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Wirtschaft: Tarifmodell "Programmentgelt": Projektlohn hat bei Werften Tradition

Im Schiffbau hat der Dammbruch schon stattgefunden, den IG Metall-Chef Klaus Zwickel nun auch für die Automobilindustrie fürchtet - die Unternehmen dürfen einen Teil ihres Geschäftsrisikos auf die Mitarbeiter verlagern. "Praktisch alle großen Werften haben bereits Erfahrung mit dem Projektlohn", erläutert Walter Timmer, Tariffachmann beim Arbeitgeberverband Nordmetall.

Im Schiffbau hat der Dammbruch schon stattgefunden, den IG Metall-Chef Klaus Zwickel nun auch für die Automobilindustrie fürchtet - die Unternehmen dürfen einen Teil ihres Geschäftsrisikos auf die Mitarbeiter verlagern. "Praktisch alle großen Werften haben bereits Erfahrung mit dem Projektlohn", erläutert Walter Timmer, Tariffachmann beim Arbeitgeberverband Nordmetall. Grundlage dafür sind befristete Zusatz-Tarifverträge, die Arbeitgeber und IG Metall im Einvernehmen mit den Betriebsparteien schließen. Das Prinzip: Reicht ein im Voraus gemeinsam festgelegtes Zeitbudget für ein Schiffsprojekt nicht, dann müssen die Beschäftigten länger arbeiten, ohne zusätzliche Bezahlung. Meist wird das Zeitrisiko auf fünf oder sechs Prozent der Gesamtarbeitszeit begrenzt.

Was sich für die Werften seit 1992 regelmäßig als hilfreiches Instrument zur Erhaltung von Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätzen erweist, wurde bei VW Ende Juni zum Auslöser für das vorläufige Scheitern der Gespräche über jenen Tarifvertrag, der mit der Produktion eines neuen Minivans 5000 neue Arbeitsplätze zu 5000 Mark Einheitslohn schaffen sollte. Die IG Metall sperrt sich gegen das "Programmentgelt", mit dem VW-Personalvorstand Peter Hartz die Bezahlung der neuen Beschäftigten teilweise von der Arbeitszeit abkoppeln und an die Produktionsmenge binden will.

Martin Kannegiesser, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, erkennt dagegen im Programmentgelt ein interessantes Projekt mit Bedeutung über VW und die Werften hinaus: "Als Experiment sollte man das durchaus einmal versuchen und daraus später gemeinsam tarifpolitische Schlussfolgerungen ziehen", so Kannegiesser gegenüber dem Handelsblatt. Dann lasse sich auch die "Fairness-Frage" beantworten - die Abwägung zwischen dem Arbeitszeitrisiko des Mitarbeiters und dem Kostenrisiko der Firma. Letztere bleibe bei einem Verfehlen der Absatzprognosen schließlich nicht nur auf Teilen ihres Kapitalinvestments sitzen, sondern auch auf Arbeitskosten: "Jeder Mann zu viel an Bord bedeutet 180 000 Mark Kostenüberhang." Als "besonders spannend" wertet Kannegiesser zudem die mit dem VW-Projekt verbundene Absicht, eine industrielle Autoherstellung großenteils mit angelernten Arbeitskräften aufzubauen. "Das Nein der Gewerkschaft ist gerade dann unverständlich, wenn man sieht, dass der Facharbeitermarkt leer gefegt ist und geringer Qualifizierte zu Hunderttausenden einen Job suchen."

Die Gefahr eines Dammbruchs zu Lasten des Flächentarifs sieht Kannegiesser nicht - schon weil der geplante Einheitslohn für die Fläche der Metall- und Elektroindustrie eine "absurde Vorstellung" sei. Ebenso sei es schwer vorstellbar, dass sich eine große Zahl von Metall- und Elektro-Unternehmen nun daran mache, neue Werke für Arbeitslose zu bauen, um die angeblich günstigen Konditionen des VW-Modells zu bekommen. "Und wenn dem so wäre", fragt Kannegiesser, "was wäre dagegen einzuwenden bei 3,7 Millionen Arbeitslosen und einem leer gefegten Fachkräfte-Arbeitsmarkt?" In jedem Fall zeige die Debatte, "dass es für den Flächentarif vorteilhaft wäre, dort Sonderregelungen für Betriebe aufzunehmen, die vorübergehende Probleme mit ihrer Wettbewerbsfähigkeit lösen müssen und keine Mitarbeiter freistellen wollen".

Hans Paul Frey, Hauptgeschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie (BAVC), sieht es ähnlich - und weist auf die hohe Flexibilität des Chemie-Branchentarifvertrags hin: "Wenn man den Flächentarifvertrag verantwortungsbewusst für betriebliche Lösungen öffnet, dann stellt sich ein Problem wie bei Volkswagen nicht." Der Chemietarif sieht neben der Option abgesenkter Entgelte für Langzeitarbeitslose unter anderem einen Korridor vor, der Wochenarbeitszeiten zwischen 35 und 40 Stunden erlaubt. Als Beleg für den Vorsprung der chemischen Industrie liefert Frey die Absicht der Philips Deutschland GmbH, mit den 3000 Beschäftigten ihrer Halbleitersparte vom Metall- zum Chemietarif zu wechseln: "Es zeigt die Attraktivität der flexiblen Chemietarife und der Sozialpartnerschaft in unserer Branche."

dc

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