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Eine Flasche mit Desinfektionsmittel an der Hotelrezeption.

© Reuters

Exklusiv

Tausende leere Zimmer in Berlin: Hotels könnten bald zu Quarantänestationen werden

Der Berliner Senat prüft, Corona-Infizierte in Hotels unterzubringen. Manche Häuser sind bereits erfinderisch geworden - und vermieten ihre Zimmer als Büros.

Von Laurin Meyer

Es klingt wie der Traum eines jeden Angestellten: ein Büro mit einem eigenen Bad, die Kaffeemaschine gleich neben dem großen Flachbildschirm, und darunter ein stets gefüllter Kühlschrank mit Getränken und Snacks. Bei vielen, die gerade vom heimischen Sofa arbeiten müssen, dürfte die Sehnsucht nach einem üppigen Arbeitszimmer groß sein.

„Homeoffice kann toll sein, manchmal muss man für konzentriertes Arbeiten aber einfach ein anders Umfeld haben“, wirbt Verena Jaeschke. Denn sie bietet diesen Luxus an. Jaeschke ist Direktorin zweier Berliner Hotels, darunter das bekannte Hotel Oderberger. Und dort hat sie ihre Zimmer kurzerhand zu Büros umfunktioniert.

Arbeiten, wo sonst Gäste ihren Urlaub verbringen? Das bieten mittlerweile einige Hotels in Berlin an. Denn wegen der Coronakrise bleiben die Häuser für Touristen geschlossen, einige kämpfen gar ums Überleben.

Und während der Einzelhandel schrittweise wieder öffnen darf, haben Hotels von der Politik noch keine Perspektive bekommen. Die Sommersaison droht auszufallen. Da kann ein solcher Nebenverdienst zum Notnagel werden.

Eine Firma pro Etage

In Jaeschkes Hotels kostet ein Arbeitstag 55 Euro, die Arbeitswoche gibt es für 249 Euro. Mit der Nachfrage zeigt sich die Hotelmanagerin zufrieden, ohne genaue Zahlen zu nennen. In der vergangenen Woche habe sich sogar die erste Firma gemeldet, die gleich mehrere Zimmer für Ihre Mitarbeiter angefragt hat.

Der Vorteil: Die Kollegen sind in der Nähe, jeder hat aber ein Einzelbüro und ein eigenes Bad. Pro Etage eine Firma? Wäre möglich, sagt Jaeschke. Das Projekt ist jedoch mit etwas Mehraufwand verbunden – vor allem bei der Hygiene.

„Jedes Zimmer wird nach der Nutzung gründlichst gereinigt“, verspricht die Hotelbetreiberin. Die Klinken und Flächen in den Hotelzimmern werden nach jedem Gast täglich geputzt und desinfiziert.

Das Hotel Oderberger vermietet seine Zimmer als Büros.
Das Hotel Oderberger vermietet seine Zimmer als Büros.

© Doris Spiekermann-Klaas/Tsp

Wer seine Zimmer für Ärzte und Pfleger öffnen will, kann sich auf der Plattform „Hospitality Heroes“ kostenlos registrieren. Die Idee dafür stammt vom Start-up Apaleo, dem Entwickler eines Hotelreservierungssystems.

Europaweit machen mittlerweile fast 500 Hotels mit, stellen zusammen mehr als 60.000 Zimmer zur Verfügung. Sie wollen vor allem solchen Medizinern einen Schlafplatz bieten, die aus anderen Regionen kommen.

Aber auch an andere Berufspendler aus systemrelevanten Branchen richtet sich das Angebot. Ob die Hotelbetreiber für ihre Dienste Geld bekommen, hängt von der jeweiligen Vereinbarung zwischen Gast und Hotel ab. Die Plattform „Hospitality Heroes“ vermittelt nur die Anfragen.

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Bald könnte noch eine, wenn auch spezielle, Kundschaft hinzukommen: Corona-Infizierte. Denn für die erwägt Berlin offenbar, Hotels anzumieten.

„Auch im Land Berlin wird die Möglichkeit geprüft, derzeit nicht genutzte Beherbergungsbetriebe für die Unterbringung von Covid-19-Infizierten zu nutzen“, erklärt ein Sprecher der Senatsverwaltung für Gesundheit auf Nachfrage des Tagesspiegels. Die Prüfungen seien allerdings noch nicht abgeschlossen.

„Sobald dies der Fall ist, wird die Senatsverwaltung für Gesundheit darüber informieren“, heißt es weiter. In welchem Umfang die Hotels der Stadt zu Quarantänestationen umfunktioniert werden könnten, ist also noch offen.

Maßnahme könnte Hotels in der Krise helfen

Gesundheitspolitiker sehen in dem Konzept gleich zwei Vorteile. „Zu allererst kann es einen echten Beitrag zum Infektionsschutz leisten“, sagt Catherina Pieroth, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.

Dabei denkt Pieroth etwa an Wohngemeinschaften, bei denen eine Person infiziert ist und zum Schutz der Mitbewohner lieber im Hotel untergebracht wird. So könnten Infektionsketten schneller unterbrochen werden. „Zum anderen hilft es Hotels in der Krise“, sagt die Gesundheitspolitikerin. Schon zu Beginn der Coronakrise hätten die Grünen der Senatsverwaltung für Gesundheit um Senatorin Dilek Kalayci (SPD) diesen Vorschlag unterbreitet, bislang jedoch kein Feedback dazu bekommen.

Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD).
Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD).

© dpa

Auch der Berliner Gesundheitspolitiker Tim-Christopher Zeelen (CDU) fordert vom Senat ein Konzept in Abstimmung mit der örtlichen Hotelbranche. An einer Stelle könnte es aus seiner Sicht jedoch scheitern. „Ich vermute, dass bei der Kontaktnachverfolgung die häusliche Situation der Betroffenen bislang zu wenig berücksichtigt und abgefragt wird“, sagt Zeelen.

Hotelbranche hat bereits Vorschläge gemacht

Die Hotelbranche stehe jedenfalls bereit, signalisiert der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) in Berlin. Der Landesverband habe mit dem Senat gleich drei Szenarien durchgesprochen. Neben der Unterbringung von Coronavirus-Infizierten könne sich der Verband auch vorstellen, andere leicht erkrankte Patienten aus den Kliniken in Hotels umzuquartieren. Damit hätten die Krankenhäuser mehr Kapazitäten für Covid-19-Fälle frei, so die Idee.

Als dritte Option könnten Betriebe ihre Zimmer auch den Frauenhäusern zur Verfügung stellen. Einzelne Hotels machen das schon jetzt auf eigene Initiative. Sollte sich der Senat für eines der Szenarien entscheiden, könnten einige Häuser die ersten Zimmer innerhalb weniger Stunden bereitstellen, heißt es vom Berliner Hotelverband. Auch die nötigen Sicherheits- und Hygienestandards seien garantiert. Die medizinische Versorgung müsse allerdings der Senat klären.

In Leverkusen leben mit dem Coronavirus infizierte Senioren im Hotel

Ein Vorbild für ein solches Konzept hätte Berlin. Die Stadt Leverkusen hat jüngst Teile eines Hotels angemietet, um daraus eine Coronastation zu machen. Auf einer Etage im örtlichen „Best Western“-Hotel bringt die Stadt unter Quarantäne gestellte oder mit dem Coronavirus infizierte Senioren unter. Darunter auch solche, die bereits aus dem Krankenhaus entlassen wurden, aber wegen der Ansteckungsgefahr noch nicht nach Hause oder in ihre Pflegeeinrichtungen zurückkehren können.

Ein Pflegedienst betreut die Senioren, das Essen liefert eine Cateringfirma. Und brauchen die Senioren medizinische Betreuung, schaut bei Bedarf ein Arzt vorbei.

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Ein offenes Angebot sei das aber nicht, erklärt eine Sprecherin auf Nachfrage. Vielmehr sei es eine ordnungsbehördliche Anordnung auf Basis des Infektionsschutzgesetzes. Wer wie lange im Hotel wohnen muss, darüber entscheidet das örtliche Gesundheitsamt. Insgesamt 25 Zimmer hat die Stadt angemietet, bei Bedarf könne sie weitere hinzubuchen. Noch ist die improvisierte Quarantänestation allerdings nicht ausgelastet.

Vier Personen wohnen derzeit im Hotel, sechs sind wieder ausgezogen. Die Kosten für den Betrieb der Hoteletage zahlt die Stadt übrigens selbst. Die Zimmer habe die zuständige Verwaltung zu ortsüblichen Konditionen angemietet, heißt es. Wie hoch die Endabrechnung ausfallen wird, ließe sich aber noch nicht sagen.

Epidemiologe bezweifelt den Nutzen

Laut Tobias Kurth, Epidemiologe an der Berliner Charité, könnten solche Maßnahmen allerdings mehr Schaden als Nutzen bringen. „Eine solche Isolation von SARS-CoV-2-Positiven und den entsprechenden Kontaktpersonen führt vielleicht noch zu einer besseren Kontrolle“, sagt Kurth. Hierzulande liege die Reproduktionszahl aber schon mit den jetzigen Maßnahmen teilweise unter eins. Das bedeutet: Eine infizierte Person steckt im Schnitt weniger als eine weitere Person an.

Ein mögliches Mittel, um Infektionsketten nachzuverfolgen: Apps fürs Smartphone.
Ein mögliches Mittel, um Infektionsketten nachzuverfolgen: Apps fürs Smartphone.

© dpa

„Und da der zusätzliche Nutzen unklar ist, ist die Anwendung einer solchen Maßnahme sehr kritisch zu sehen“, sagt Kurth. Denn Betroffene müssten dann zusätzlich zur Quarantäne auch ihre gewohnte Umgebung verlassen – mit all der Problematik etwa bei der Kinderbetreuung oder dem Homeschooling. „Da sind die mentalen Auswirkungen einer solchen Maßnahme vielleicht größer als der Gewinn.“, sagt Kurth.

Hohe Anforderungen an Ausweichkrankenhäuser

Und auch bei schweren Covid-19-Fällen könnte das Konzept an seine Grenzen stoßen, sollten Hotels gar zu Ausweichhospitale umfunktioniert werden, meint Marja-Liisa Völlers, SPD-Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Gesundheitsausschuss. „Ein Notfallkrankenhaus besteht ja noch aus viel mehr und hat zurecht hohe Ausstattungs- und Hygienestandards“, sagt Völlers. „Das lässt sich nicht so eben mal aus dem Ärmel schütteln.“

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Ob Hotels demnächst mit dem Coronavirus infizierte Menschen aufnehmen werden, dürfte ohnehin eine Überlegung der Länder und Kommunen bleiben. „Da die Krankenhausplanung im Verantwortungsbereich der Länder liegt, wird diese Frage auf Bundesebene nicht diskutiert“, erklärt die Gesundheitspolitikerin.

Im Einzelfall könne das Sinn ergeben – etwa dort, wo sich das Hotel direkt neben der Klinik befindet und daher gut an die Infrastruktur angeschlossen werden könne. „Für eine flächendeckende Aufnahme der Hotels in die Krankenhausplanung der Länder sehe ich aktuell keinen Bedarf.“ 

Hotelmanagerin Verena Jaeschke vom Hotel Oderberger will nicht fatalistisch klingen. „Aber die Coronakrise ist ein harter Schlag“, sagt sie. Da könne auch die Vermietung ihrer Zimmer als Büros nur begrenzt Abhilfe schaffen. Neben den Sofortkrediten würde sie sich auch Zuschüsse für die Hotelbranche wünschen. Immerhin einen positiven Effekt habe die Coronakrise jedoch: dass alle versuchen würden, im ihnen möglichen Rahmen zu helfen.

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