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Wirtschaft: Telekom-Klagen kommen bald vor Gericht

Richter Wösthoff rechnet bis zum Jahresende mit mindestens 4000 neuen Klagen - im schlimmsten Fall können es sogar 17 000 sein

Berlin – Voraussichtlich im Winter werden die ersten Klagen von Aktionären gegen die Deutsche Telekom verhandelt. „Wenn die Parteien mitspielen, werde ich zum Winteranfang die ersten Verfahren verhandeln“, sagt Meinrad Wösthoff, Vorsitzender Richter am Landgericht Frankfurt (Main), dem Tagesspiegel. Der Richter rechnet bis zum Jahresende mit mindestens 4000 neuen Klagen.

Bisher liegen dem Richter rund 2100 Klagen vor. In den Klagen werfen Aktionäre der Deutschen Telekom vor, in ihrem Börsenprospekt für die dritte Emission von T-Aktien im Jahr 2000 falsche Angaben gemacht zu haben – vor allem über den Wert ihrer Immobilien. Die Aktionäre wollen einen Ausgleich für die Verluste, die sie seither mit der vermeintlichen Volksaktie erlitten haben.

„2100 Klagen – mit dieser Anzahl könnte man eigentlich zwölf Richter beschäftigen“, sagt Wösthoff. Aber nur er ist zuständig. Das Gesetz schreibt vor, dass börsenrechtliche Ansprüche bei dem Landgericht der Börse verhandelt werden müssen, wo die Aktien zum Handel zugelassen wurden. Für die T-Aktie ist das die siebte Kammer für Handelssachen am Landgericht Frankfurt.

Hinter den 2100 Klagen stehen etwa 14000 bis 15000 Kläger, vertreten durch rund 630 Anwaltsbüros. Einige Anwälte haben die Klagen verschiedener Aktionäre zusammengefasst. Klagehäufung nennen die Juristen das. Denn eine Sammelklage, wie sie etwa das amerikanische Recht vorsieht, gibt es in Deutschland nicht. Etwa ein Drittel der Klagen haben zehn Anwaltsbüros verfasst. Das erleichtert dem Richter seine Arbeit etwas. „Diese Anwälte haben nicht bei jeder Klage das Rad neu erfunden. Was die Klagebegründungen anbelangt, sind diese weitgehend deckungsgleich“, sagt Wösthoff. Daher musste er sie nicht alle lesen. Dennoch: Manche Klageschriften sind 90 Seiten stark. Die Ordner füllen zwei 18 Quadratmeter große Aktenzimmer.

Wösthoff sucht Verfahren heraus, „die alle Probleme, die sich bei dem Komplex Telekom ergeben, auch darstellen“. Etwa zwölf Verfahren will er noch in diesem Jahr verhandeln.

Mit den ersten Entscheidungen sollen Kläger und Beklagte sehen können, in welche Richtung das Gericht gehen wird. „Ich stelle mir vor, dass dann erst einmal eine Beruhigung eintritt“, sagt er. Denn dann werden alle abwarten wollen, wie das Berufungsgericht und unter Umständen sogar der Bundesgerichtshof entscheiden werden. Deren Urteil wird Einfluss auf die übrigen Verfahren haben.

Aber es kommt noch mehr Arbeit auf Wösthoff zu. „Ich rechne bis zum Jahresende mit weiteren 4000 Klagen, vielleicht sogar noch mehr.“ Im Extremfall könnten es weitere 17000 werden. Zwar ist die Verjährungsfrist im Mai 2003 abgelaufen. Aber 17000 Anleger haben bei der Öffentlichen Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle Öra in Hamburg ein Güterverfahren beantragt, das die Verjährung unterbricht. 400 bis 500 Fälle verhandelt die Öra im Monat. Weil die Telekom dort aber nicht erscheint – sie hält den Börsenprospekt für korrekt – haben die Anleger nach dem gescheiterten Verfahren noch sechs Monate Zeit, vor Gericht zu gehen.

Das Verfahren sprengt nicht nur die Dimensionen alles bisher Dagewesenen. Pikant ist es auch, weil sich die Klagen nicht nur gegen die Telekom richten, sondern zum Teil auch gegen die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Bundesrepublik. Denn die hat die Telekom-Aktien an der Börse platziert. Nicht nur wegen der hochrangigen Beklagten könnte Wösthoff mit seinem Fall Rechtsgeschichte schreiben. „Der Gesetzgeber hat durch dieses Verfahren offensichtlich erkannt, dass man nicht auf der einen Seite gesetzliche Ansprüche aus dem Börsengesetz schaffen kann, man muss auch auf der anderen Seite dafür sorgen, dass sie sich in der Praxis durchsetzen lassen. Das ist das Problem vor dem wir hier stehen.“ Tatsächlich wird schon an einer Gesetzesänderung gearbeitet.

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