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Wirtschaft: Stromwirtschaft: Europa muss aus Fehlern lernen

In Kalifornien ging bei der Reform der Energieindustrie einiges daneben. Massive Stromausfälle in den vergangenen Wochen sind auch ein Alarmsignal für Europa, wo die Märkte ebenfalls für mehr Wettbewerb geöffnet werden sollen.

In Kalifornien ging bei der Reform der Energieindustrie einiges daneben. Massive Stromausfälle in den vergangenen Wochen sind auch ein Alarmsignal für Europa, wo die Märkte ebenfalls für mehr Wettbewerb geöffnet werden sollen. Bei den bisherigen Monopolverhältnissen, privater oder staatlicher Art, schien die Zuverlässigkeit der Energieversorgung bislang nicht infrage gestellt. Doch nicht zuletzt hat das im Zuge der Deregulierung beinahe zusammengebrochene britische Eisenbahnsystem vielen Europäern gezeigt, dass eine verlässliche öffentliche Versorgung heute nichts Selbstverständliches mehr ist. Was also müssen die Europäer von der Liberalisierung des Elektroenergiesektors befürchten?

Werden die Lichter ausgehen, wie in Kalifornien?

Vielleicht, doch wahrscheinlich nicht aus denselben Gründen. Europas Energieversorgung wird mit der Abschaffung der staatlichen und privaten Monopole unsicherer. Zwar gehen Mitgliedsstaaten in diesen Prozess mit viel größeren Überkapazitäten als einst Kalifornien. Es besteht aber kein Zweifel, dass diese Sicherheitsmarge mit fortschreitender Liberalisierung schrumpfen wird. Die Europäer können von Kalifornien lernen, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Sicherheitsgrenze Ausfälle drohen. Damit ist aber noch nicht ausgeschlossen, dass neue Fehler gemacht werden.

Was genau ist in Kalifornien geschehen?

Kalifornien hat mit der Einführung des Wettbewerbs auf den Elektrizitätssektor Neuland betreten. Doch die Art und Weise, in der dies passierte, war problematisch: Um die Konsumenten zu schützen, wurden die Preise für die Verbraucher festgeschrieben. Dagegen waren die Betreiber in ihrer Preisgestaltung gegenüber den Lieferanten frei. Zudem hatte das Versorgungssystem nur sehr geringe Kapazitätsreserven. Als der Bedarf stieg, erhöhten die Kraftwerksbetreiber die Energiepreise. Die Lieferanten durften die gestiegenen Einkaufskosten aber nicht an die Kunden weitergeben. Einige der großen Stromlieferanten hätten auf diese Weise ihre Zahlungsfähigkeit verloren und mussten die Versorgung einstellen.

Warum könnte das nicht auch Europa bevorstehen?

Die Europäer imitieren den Liberalisierungsprozess von Kalifornien nicht. Nur Spanien kommt diesem Modell mit seiner Verbraucherpreisbindung bei freien Erzeugerpreisen recht nahe. Doch anders als Kalifornien hat Spanien riesige Überkapazitäten, also mehr Kraftwerke als benötigt werden. Da somit ein Wettbewerb auf der Preisebene gesichert ist, kann es nicht zu einer Eskalation der Erzeugerpreise kommen. Allerdings können niedrige Energiepreise die Unternehmen davon abhalten, in neue Anlagen zu investieren. Dann könnte das Angebot auch hier von der Nachfrage überholt werden.

Steht die Zuverlässigkeit bei der Liberalisierung der Stromversorgung in Europa im Vordergrund?

Ja. Selbst die Industrie redet viel über die Bezahlung von Kapazitäten. Hierdurch soll verhindert werden, dass Europa der Strom ausgeht, wenn der Bedarf steigt.

Welche Rolle spielen dabei die Kapazitäten?

Anders als Nahrungsmittel oder Wasser kann die produzierte Elektroenergie nicht gespeichert werden. Die Produktion richtet sich nach dem Bedarf. Dies bedeutet, dass man bei steigender Nachfrage zusätzliche Produktionskapazitäten benötigt. Für den Bau von Kraftwerken braucht man heute mehrere Jahre. Auf lange Sicht sind Überkapazitäten also ein Sicherheitsfaktor.

Warum gibt es in Europa solch enorme Überkapazitäten? War der Bedarf nicht vorhersehbar?

Die Nachfrage war tatsächlich vorauszusehen, denn sie entwickelte sich nahezu im Gleichschritt mit dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts des jeweiligen Landes. Die europäischen Elektrizitätsmonopole konnten so für Jahrzehnte im Voraus planen und haben dies auch getan. Es wurden Anlagen gebaut, die den Bedarf bei weitem überschritten haben, denn die Kosten konnten vollständig an den Verbraucher weitergegeben werden. Die Versorger konnten andererseits versichern, unabhängig von der Nachfrage jederzeit verlässlich zu liefern.

Warum können diese Reserven nicht aufrechterhalten werden?

Weil irgendjemand dafür bezahlen muss. Bei zunehmendem Wettbewerb können die Verbraucher ihren Stromversorger kurzfristig wechseln, wenn es einen preiswerteren gibt. Um die Kosten zu senken, werden die Unternehmen die nicht benötigten Kapazitäten abbauen, es sei denn die Wettbewerbshüter schreiben bestimmte Reserven vor. Eine gewisse Aufsicht über die Kapazitätsreserven wird auch bei freiem Wettbewerb erhalten bleiben, weil Elektrizität ein so wichtiges Thema ist. Die Schwierigkeit einer Regulierung besteht jedoch in der unterschiedlichen Kostenstruktur bei verschiedenen Arten der Energieproduktion.

Warum hat man dies nicht von Anfang an berücksichtigt?

Teilweise, weil die Liberalisierung des Sektors auf einer Ideologie beruht und andererseits, weil der Strommarkt keine Erfahrungen mit Wettbewerb hat. Hinter dem gesamten Prozess stehen Ansichten aus den achziger Jahren. Danach könnten private Unternehmen effektiver arbeiten als staatliche. Die meisten Energieexperten halten dies im Kern für richtig. Sie verweisen jedoch darauf, dass die Wirkungen für den Elektrosektor von den damals Verantwortlichen nicht vollständig überblickt wurden.

Kann der schnelle Fortschritt der Technik nicht für die Sicherung der Energieversorgung genutzt werden?

Sicher. Nach Meinung einiger Experten werden es kleine Generatoren auf der Basis von Wasserstoffzellen jedem Verbraucher erlauben, seinen eigenen Strom zu produzieren. Doch derzeit sind wir auf die herkömmliche Produktion und Verteilung angewiesen, also auf große Turbinen und Leitungen inmitten der Landschaft.

Bushan Bahree

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