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Wirtschaft: Trichet soll nächster EZB-Präsident werden

Französischer Notenbankchef kann nach seinem Freispruch auch mit der Unterstützung Deutschlands rechnen

Paris (sah). Der designierte Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), JeanClaude Trichet, ist am Mittwoch vom Vorwurf der Beihilfe zu Bilanzfälschungen bei der ehemaligen französischen Staatsbank Crédit Lyonnais freigesprochen worden. Damit machte das zuständige Pariser Gericht dem 60-Jährigen den Weg an die Spitze der zweitgrößten Notenbank der Welt frei. Einziges Risiko, das von Beobachtern allerdings als minimal eingeschätzt wird: Sollte die Staatsanwaltschaft in Revision gehen, käme es zu einer Neuauflage des Verfahrens, die den Amtsantritt Trichets erneut verzögern würde.

Die Staatsanwaltschaft hatte in dem spektakulären, langwierigen Verfahren Anfang dieses Jahres zehn Monate Bewährungsstrafe für Trichet gefordert und ihm vorgeworfen, als ehemaliger Direktor des französischen Schatzamtes und höchster Bankaufseher Bilanzfälschungen der inzwischen privatisierten Crédit Lynonnais abgesegnet zu haben. Die Nachfolge für den Niederländer Wim Duisenberg an der Spitze der EZB, die Trichet in diesem Sommer antreten sollte, war damit zur Zitterpartie geworden. Duisenberg, der das Amt zu seinem 68. Geburtstag am 9. Juli 2003 abgeben wollte, hatte immerhin versprochen, die Präsidentschaft so lange weiterzuführen, bis sein Nachfolger bereit sei, das Amt zu übernehmen.

Frankreich will den Pariser Notenbankchef auf dem EU-Gipfel in Thessaloniki an diesem Freitag offiziell zum Kandidaten für die EZB-Spitze vorschlagen, kündigte das französische Präsidialamt nach dem Urteil an. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) begrüßte den Freispruch. An der fachlichen Qualifikation Trichets für die Übernahme der EZB habe er keinen Zweifel. Der Sprecher des Bundesfinanzministeriums, Jörg Müller, sagte: „Das Urteil ebnet den Weg für einen schnellen Wechsel an der EZB-Spitze.“ Mit dem Festhalten Frankreichs an der Kandidatur Trichets könnten nun weitere Schritte für einen reibungslosen Amtswechsel eingeleitet werden, sagte der griechische Vorsitzende des EU-Finanzministerrats, Nikos Christodoulakis.

Trichet hatte die Vorwürfe gegen ihn immer abgestritten. Mit ihm saßen weitere acht Beschuldigte auf der Anklagebank. Der damalige Chef von Crédit Lyonnais, Jean-Yves Haberer, erhielt im Gegensatz zu Trichet keinen Freispruch: Das Gericht verurteilte ihn zu 18 Monaten Bewährungsstrafe. Er hatte das Geldinstitut Anfang der 90er Jahre mit einem riskanten Expansionskurs in die Krise getrieben, unter anderem durch Beteiligungen an Immobilien und den Hollywoodstudios von Metro Goldwyn Mayer. Die Rettung der Großbank kostete die französischen Steuerzahler fast 15 Milliarden Euro.

Nach dem Trichet-Urteil steht Frankreich nun nicht mehr unter dem Druck, im Eilverfahren einen neuen Kandidaten zu benennen. Damit wären die Franzosen auch in arge Not geraten, weil der „Reservekandidat“ Christian Noyer bereits vier Jahre als EZB-Vizepräsident in Frankfurt gearbeitet hat und laut Statut eine mehrmalige Berufung in das Direktorium nicht möglich ist. Bei der Gründung der EZB im Mai 1998 wäre es fast zu einem Eklat gekommen, als sich Staatspräsident Jacques Chirac persönlich dafür einsetzte, dass ein französischer Kandidat, nämlich Trichet, wenn schon nicht erster Präsident, so doch zumindest Nachfolger des Niederländers Duisenberg bei einer geteilten Amtszeit werden solle.

Nach EU-Angaben könnte der Amtswechsel an der EZB-Spitze in wenigen Monaten über die Bühne gehen. Notwendig wäre die einstimmige Zustimmung der Staats- und Regierungschefs für den Kandidaten Trichet. Beobachter gehen davon aus, dass sich die Spitzenpolitiker schon am Freitag in Thessaloniki einigen, denn die Unterstützung der EU-Regierungen hat Trichet nie verloren. Der formale Prozess des Amtswechsels, dem auch das EU-Parlament zustimmen muss, könnte nach Ansicht von Insidern deshalb bis zum Herbst abgeschlossen sein.

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