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Zur Lage Europas. José Manuel Barroso will am Mittwoch eine Grundsatzrede vor dem EU-Parlament halten – und dann offenbar den Steuervorschlag erläutern.

© dpa

Transaktionssteuer: Barroso düpiert London

Die EU-Kommission legt einen Plan für eine Transaktionssteuer vor – obwohl die Briten sich stark wehren.

Die Idee ist schon mehr als 100 Jahre alt. Ab 1885 wurden in Deutschland Wertpapierkäufe und -verkäufe mit einer Steuer belegt. Über Jahrzehnte war diese Abgabe völlig normal, bis sie 1991 von der Bundesregierung abgeschafft wurde. „Finanzmarktförderungsgesetz“ nannte die Bundesregierung ihr Rechtswerk hoffnungsvoll. 20 Jahre später hat sich die Stimmung gedreht. Angesichts der Börsenturbulenzen seit 2008 und der folgenden Schuldenkrise gilt es nun als förderlich, eine solche Steuer wieder einzuführen.

Die Europäische Kommission wird daher am heutigen Dienstag einen Gesetzesvorschlag beschließen, mit dem eine Finanztransaktionssteuer in ganz Europa eingeführt werden soll. Kommissionschef José Manuel Barroso will am Mittwoch im Europaparlament eine Rede zur Lage der EU halten und die Idee vorstellen, wie am Montag in Brüssel aus informierten Kreisen zu hören war.

Die Brüsseler Behörde erwartet durch die Steuer Einnahmen von 30 bis 50 Milliarden Euro pro Jahr, wie der zuständige Kommissar Algirdas Semeta bereits im Sommer vorgerechnet hat. Entgegen ersten Überlegungen soll die Abgabe nun nicht erst im Jahr 2018, sondern bereits 2014 verpflichtend werden – zu Beginn der nächsten siebenjährigen EU-Haushaltsperiode. Barrosos Gremium will die Mittel aus der Finanztransaktionssteuer eigentlich dem EU-Etat zufließen lassen. Er hat nach massiver Kritik auch aus Deutschland aber Abstand von dieser Idee genommen. Stattdessen soll es eine eigene Regelung zur Verwendung des Gelds geben, wie es im Gesetzentwurf heißt, der dem Tagesspiegel vorliegt.

Befürworter der Steuer hoffen, dass sie die Nervosität und die heftigen Schwankungen an den Finanzmärkten eindämmt und Spekulationen weniger lohnenswert macht. Durch die Ausbreitung des Computerhandels waren gerade in den vergangenen Jahren die Kursausschläge heftiger geworden. Kritiker wenden zum einen ein, dass die Abgabe weltweit erhoben werden müsste, weil sonst Kapitalflucht drohe. Zum anderen warnen sie, dass Banken, Fonds und Versicherungen die Belastungen an Sparer und Anleger weitergeben.

Vor allem aus Sorge um den Finanzplatz London hat die britische Regierung bereits mehrfach ihre Ablehnung bekundet. Sie befürchtet, dass wichtige Marktteilnehmer zu Finanzplätzen außerhalb der EU entschwinden. Brüssel will London daher entgegenkommen: Nicht alle Geschäfte an europäischen Finanzplätzen sollen steuerpflichtig sein, sondern nur der weltweite Handel, sofern mindestens ein europäischer Partner beteiligt ist. Das Problem: Steuergesetze müssen in der EU einstimmig verabschiedet werden.

Die Bandbreite der Finanzprodukte, die die EU-Kommission gerne von der Steuer erfasst sähe, ist groß. So sollen nicht nur Börsengeschäfte, sondern auch außerbörsliche Transaktionen darunterfallen. Dies betrifft vor allem Derivate, also Papiere, mit denen auf künftige Preisentwicklungen von Aktien, Staatsanleihen oder Rohstoffen gewettet wird. Sie werden oft direkt zwischen Parteien und nicht über die Börsen gehandelt. Bei den Derivaten soll der Steuersatz 0,01 Prozent der Verkaufssumme betragen, bei allen normalen Transaktionen 0,1 Prozent.

Ausgenommen bleibt allerdings der direkte Handel mit Staatsanleihen, die im Zentrum der aktuellen Schuldenkrise stehen. Damit verbundene Spekulationspapiere wie Kreditausfallversicherungen wären dagegen steuerpflichtig. Im Entwurf des Gesetzes heißt es zudem, dass „die meisten alltäglichen Finanzaktivitäten von Bürgern und Unternehmen nicht unter die Finanztransaktionsbesteuerung fallen“. Auf Kredite, Baudarlehen, Versicherungsverträge oder normale Kontobewegungen entfiele die Abgabe also nicht. Wiederum gilt, dass Finanzpapiere, die Banken aus solchen Verbraucherrisiken stricken, besteuert werden.

„Der ganz große Batzen ist damit abgedeckt“, urteilt der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold. „Die EU-Kommission legt endlich einen starken Entwurf vor. Deutschland und Frankreich müssen sich nun mit aller Kraft dafür einsetzen, dass so viele Staaten wie möglich mitziehen.“ Den Gegnern der Steuer wird in die Hände spielen, dass auch die EU-Kommission Probleme sieht. „Ein kleiner Negativeffekt auf Bruttoinlandsprodukt und Arbeitslosigkeit kann nicht vermieden werden, weil sie mit den höheren Kapitalbeschaffungskosten in Verbindung stehen“, schreiben die Beamten. Auf der anderen Seite stünden hohe Einnahmen, und die Steuer könne „direkt darauf abzielen, das Marktverhalten zu beeinflussen“.

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