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Wirtschaft: Teurer Rausschmiss

Starre Arbeitsmarktregeln in Europa verhindern Kündigungen – und einen wirtschaftlichen Aufschwung

Arbeitskräfte entlassen – das kostet in Europa viel Geld. So kommt es, dass Unternehmen auch drei Jahre nach Beginn der Wirtschaftskrise an ihren Mitarbeitern festhalten. Das aber könnte einen Wirtschaftsaufschwung in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt verlangsamen. Davor warnt zumindest die Europäische Zentralbank.

Die Lufthansa etwa hat schwere Jahre hinter sich: Die Fluggesellschaft verbuchte nach dem 11.September und der Sars-Epidemie Einbrüche bei Geschäftsreisen und Touristenflügen. Eine Zeitung hatte deshalb im Frühjahr geschrieben, die Fluggesellschaft werde 20000 ihrer 94000 Mitarbeiter entlassen. Doch Lufthansa hält Entlassungen für „wirtschaftlich nicht die beste Lösung“ – und wies die Medienberichte zurück. Denn die Entlassungen wären teuer: Sie würden das Unternehmen zwei Milliarden Euro kosten.

Lufthansa ist nur ein Beispiel. Andere Unternehmen verhalten sich ebenso. Das erklärt, warum die Arbeitslosenrate in der Eurozone seit ihrem Tiefstand im Jahr 2001 nur um 0,8 Prozentpunkte gestiegen ist und nun auf dem Drei-Jahres-Höchststand von 8,8 Prozent verharrt. Zum Vergleich: Die Arbeitslosenquote in den USA hat seit ihrem niedrigsten Stand im Jahr 2000 um 2,6 Prozentpunkte auf den Neun-Jahres-Höchststand von 6,4 Prozent zugenommen. Auch in Japan ist die Arbeitslosenzahl in den vergangenen Jahren gestiegen. Dabei müsste es umgekehrt sein: Die Wachstumsraten waren in der EU im Schnitt geringer als in den USA und in Japan.

Entlassungen sind in Europa so teuer, weil Kündigungsverfahren, Abfindungen und Arbeitsverträge gesetzlich geregelt sind. Das hat zwar einen Vorteil: Ein Wirtschaftsabschwung wird abgefedert, weil die unbesorgten Konsumenten weiter bereit sind, Geld auszugeben. Andererseits verhindern die rigiden Regeln, dass Unternehmen während Konjunkturflauten ihre Kosten schnell senken können.

Dass die Unternehmen Arbeitskräfte horten, hat aber auch einen zweiten Nachteil. Auf den hat jüngst die EZB hingewiesen, als sie forderte, die erstarrten europäischen Arbeitsmärkte zu reformieren. Denn die Restriktionen verzögerten die Konjunkturerholung, dadurch fiele das Wirtschaftswachstum beim erwarteten Aufschwung nur gering aus. Dies könnte zu größerem Stellenabbau führen, schrieb die EZB vergangenen Dienstag in ihrem Monatsbericht.

Statt Arbeitskräfte zu entlassen, würden Unternehmen die Arbeitsschichten verkürzen. „Das wird wahrscheinlich zu einer langsameren Erholung auf den Arbeitsmärkten führen“, heißt es im Monatsbericht. Der Grund: Die aktuellen Belegschaften reichen auch für eine höhere Produktion aus. Bevor der Aufschwung nicht deutlich an Fahrt gewinnt, würden die Unternehmen daher keine neuen Arbeitskräfte einstellen. Doch die EZB erwartet für die zweite Jahreshälfte nur „eine allmähliche, moderate Erholung“.

Das sind schlechte Nachrichten – auch für die USA und die globale Wirtschaft. In der Eurozone leben mehr Menschen als in den USA, das europäische Bruttosozialprodukt ist größer als das japanische. Ein Sechstel der amerikanischen Exporterlöse stammten aus der Eurozone.

Dennoch rechnet US-Finanzminister John Snow mit einer kräftigen wirtschaftlichen Erholung der amerikanischen Wirtschaft. Snow reiste vier Tage durch Europa und führte Gespräche mit mehreren europäischen Politikern, so am Donnerstag mit dem deutschen Finanzminister Hans Eichel und dem EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing. Er forderte die europäische Politik auf, etwas für die Wiederbelebung der Wirtschaft zu unternehmen. Die Erholung der Weltwirtschaft solle nicht nur von einem Aufschwung in den USA abhängen, forderte Snow.

Ökonomen sagen schon seit Jahren, die wichtigste Voraussetzung für Wachstum in Deutschland seien Reformen. Der Arbeitsmarkt und andere Märkte müssten flexibler und wettbewerbsfähiger werden. Doch es besteht Hoffnung: Snow äußerte sich nach seinem Treffen mit Eichel optimistisch über die deutschen Pläne. Es gebe Aussichten auf richtige Reformen, die ein Fundament für ein starkes Wachstum in den kommenden Jahren legten, sagte Snow. Unter anderem will die Bundesregierung die üppige Arbeitslosenunterstützung kürzen.

Doch nach wie vor halten europäische Unternehmen trotz Konjunkturflaute an ihrer Belegschaft fest – Lufthansa ist da kein Einzelfall. Auch die Deutsche Post hat mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi einen Beschäftigungspakt geschlossen. Der Konzern garantiert die Arbeitsplätze der 240000 Angestellten für fünf Jahre. Dafür opfern die Angestellten zwei arbeitsfreie Tage. Außerdem kann die Post von der Belegschaft verlangen, bei Bedarf eine Woche länger zu arbeiten, gab das Unternehmen bekannt.

Übersetzt und gekürzt von Tina Specht (Freizeit), Karen Wientgen (Entlassungen), Matthias Petermann (Stabilitätspakt und Monti) und Christian Frobenius (Hongkong).

Thomas Sims[Frankfurt]

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