zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Talfahrt des Euro: Währung so schwach wie noch nie

Die Talfahrt des Euro hat sich am Mittwoch fortgesetzt. Am Morgen sackte die Gemeinschaftswährung auf ein Rekordtief von 88,05 Cent.

Die Talfahrt des Euro hat sich am Mittwoch fortgesetzt. Am Morgen sackte die Gemeinschaftswährung auf ein Rekordtief von 88,05 Cent. Am Nachmittag setzte die Europäische Zentralbank den Referenzkurs auf 0,8818 Dollar und damit deutlich unter dem bisher niedrigsten Wert von 0,8875 Dollar vom 19. Mai fest. Frankfurter Währungsfachleute verwiesen darauf, dass die Stärke der US-Wirtschaft die gute Entwicklung in Europa in den Schatten stelle.

Generell seien die Wirtschaftsdaten im Euroland gut, urteilten die Währungsfachleute übereinstimmend. Allerdings habe sich die US-Wirtschaft im zweiten Quartal erneut robuster erwiesen als erwartet. Überdies dominiere an den Märkten die Skepsis gegenüber dem Euro. Auch mehrten sich Warnungen, dass der Höhpunkt des Konjunkturaufschwungs in Europa bereits überschritten sein könnte. Nicht zuletzt wird die jüngste Äußerung von Kanzler Gerhard Schröder (SPD), wonach der Eurokurs kein Anlass zur Besorgnis sei, als eher unglücklich gewertet, sagte Stefan Schneider von der Deutsche Bank Research. Der Kanzler habe mit seiner Einschätzung den Eindruck erweckt, als sei die Entwicklung des Eurokurses nur von nachrangiger Bedeutung. Schröders Kommentar stehe im Gegensatz zu Äußerungen der Europäischen Zentralbank. Die EZB hatte in der Vergangenheit mehrfach gewarnt, ein schwacher Euro könne die Inflation im Währungsraum anheizen, weil die Importe dadurch relativ teuer würden. Andere Regierungschefs aus der Eurozone hatten den Euro immer wieder als unterbewertet bezeichnet.

Nach Einschätzung von Bernhard Pfaff von der Commerzbank sollte der Euro allerdings langsam die Talsohle erreicht haben. Bis zum Jahresende werde eine leichte Aufwertung erwartet. Schneider schloss allerdings nicht aus, dass der Euro noch 85 Cent erreichen könnte, bevor er sich wieder erholen sollte. Der Ansicht von Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) zufolge bietet die Schwäche des Euros keinen Anlass zur Sorge. Der Euro sei nicht weniger hart als die Mark, argumentierte Schmidt in einem Leitartikel für die "Zeit". 1985 mussten die Deutschen 3,45 Mark für einen Dollar bezahlen, 1995 nur 1,38 Mark. "Waren denn 3,45 Mark eine Katastrophe für die Deutsche Mark und für Kohl? Waren denn 1,38 Mark eine Katastrophe für Clinton und den Dollar?" Der gegenwärtige Boom sei zum erheblichen Teil vom Kapitalimport aus dem Rest der Welt finanziert; niemand wisse, wie lange er anhalten werde. "Die US-Aktien werden eines Tages wieder fallen, ebenso der Dollar; dann wird wiederum der Euro steigen", schrieb Schmidt.

Fachleute befürchten unterdessen, dass sich der schwache Euro auf das Referendum in Dänemark negativ auswirken könnte. In drei Wochen stimmen die Dänen über einen Beitritt zum europäischen Währungsraum ab. Und auch bei den Briten begünstigen die Wechselkursverhältnisse die vorherrschende Skepsis gegenüber der Gemeinschaftswährung. Am Mittwoch starteten über 300 Spitzenmanager eine Kampagne gegen die Gemeinschaftsdevise. Die Konservativen wollen Labour-Regierungschef Blair mit einem gegen den Euro gerichteten Wahlkampf stürzen. Das Pfund kletterte bereits auf über 3,21 Mark, was der Exportwirtschaft zu schaffen macht und ausländische Investoren zusehends abschreckt.

Die Frage, wie lange die Euro-Talfahrt anhalten wird, vermag im Frankfurter Devisenhandel derweil niemand verbindlich zu beantworten. Klar ist, dass die Euroschwäche mit den Fundamentaldaten nichts mehr zu tun hat. Wo Anleger und Händler gute Nachrichten für den Euro ignorieren und sich stattdessen an jeden Grund zum Verkauf klammerten, kann der schwache Wechselkurs mit der Zeit aber auch die öffentliche Meinung gegen den Euro aufbringen, warnte Deutsche-Bank-Volkswirt Michael Lewis am Mittwoch.

Grafik: Der Absturz des Euro

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false