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Mehdorn

© ddp

Tarifstreit: Höchste Eisenbahn

Sie sind Welten auseinander: Hier Bahnchef Mehdorn, der Fabrikantensohn, dort Gewerkschaftsführer Schell, der früher in Viehwaggons den Kot weggescheuert hat. Nun wollen sie wieder verhandeln. Die Chronologie einer Annäherung von Carsten Brönstrup.

Am vorläufigen Ende geht es dann wieder so zu wie bei ähnlichen Anlässen in den Wochen zuvor, Manfred Schell ist wieder aufgebracht, wieder einmal eine Pressekonferenz, sein erster Satz lautet: „Wir treffen uns mal wieder, weil wieder nichts entschieden ist.“ Und doch ist dieser Auftritt das Ende einer Zeit des Stillstands und des öffentlichen Schweigens. Manfred Schell, der Chef der Lokführergewerkschaft, sagt: Er werde am nächsten Montag mit dem Bahnvorstand in Verhandlungen treten, einmal, er werde dort eine Frage stellen, und je nachdem wie diese beantwortet werden wird, soll entweder weiterverhandelt werden oder wieder gestreikt. Immerhin, eine Verhandlungsrunde, eine Frage.

Es ist die Frage nach der Bereitschaft der Bahn, den Lokführern einem „echten“ eigenständigen Tarifvertrag zuzugestehen.

Es ist die für Schell und die Gewerkschaft der Lokführer entscheidende Frage, den eigenen Tarifvertrag wollen sie noch dringlicher als die bis zu 13 Prozent mehr Gehalt, die ihnen im letzten Angebot von Bahnchef Hartmut Mehdorn vorgeschlagen worden sind. Dieses Angebot beinhaltete so einen Vertrag zwar auch, aber versehen mit etlichen Einschränkungen. „Es ist wieder nichts entschieden“, sagt Schell also, die Lage ist so wie immer, aber dass er einlenkt ist neu. Und es hat seine Ursache in dem, was in den letzten zehn Tagen geschehen ist.

Kaum ein Tarifstreit in der Bundesrepublik wurde so erbittert geführt wie dieser. Die bisherige Bilanz: sechs Angebote zur Lohnerhöhung, stundenlange Verhandlungen, öffentlich, geheim und sogar vor Gericht, unzählige Ultimaten, eine umstrittene Kur am Bodensee, Beschimpfungen, Appelle auf ganzseitigen Zeitungsanzeigen. Und vor allem: mehr als 170 Stunden Streik, Millionen verspätete Kunden, verstopfte Containerhäfen, mangels Nachschub stillliegende Fabriken.

Trotz aller Streiks stehen die Bundesbürger noch immer auf der Seite der Lokführer, das zeigen die Umfragen. Vielleicht ist es die heimliche Schadenfreude darüber, dass es mal jemand der unbeliebten Bahn so richtig zeigt. „David gegen Goliath – vielleicht spielt auch das eine Rolle“, mutmaßt Mehdorn.

Als erstes bewegte sich Manfred Schell, kurz nachdem seine Lokführer Mitte November drei Tage lang den Zugverkehr massiv behindert hatten. Plötzlich sandte er anschmiegsame Signale in Richtung der Bahn-Spitze aus. „Mit Herrn Mehdorn verstehe ich mich recht gut“, hatte er am vorvergangenen Wochenende im Tagesspiegel-Interview gesagt. Da lagen bereits mehrere geheime Treffen mit dem Bahn-Chef hinter ihm – die beide Seiten bis gestern dementierten. Parallel dazu hatte die Bahn mit der Arbeit an einem neuen Angebot für die Lokführer begonnen – zugleich aber die Gewerkschaft auf einen Millionen-Schadenersatz wegen eines angeblich illegalen Streiks verklagt.

Überhaupt nicht geheim ging es am darauf folgenden Sonntag weiter: Im Fernsehen, bei „Anne Will“, fetzten sich Manfred Schell und Mehdorns Personalexpertin Margret Suckale noch einmal. Die bisherigen Streiks hätten „Millionen durch den Kamin gejagt, davon ließen sich unsere Forderungen für die nächsten fünf Jahre bezahlen“, sagte Schell. Als „Super-Nanny“ der Bahn hatte er Suckale einmal beschimpft, den gesamten Vorstand als „Außerirdische“.

Trotzdem flehte Suckale ihn vor 4,6 Millionen Zuschauern um neue Verhandlungen an. „Wir sagen alle Termine ab. Herr Schell, kommen Sie!“ Doch der blieb dann wieder stur – er gönnte Suckale den Triumph nicht. Allein die Forderung nach einem Lohnaufschlag reduzierte er – von anfangs 31 auf nur noch „10 bis 15 Prozent“. Erst als die Scheinwerfer erloschen waren, taute das Eis. Beide reichten sich die Hände, er sagte ein Treffen zu – allerdings erst noch etwas später, im Internet-Chat mit ein paar Unentwegten. „Mach hier nicht auf Hardliner – komm!“, habe er nach der Sendung zu sich selbst gesagt, erzählte er. Zeit habe er allerdings erst am Dienstag, zuvor würden unaufschiebbare Termine warten – ein Affront, auch gegenüber Mehdorn.

Wie in jedem Tarifstreit prallen auch in diesem Welten aufeinander, das verkörpern vor allem die beiden Chefs. Hier Mehdorn, der Berliner Fabrikantensohn, der im Flugzeugbau Karriere machte, schon mit 37 einem Vorstand angehörte und seitdem bis an die Spitze eines der wichtigsten Unternehmen des Landes aufstieg. Dort Schell, der Lokführer aus Leidenschaft, der einst in Viehwaggons den Kot und in Dampflok-Schornsteinen den Ruß wegscheuerte, ehe er im Führerstand Platz nehmen durfte. Mehdorn sammelt Briefmarken und segelt, Schell ist Kartenspieler und jagt gerne PS-starke Wagen über die Autobahn. Beiden gemein ist indes das offene Wort. „Diplomat wollte ich nie werden“, hat Mehdorn jüngst seine Autobiografie betitelt. Ein „Urgestein“ wird Schell von einem Gewerkschaftskollegen genannt, „ganz brutal ehrlich“.

Dass beide dann doch bereits am Montag nach der Fernsehsendung zusammenkamen, lag an Wolfgang Tiefensee. Bislang hatte er sich aus dem Tarifstreit herausgehalten, weil sich das für einen Politiker so gehört. Doch der zuletzt glücklose Sozialdemokrat, als Verkehrsminister quasi Miteigentümer der Bahn, erkannte die Chance auf gute Presse und rief Schell und Mehdorn am späten Nachmittag in sein Ministerium an der Berliner Invalidenstraße. Anschließend schwiegen beide, dafür aber war Tiefensee redselig: Mehdorn habe ein neues Angebot zugesagt, sagte Tiefensee, schon bis Weihnachten könne der Konflikt ausgestanden sein.

Seine Strategie hatte der Bahn-Chef da längst geändert. Kompromissangebote via Fernsehen, mit viel Tamtam und markigen Sprüchen, das funktionierte mit der GDL nicht, das hatte Mehdorn, Hauptmann der Reserve, nun begriffen. „Wenn wir erst einmal verhandeln, geht noch vieles“, machte sich ein anderer Bahn-Vorstand Mut. Mehdorn lotete also aus, wie beide Parteien wieder an einen Tisch kommen könnten – „abends, morgens, nicht nur mit Herrn Schell“, erzählte er.

Es ging weniger um Taktik, sondern um Gefühl – nicht eben die Mehdorns Stärke. „Schuhbeck’s Check-Inn“, ein Edel-Restaurant am südhessischen Flughafen Egelsbach, schien am vergangenen Dienstag der passende Ort für die Charme-Offensive. Mehdorn und Suckale waren mit dem Kleinflugzeug angereist, Schell und sein Vize Claus Weselsky mit dem Wagen. Über zehn Stunden rangen sie um Details, zwischendurch flog Mehdorn zu einem Regierungstermin nach Süd-Brandenburg, wechselte die Runde ins Frankfurter Bahn-Büro. „Ein mühsamer Tag“, stöhnt der Bahn-Chef im Rückblick. „Ständige 16-Stunden-Tage, das ist ein Knochenjob“, beteuert auch Suckale.

Wie wichtig das Treffen war, wurde an diesem Tag spätestens um zwei Minuten nach acht in der „Tagesschau“ klar. Der Fernsehreporter meldete, dass Mehdorns Fahrer die Dienstlimousine soeben noch einmal in den Hinterhof des Bahn-Büros gefahren habe. „Es geht das erste Mal richtig um substanzielle Dinge“, schloss der Fernsehmann aus dieser Fahrzeugbewegung, Beratungen in der Zentrale fanden also statt, unaufschiebbare.

Wirklich Neues gab es dann am Mittwoch – da quoll das neue, nunmehr sechste Angebot der Bahn aus dem Faxgerät der Gewerkschaft. „Wir sind jederzeit und an jedem Ort zu Verhandlungen bereit“, schickte Mehdorn noch hinterher. In der GDL-Zentrale im Frankfurter Stadtteil Nordend, einem kantigen Zweckbau, herrschte nach dem Studium erst einmal Ernüchterung. Doch beide Parteien hatten Stillschweigen über die Offerte vereinbar.

Dabei war vielen GDL-Leuten zum Schreien zumute. Denn einen eigenständigen Tarifvertrag will der Staatskonzern seinen Lokführern noch immer nicht zugestehen. Nur beim Lohn mochte sich die Bahn bewegen: Acht Prozent mehr bietet sie, durch freiwillige Mehrarbeit wären es bis zu 13 Prozent. Für Schell nicht genug. Noch am Mittwoch setzte er einen Brief an mehrere Verkehrspolitiker auf. „Unter dieser Voraussetzungen ist damit aus unserer Sicht die Grundlage für Tarifverhandlungen entzogen“, schrieb er. Die Bekanntgabe der Entscheidung ließ er erst auf Montag festsetzen – wohl in der Hoffnung, dass die Bahn bis dahin noch nachlegen würde.

Doch Schells Kalkül ging nicht auf. Kein Politiker brachte die Bahn dazu, auf seine Forderung einzugehen. „Der Aufsichtsrat, die Regierung, alle sagen mir, die Tarifeinheit muss gewahrt bleiben“, erzählte Mehdorn. Trotzdem hält die GDL dicht. Nur eine Handvoll Gewerkschaftsfunktionäre kennt die Details. „Kein Kommentar“, sagte GDL-Vize Weselsky am Freitagabend. Die 27 Funktionäre, die über das Angebot zu entscheiden haben, sollten erst am Sonntagabend über die Details informiert werden.

Doch Mehdorn preschte bereits am Sonnabend vor. In Neu-Ulm, bei der Eröffnung einer Bahn-Strecke, plauderte er über Details des Angebots. Auch dieses Mal werde es keine Extrawurst für die Lokführer geben, rief er, untermalt von Volksmusik, in die Mikrofone. Also wieder kein eigener Tarifvertrag. „Es wäre besser gewesen, wenn er den Mund gehalten hätte“, kommentierte Hans-Joachim Kernchen, GDL-Bezirkschef von Berlin, Brandenburg und Sachsen. Seine Kollegen aus anderen Regionen reagierten ähnlich. Nur Schell mühte sich bis zum Schluss um Mäßigung. „Den Optimismus lass ich mir nicht nehmen“, sagte er noch am Sonntagabend. Denn streiken, das weiß er, kann die GDL immer noch, selbst wenn sie sich nun auf Verhandlungen einlässt. Zudem sind unbefristete Ausstände nicht ohne Risiko. Sie kosten nicht nur Geld, schlimmstenfalls kann ein Gericht sie verbieten, weil sie unverhältnismäßig sind.

Mehdorn und Schell müssen nun einen Kompromiss finden, mit dem beide ihr Gesicht wahren. Das ist zwar immer so in Tarifverhandlungen, doch in diesem Fall ist es besonders schwierig. Wenn alles vorüber ist, wollen sie zusammen ein Bier trinken gehen, hat Schell einmal vorgeschlagen. Im Februar geht er in Pension, dann hat er viel Zeit.        

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