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Tag der Arbeit: Die moderne Internationale

Gewerkschaften lernen von der freien Wirtschaft und schließen sich zu globalen Netzwerken zusammen. Ihre Schlagkraft demonstrieren sie mit Kettenstreiks.

Der gefragteste Mann der Stadt war nicht zu sprechen, er musste die Welt retten. Der BVG-Streik im März war keine 48 Stunden alt, und Millionen Berliner wollten von ihm wissen, wie es jetzt weitergeht, wie lange man ohne Bus, Bahn und Tram zur Arbeit kommen sollte. Aber Verdi-Streikführer Frank Bäsler fuhr nach Dahlem, zur iranischen Botschaft. Dort traf er sich mit 60 Mitstreitern vor dem Tor, griff zum Megafon und rief: „Freiheit für Mansour Osanloo!“

Dieser in Berlin fast unbekannte Mann sitzt im Evin-Gefängnis in Teheran ein. Die iranische Justiz wirft ihm „Aktivitäten gegen die Staatssicherheit“ vor. Osanloo hatte 2005 als Führer der nicht anerkannten Gewerkschaft einer Busgesellschaft einen Streik angezettelt. Für den 6. März rief die Internationale Transport Föderation (ITF), der Dachverband von 653 Gewerkschaften aus 148 Ländern, zum Aktionstag für Osanloo auf. Von Sidney über Seoul bis Toronto bezogen Kollegen vor iranischen Einrichtungen Stellung. Und jetzt, zweieinhalb Monate später, darf Osanloo immerhin seine Familie besuchen und sich einer Augen-OP unterziehen lassen. Internationale Solidarität im Jahr 2008, Alltag jenseits aller roten Folklore zum Tag der Arbeit, der in vielen Ländern am 1. Mai begangen wird: Ist die Gewerkschaftsbewegung, die mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert begann, gewappnet für das 21. Jahrhundert? Geben Trillerpfeifen und Megafon Antworten auf aktuelle Fragen: Warum lösen Börsenspekulanten Hungerkrisen aus und warum brauchen immer mehr Bürger auch politisch stabiler Demokratien zwei und mehr Jobs, um durchzukommen?

„Die Gewerkschaften sind heute deutlich stärker aufgestellt als vor zehn oder 20 Jahren“, sagt Michael Fichter vom Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU-Berlin. „Zwar können sie die Globalisierung nicht wirklich beherrschen, aber in ihnen wächst das Bewusstsein, für internationale Zusammenarbeit – gerade auch mit anderen Nichtregierungsorganisationen“, sagt Fichter.

Konzerne wie das englisch-australische Abbauunternehmen Rio Tinto, verheddern sich immer mehr in solchen Arbeiternetzwerken – weil Gewerkschaften voneinander lernen: So bestreikten Minenarbeiter aus Namibia im Januar 2006 eine Uran-Mine, im August des Jahres legten chilenische Bergleute die größte Kupfermine der Welt für 30 Tage lahm – was negative Auswirkungen auf den Aktienkurs der Gruppe hatte. Dann streikten 6000 Arbeiter einer Goldmine in Indonesien, dann kanadische Bergleute und im Februar 2007 Tinto-Arbeiter einer Nickel-Mine in Kolumbien.

Solche Kettenstreiks demonstrieren die Schlagkraft der global organisierten Verbände. Doch im Kern geht es noch immer um das gleiche Thema: Egal ob aktuell bei der BVG in Berlin oder der Renault-Tochter Dacia in Rumänien – bessere Löhne stehen immer ganz oben auf der Liste. Wie schon im 19. Jahrhundert. Doch darüberhinaus arbeiten Gewerkschaften auf neuen Handlungsfeldern.

Wolfgang Lutterbach, Bereichsleiter für internationale Gewerkschaftspolitik beim DGB, beschäftigte sich eher nicht mit Tarifen. Dieser Tage hat er den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm ausgewertet und festgestellt: „Wir waren richtig gut.“ Der DGB hatte im Vorfeld des Gipfels auf allen Ebenen der Bundesregierung seine Themen näher gebracht – wozu der Verband von der Kanzlerin allerdings auch herzlich eingeladen wurde. Das weiß Lutterbach zu schätzen.

Am Ende kamen zentrale Forderungen der Gewerkschaften in das G8-Abschlusspapier: Etwa, dass soziale Standards in bilaterale Handelsabkommen aufgenommen werden. „Klar, Papier ist geduldig“, räumt Lutterbach ein. „Gerade darum ist es so wichtig, dass wir auf den Gipfeln in Japan 2008 und Italien 2009 darauf achten, dass die Politiker nicht hinter einmal gemachte Zusagen zurückfallen.“ Lutterbach hielt neulich in Japan auf einem Kongress des Gewerkschaftsverbandes einen Vortrag. Er gab Tipps, wie sich auch die Kollegen in Nippon Gehör bei ihren Politikern verschaffen könnten. Da geht es um zähe Diplomatie.

Leidenschaftlich werden viele Gewerkschafter, wenn es wirklich um Leben oder Tod geht. Dann lassen sie auch mal alles stehen und liegen, wie Berlins Verdi-Streikführer Bäsler. Lutterbach legt die Stirn in Falten, wenn er von ermordeten Gewerkschaftern in Kolumbien spricht. Und er lacht stolz über diese Geschichte aus Südafrika: Dort verhinderten organisierte Hafenarbeiter in Durban vor gut zwei Wochen, dass ein chinesischer Frachter seine 77 Tonnen Waffen und Munition für Simbabwe entladen konnte, wo Robert Mugabe um seine Macht kämpft. Binnen Tagen war die „An Yue Jiang“ in allen Häfen der Region bekannt und musste schließlich umkehren. „Das war wirklich stark“, freut sich Lutterbach.

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