Sun Roof mit Google entstanden. Da können wir jedem Kunden per Online-Rechner und mithilfe von Google-Satellitenbildern und Wetterdaten ziemlich exakt sagen, wie hoch die Ausbeute einer Solarstromanlage auf seinem Dach sein wird. Die Daten sind so genau, dass wir auch Verschattungen durch einzelne Bäume berücksichtigen können. Schauen wir auf E-Mobilität: Wir haben sehr leistungsfähige Ladesäulen mit einem interaktiven Display eingeführt, auf dem andere Unternehmen Werbung schalten können.

Ein großes Thema ist auch die Blockchain. Wie schätzen Sie diese Technologie ein?

Sie hat den Vorteil, dass sie Transaktionen zwischen Nutzern eins zu eins ohne Mittler sehr sicher abbilden kann. Das sehen Sie bei der Cyber-Währung Bitcoin, aber eben auch in der Energiewirtschaft. Ein Kunde kann direkt einem anderen Strom verkaufen, ohne ein Unternehmen als Mittler dazwischenzuschalten. Wir haben ja schon eine Beteiligung an GreenXMoney, einem Unternehmen, bei dem Kunden sich an einem Windpark beteiligen können. In einem nächsten Schritt könnten wir über die Blockchain ermöglichen, dass Kunden ihren Strom direkt aus „ihrem“ Park beziehen oder vermarkten.

Großkraftwerke laufen aus, die Zukunft der Energieerzeugung ist dezentral und datenbasiert.
Großkraftwerke laufen aus, die Zukunft der Energieerzeugung ist dezentral und datenbasiert.

© promo

Welche Rolle bleibt dann noch für den klassischen Energieversorger?

Eine andere als bisher, denn wir entwickeln uns ja gerade vom klassischen Versorger zum Partner unserer Kunden. Dabei spielen auch unsere regionalen Netze eine wichtige Rolle. Deren Management und deren digitale Weiterentwicklung sind unverzichtbar für das Funktionieren des modernen Energiesystems. Außerdem entwickeln wir für unsere Kunden Energieangebote, an die sie heute noch gar nicht denken. Nur ein Beispiel: Mit unserer Solar Cloud speichern die Kunden ihren überschüssigen Photovoltaik- Strom und haben quasi ein zeitlich und räumlich unabhängiges Stromguthaben.

Bisher ist das Recht nicht auf Blockchain ausgelegt. Was muss sich ändern?

Daten und Recht sind grundsätzlich ein Thema, nicht nur wegen Blockchain. Wenn Sie heute neue Produkte ausrollen, geht es immer um Daten. Durch die Sensoren haben Sie unendliche Möglichkeiten, zu optimieren und zu lernen – in Echtzeit. Wir müssen in Deutschland ein besseres Gleichgewicht finden zwischen Einzelschutz und Nutzen. Dass Daten sicher sein müssen und dass die Privatsphäre von Menschen geschützt werden muss, ist 100 Prozent klar. Aber andere Länder finden da eine bessere Balance.
Eon ist auch in der E-Mobilität aktiv. Geht es da jetzt voran?

Was wir in kurzer Zeit erreicht haben, ist enorm. In Dänemark betreiben wir ein voll funktionsfähiges Netz mit mehr als 2000 Ladepunkten allein in Kopenhagen. Wir haben einen großen Ehrgeiz beim Hochleistungsladen mit 150 Kilowatt Leistung oder sogar 350 Kilowatt. Wir statten in Osteuropa ganze Trassen mit Hochleistungsladesäulen aus, in Tschechien, Ungarn und Rumänien. Wir sind in Deutschland aktiv, in Skandinavien, Italien, Großbritannien. Dafür braucht man Energiekompetenz.

Warum sind Sie in Kopenhagen so aktiv und nicht in Berlin oder Hamburg?

Eon hat seinerzeit das Unternehmen Better Place von Shai Agassi übernommen. Da lag der Schwerpunkt in Kopenhagen. Man muss aber auch sagen: Die Skandinavier sind grundsätzlich sehr technologieaffin, sowohl was die Digitalisierung angeht als auch die E-Mobilität. Es ist stärker eine „Sharing Community“.

Und was passiert in Deutschland?

Wir sind mit allen großen Autoherstellern in Gesprächen. Und wir haben eine Kooperation mit dem skandinavischen Unternehmen Clever im Bereich Hochleistungsladen. Wir arbeiten auch mit Kommunen zusammen. Insgesamt haben wir in kürzester Zeit Zahlen erreicht, die uns in eine gute Marktposition bringen.

Gibt es konkrete Beispiele für Sektorkopplung bei Eon?

Die Elektromobilität ist natürlich ein entscheidendes Zukunftsfeld für die Sektorkopplung. In Schweden sind wir führend bei Nah- und Fernwärmenetzen, etwa in Malmö. Auch im industriellen Bereich haben wir einige Wasserstoff- und Power- to-Gas-Projekte laufen.

Was haben Sie aus der Telekommunikationsbranche mitgebracht, das Sie jetzt bei Eon anwenden können?

Die Telekommunikationsbranche ist sehr wettbewerbsintensiv, da wird um jeden Kunden gekämpft. Technologie verstehen, sie in Produkte umsetzen und an den Markt bringen – das ist sehr ähnlich zur Energiebranche. Die Energiewelt wird viel dezentraler. Die Verteilnetze werden intelligenter, um die vielen kleineren Erzeugungsanlagen und Speicher aussteuern zu können. Sensorik, Digitalisierung, das ermöglicht Wachstum. Das habe ich auch aus Australien mitgebracht: Die Menschen dort denken sehr stark an Wachstum, weniger an Limitierung. Wir brauchen mehr Begeisterung für Neues in Europa und mehr Geschwindigkeit.

Wenn Sie Australien mit Deutschland vergleichen: Nehmen Sie die deutschen Energiemanager als technologiefeindlich wahr?

Nein, überhaupt nicht. Schon bei meinem Start vor gut einem Jahr habe ich festgestellt, dass sich Eon extrem mutig den neuen Herausforderungen und Technologien stellt. Auch die Aufspaltung des Unternehmens war nicht nur mutig, sondern auch technologiefreundlich. In allen großen IT-Projekten zum Beispiel arbeiten wir nicht von oben nach unten mit langen und traditionellen Entwicklungsmethoden, sondern haben auf eine sehr agile und moderne Arbeitsweise in gemischten Teams mit schneller Planung und Umsetzung umgestellt.

Der promovierte Physiker Karsten Wildberger ist im Eon-Vorstand seit 2016 für die digitale Transformation und Produktentwicklung des Konzerns verantwortlich. Das Gespräch führten Jens Tartler und Nora Marie Zaremba.

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