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Wirtschaft: The Wall Street Journal: Der Tabak-Krieg in Argentinien

Im April vergangenen Jahres kam der örtliche Repräsentant von Philip Morris zu der kleinen Farm von Carmen Soraire in der Nähe von La Chocha, Argentinien, und nahm einige ihrer Tabakpflanzen mit. Bald darauf begann der Ärger.

Im April vergangenen Jahres kam der örtliche Repräsentant von Philip Morris zu der kleinen Farm von Carmen Soraire in der Nähe von La Chocha, Argentinien, und nahm einige ihrer Tabakpflanzen mit. Bald darauf begann der Ärger. Frau Soraire, die seit Jahren Tabak für Philip Morris angebaut hatte, nahm das Angebot eines Tabakhändlers an, Pflanzen für einen Dritten anzubauen. Sie sagt, sie habe zu jener Zeit nicht gewusst, dass dieser Dritte der Zigarettenhersteller Vector war, ein Konkurrent von Philip Morris mit Sitz in Miami. Ebenso wenig habe sie gewusst, dass die Pflanzen, die auf ihren Feldern rund um ihr winziges Blockhaus wuchsen, keine gewöhnlichen Tabakpflanzen waren. Die Pflanzen waren genetisch modifiziert worden, um die Bildung von Nikotin nahezu zu verhindern, und sie sind der Schlüssel zu Vectors Plan, in dem Rennen um die Entwicklung potenziell weniger schädlicher Zigaretten die Nase vorn zu haben. Vector möchte mit diesem neuen Tabak außerdem Zigaretten entwickeln, die nicht abhängig machen und den Menschen helfen könnten, das Rauchen aufzugeben.

Greg Prager, Sprecher von Philip Morris in New York sagte, der Konzern habe keine Pflanzen von Frau Soraires Feldern mitgenommen. Aber man habe Schritte unternommen, als man erfuhr, dass es sich um gentechnisch veränderten Tabak handelte. Zusammen mit British American Tobacco (BAT) und anderen wurden die argentinischen Behörden aufgefordert, Sorge dafür zu tragen, dass der gentechnisch veränderte Tabak nicht versehentlich mit dem regulären Tabak vermischt wird.

Letztendlich geht es um marktwirtschaftliche Erwägungen: Die europäischen und japanischen Raucher mögen vielleicht die Gesundheitsrisiken des Rauchens ignorieren, sind aber genmanipulierten Produkten derart abgeneigt, dass sie womöglich keinen Tabak mehr kaufen würden, der genverändert sein könnte. Die argentinische Regierung ordnete schließlich die Beschlagnahmung und Verbrennung der betreffenden Pflanzen an, weil die Firma, die Vector mit dem Anbau des Tabaks beauftragt hatte, nicht die Genehmigung hatte, das gentechnisch veränderte Saatgut zu importieren.

Als Frau Soraire sich weigerte, ihren genetisch veränderten Tabak an die argentinischen Behörden herauszugeben, habe, so erzählt sie, die argentinische Einheit von Philip Morris, Massalin Particulares, ihr "die Tür zugeschlagen. Sie sagten, sie würden von mir keinen Tabak mehr kaufen". Schlimmer noch, man habe sie informiert, dass sie Philip Morris 200 Dollar (214 Euro) für den Dünger und das Saatgut schulde. Frau Soraire, Mutter von fünf Kindern, tiefgebräunt und mit muskulösen Armen, die von einem Leben auf den Feldern zeugen, sagt, sie wisse nicht, wie sie jetzt über die Runden kommen soll. Sie könne nicht einmal den Sprit für ihren Traktor zahlen und werde ihre Felder wieder mit einem von Pferden gezogenen Pflug bearbeiten müssen. Auch hier widerspricht Prager dem Bericht. Es sei "absolut nicht wahr", dass Frau Soraire Philip Morris Geld schulde. Frau Soraire dagegen behauptet, Philip Morris habe ein Schuld-anerkenntnis vorbereitet, das sie habe unterschreiben sollen.

All das deutet an, dass im Tabakgeschäft, in dem schon immer ein hohes Maß an Wettbewerb herrschte, die Rivalitäten zwischen den Konzernen eine neue Ebene erreichen werden. Die amerikanischen Tabakkonzerne, die durch nicht abreißende Schadenersatzklagen und zahlreiche Werbeauflagen unter Druck geraten sind, interessieren sich zunehmend für die moderne Technologie, mit deren Hilfe sie hoffen, neue Typen von Zigaretten herstellen zu können.

Vector hatte sowohl im Inland als auch im Ausland Schwierigkeiten, die genmanipulierten Pflanzen anbauen zu lassen. Und Frau Soraire und ihre Berufskollegen in dem armen, tabakanpflanzenden Herzen der argentinischen Provinz Tucumán, sind die Leidtragenden. Philip Morris hat eine "weltweite Politik", genetisch veränderten Tabak nicht zu verwenden, erklärt Prager. Die Firma, werde alle denkbaren Schritte unternehmen, um sicherzustellen, dass der neue Tabak nicht versehentlich in Zigaretten von Philip Morris gelange. Der Konzern "kauft nicht von Landwirten, die uns nicht hoch und heilig versichern können, dass gentechnisch veränderter Tabak nicht in unsere Angebotskette gelangt".

Philip Morris, BAT und große internationale Tabakhändler haben dem Landwirtschaftsminister von Tucumán, Roberto Sanchez Loria, einen Besuch abgestattet. Dieser berichtet, die Repräsentanten der Konzerne hätten ihm erklärt, dass sie nicht bereit seien, "weiter Tabak in der Provinz einzukaufen, wenn dort gentechnisch veränderter Tabak angebaut wird". Wenn Unternehmen wie Philip Morris und BAT sich aus der Provinz zurückziehen würden, meint er, "wäre es eine Katastrophe für die örtliche Wirtschaft".

Einige Tabakkontroll-Experten werfen Philip Morris vor, mit zweierlei Maß zu messen. Der Konzern verwendet gentechnisch verändertes Getreide und Sojabohnen für seine Nahrungsmittel in der Kraft-Abteilung und hält diese für sicher. "Aber wenn es um Tabak geht und darum, den Nikotingehalt zu senken, der die Abhängigkeit von ihren Produkten verursacht, dann wollen sie keine gentechnisch veränderten Produkte verwenden", meint Gregory Connolly, Direktor der Tabakkontrolle des Gesundheitsministeriums von Massachusetts.

Philip Morris behauptet, dass Nahrungsmittel, die genmanipulierte Produkte enthalten, nur in den USA verkauft würden, wo es entsprechende Regeln und eine breite Akzeptanz unter den Verbrauchern gibt. Der Konzern werde gentechnisch veränderten Tabak nicht in Zigaretten verwenden, weil viele Menschen im Ausland damit ein Problem hätten, so Prager. Der Präsident von Vector, Bennett S. Lebow, hält diese Erklärung für fadenscheinig. "Das kaufe ich Philip Morris nicht ab. Das ist totaler Blödsinn", meint Lebow, der glaubt, dass der große Konkurrent ihm aus Wettbewerbsgründen Steine in den Weg legen will. Viele Probleme von Vector sind aber hausgemacht. So hat der Konzern das Saatgut nach Argentinien gebracht, ohne hierfür die erforderliche Genehmigung zu haben. Nach Angaben von Vector hat der Konzern nunmehr alle erforderlichen Eingaben bei den argentinischen Behörden gemacht; das Genehmigungsverfahren sei aber nur sehr zögerlich verlaufen.

Vector hatte auch in den USA Ärger, obwohl die Regierung den Anbau des neuen Tabaks erlaubt hat. Die Landwirte in den großen Tabakanbaugebieten im Südosten der USA haben sich geweigert, die gentechnisch veränderten Pflanzen anzubauen. In diesem Jahr hat Vector es geschafft, dass Amish-Farmer in Pennsylvania seinen neuen Tabak anbauen. Der Konzern hat ebenfalls mit Landwirten in Illinois, Oklahoma, Louisiana und Mississippi Verhandlungen aufgenommen, und geht davon aus, dass er genug Tabak hat, um zu Beginn des Jahres 2002 die neuen Zigaretten auf den Markt zu bringen.

Mark Conkling, früher Genetiker an der North Carolina State University, der den nikotinfreien Tabak entwickelt hat, sieht keinen wissenschaftlichen Grund zur Besorgnis. Und Earl Wernsman, ehemaliger Professor für Pflanzenbau und Genetik an der North Carolina State University meint, die Sorgen über den neuen Tabak seien "überwiegend" ökonomischer Natur. "Ich kann mir keinen nennenswerten Wandel in der Schädlichkeit des Produktes denken."

Gordon Fairclough

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