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Geschlossen. Durch Ladenschließungen sind bei vielen Bekleidungs- und Heimtextilherstellern die Umsätze auf null gefallen, so Ingeborg Neumann.

© imago images/blickwinkel

Textilindustrie und Corona: "Hierzulande fehlt uns schlicht die Konsumlust"

Ingeborg Neumann, Textilunternehmerin und Chefin des Branchenverbandes, ist enttäuscht über die Politik und regt Einkaufsgutscheine und Sonntagsverkauf an.

Frau Neumann, wie kommen Sie zu der Einschätzung, die deutsche Textilindustrie sei systemrelevant?
Neben hochwertiger Mode, Bekleidung und Textilien rund ums Wohnen produzieren wir Spezialtextilien für zahlreiche Industriebereiche, bei technischen Textilien mit einer hohen Innovationskraft. So sind wir in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einem unverzichtbaren Lieferanten geworden für die Auto- und Luftfahrtbranche, Umwelt- und Energietechnik, den Medizinbereich oder auch die Bauwirtschaft.

Wie ist die aktuelle Situation?
Gerade für unsere Bekleidungs- und Heimtextilhersteller ist die Lage dramatisch. Durch die Ladenschließungen sind die Umsätze bei einigen bis auf null gefallen. Auch die Lieferungen für die Industrie sind eingebrochen. Automotive kommt langsam wieder in Gang, aber die Flugzeugindustrie noch lange nicht. Alles in allem gibt es eine unglaubliche Verunsicherung. Es gibt keine Planungssicherheit mehr in Deutschland und in Europa, wo ja der größte Teil unserer Exporte hingeht. Wenn wir in Deutschland anfahren, dann fahren wir noch lange nicht in Europa an. Und hierzulande fehlt uns schlicht die Konsumlust.

Was meinen Sie damit?
Bekleidung und Mode haben auch mit Lebensfreude zu tun. Wenn die Restaurants nicht öffnen dürfen und wir nicht reisen können und die Menschen Angst um ihren Arbeitsplatz haben, dann drückt das auf die Stimmung. Es wird noch lange dauern, bis wir diese Durststrecke hinter uns haben.

Hat die erste, leichte Öffnung des Einzelhandels nichts gebracht?
Für uns als Unternehmer ist es unglaublich wichtig, dass wir wieder unternehmerisch handeln können. Wenn das Geschäft geöffnet ist, dann können wir uns um die Kunden kümmern. Das ist auch psychologisch nicht zu unterschätzen. Selbstverständlich achten wir auf Hygiene und Abstand und Maskenpflicht. Wir müssen jetzt rasch weiter öffnen, denn die Wirtschaft steht am Abgrund.

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Vor dem Abgrund sollen die Hilfsprogramme schützen.
Das funktioniert für eine begrenzte Zeit. Geholfen hat die Nachbesserung bei den Krediten, die jetzt zu 100 Prozent von der KfW abgesichert werden. Dennoch höre ich von vielen Schwierigkeiten bei der Bearbeitung für uns Mittelständler. Was hilft, ist natürlich die Kurzarbeit, rund 85 Prozent unserer Betriebe haben Kurzarbeit angemeldet und fast die Hälfte davon hat die Arbeitszeit um die Hälfte reduziert. Das kann aber alles kein Dauerzustand sein, jeden Tag schauen wir ein Stück tiefer in den Abgrund. Wir brauchen jetzt frischen Schwung, auch durch ein Konjunkturpaket.

Wie sollte das aussehen?
Erst mal geht es nicht immer unbedingt um Geld. Es gibt auch nichtmonetäre Maßnahmen, zum Beispiel die Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten und die Öffnung an Sonntagen. Je mehr Möglichkeiten die Kunden haben, um einkaufen zu gehen, desto besser für Konjunktur und damit die Wirtschaft insgesamt.

Verkäuferinnen und Verkäufer haben doch gerade in Corona-Zeiten gerne einen arbeitsfreien Sonntag.
Der Schutz der Mitarbeiter muss selbstverständlich gewährleistet sein. Aber es ist doch entspannter für die Kunden und die Verkäufer, wenn sich die Nachfrage auf mehr Tage verteilt und niemand lange in einer Schlange stehen muss. Die Geschäfte sind voll mit Frühjahrs- und Sommerware, weil sie so lange schließen mussten.

Einkaufen am Sonntag oder am späten Abend sollte dann befristet möglich sein oder für immer?
Jetzt geht es um befristet, um das Konsumverhalten zu stimulieren und die Stimmung nach diesen harten Wochen zu verbessern. Dazu wären auch Einkaufsgutscheine hilfreich.

Was soll die von Ihnen angeregte Verkürzung der Sommerferien bringen?
Viele Unternehmen haben ja ihre Sommerpause zwangsweise vorgezogen, und viele Arbeitnehmer zumindest auch Teile des Urlaubs. Wenn unsere Wirtschaft wieder hochfährt, dann müssen alle anpacken, das ist damit gemeint. Über eine Verkürzung der Sommerferien müssen natürlich die Kultusminister entscheiden.

Foto: Thomas Imo/Promo
Foto: Thomas Imo/Promo

© Thomas Imo/photothek.net

Sie selbst haben mit Ihrer Peppermint-Textilholding Produktionsstätten in Sachsen, Tschechien und Rumänien. Wie sind die bislang durch die Krise gekommen?
Was die Infektionslage angeht, bislang ohne einen einzigen Coronafall und ohne Quarantäne. Jeden Tag haben wir uns um Krisenkommunikation und Gesundheitsschutz gekümmert, um unseren Mitarbeitern die Unsicherheit zu nehmen. Kurzarbeit haben wir erst seit dieser Woche in zwei Werken.

Was unterscheidet die Coronabedingungen in Tschechien von denen hierzulande?
In Tschechien kam die Maskenpflicht viel früher, die Einschränkungen sind viel stärker als bei uns.

Halten die Lieferketten?
Bisher haben wir das ganz gut hinbekommen, auch durch den Aufbau von Reservebeständen. Unsere Hauptlieferanten kommen aus unterschiedlichen Regionen. Lieferungen aus China sind wieder möglich, aus Ägypten gab es keine Lieferprobleme, Indien ist noch im Shutdown.

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Die Textilbranche ist global und sucht sich seit Jahrzehnten die günstigsten Produktionsbedingungen: von der Türkei nach Asien, von Osteuropa nach Afrika. Verändert die Pandemie diesen globalen Wanderzirkus?
Wir brauchen eine nachhaltige Globalisierung, das wissen inzwischen alle. Die Globalisierung hat erhebliche Vorteile, ohne globale Anstrengungen können wir zum Beispiel auch Corona nicht bewältigen. Und zurück zur Autarkie – das funktioniert nicht. Wir als deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie sind beim Thema nachhaltiger Lieferketten schon ziemlich weit. Aber klar ist auch: Für unsere textilen Lieferketten wird Asien ein wichtiger Kontinent bleiben.

Dann gibt es also kaum Veränderungen durch Corona?
Doch. Die Möglichkeiten der Digitalisierung sind vielen stärker bewusst geworden. Hier werden sich die Entwicklungen durch Corona beschleunigen. Nicht nur was die Kommunikation angeht, sondern auch bei betrieblichen Abläufen und im Bereich E-Commerce.

Werden wir künftig wieder dauerhaft Masken in Deutschland produzieren?
Über 40 Prozent unserer Unternehmen sind inzwischen in die Lücke gesprungen und helfen, wo es nur geht, mit der Produktion von medizinischen Masken oder einfachen Alltagsmasken. Wenn wir allerdings hier in Europa wieder Lieferketten und Produktion aufbauen, brauchen wir auch Abnahmemöglichkeiten über die Coronakrise hinaus. Viele unserer Mittelständler haben hier trotz enormer wirtschaftlicher Schwierigkeiten investiert, obwohl sie wissen, dass sie mit Masken ihr Kerngeschäft nicht retten können. Bereits in wenigen Monaten werden wir einen Preisverfall auf dem Maskenmarkt erleben und was machen unsere Firmen dann?

Wann hat Ihre Branche das Schlimmste überstanden?
Wenn es Bund und Ländern endlich bewusst wird, das Abwarten und Stillstand keine Lösung sind. Deshalb finde ich es falsch, dass uns die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten am Donnerstag kein klares Einstiegsszenario mit ins Wochenende gegeben haben. Wir brauchen endlich wieder eine positive Grundstimmung, dass es mit strengen Abstands- und Hygieneregeln gelingen wird, das Wirtschaftsleben wieder hochzufahren. Dann schaffen wir es mit unternehmerischem Mut, gemeinsam die Krise zu überwinden.
Ingeborg Neumann ist Textilunternehmerin und im Ehrenamt Präsidentin des Branchenverbandes Textil und Mode, zu dem 1400 Unternehmen mit 135.000 Beschäftigten gehören.

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