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Trinkgewohnheiten: Ein flüchtiger Freigang

Wie das Trinken Geschäfte beflügelt. Die Japaner haben sogar ein eigenes Wort für das Besäufnis nach Feierabend.

„Sobald die Menschen zum Becher greifen, sind sie reich, alles gelingt, sie siegen vor Gericht, sind hoch beglückt, sie helfen den Freunden aus der Not“, sagt der Volksredner Demosthenes in Aristophanes Komödie „Die Ritter“. Tatsächlich legen viele Geschäftsleute großen Wert auf die positive Wirkung des Alkohols, wenn sie wichtige Geschäfte abschließen müssen. Denn Alkohol kann Mut machen und oftmals dabei helfen, Kommunikationsprobleme zu überwinden. Doch am Boden jedes Glases lauert die Gefahr, die Grenzen des Anstands zu überschreiten.

Diese Gefahr ist Unternehmern, die geschäftlich in Fernost unterwegs sind, wohl bekannt. Das gemeinsame Trinken ist ein wichtiger Bestandteil der Businesskultur in China, Südkorea und Japan. So gut wie jeder, der in einem dieser Länder beim Geschäftsessen saß, hat das erlebt: Aus den leicht gehemmten Geschäftspartnern können nach ein paar Gläschen schon extrovertierte Saufkumpane werden. Die gesellige Atmosphäre soll aber nicht täuschen: Die strengen Normen, die in diesen Ländern das Geschäftsleben bestimmen, gelten sowohl in der hellen und formellen Welt der Firma wie auch in der Neon-Zwielichtzone der Kneipen und Karaoke-Bars. Von der Sitzordnung am Tisch wie von der Reihenfolge der Trinksprüche kann das Ergebnis einer Transaktion in Millionenhöhe abhängen.

Die Japaner haben sogar ein Wort dafür: „Nommunication“, eine Zusammensetzung von „Nomu“ (Trinken) und „Communication“. Nach Feierabend „nommunizieren“ oft Bosse und Angestellte ein paar Stunden in der Karaoke-Bar. Je mehr Alkohol konsumiert wird, desto lockerer werden die Grenzen in der Firmenhierarchie. Wie die römischen Soldaten sich im Alkoholrausch des Triumphs über den siegreichen Konsul mit Spottliedern lustig machen durften, so dürfen die japanischen „Salarymen“ den Chef wegen seines mangelnden Singtalents verspotten. Auch in diesem Fall ist aber der Normenbruch nur ein flüchtiger Freigang im streng regulierten Leben des Untergebenen. Ein Wort zu viel könnte die Karriere schwer beeinträchtigen. Abstinenz kann genau so schädlich sein. Wer nicht mit dem Boss trinkt, hat wenig Chancen, in der Hierarchie aufzusteigen.

Das gemeinsame Alkoholtrinken ist ein Ritual, das die Fähigkeit hat, Gesellschaftsstrukturen zu durchbrechen, um sie im Nachhinein noch stärker zu machen. Das ist aber kein exklusiv asiatisches Phänomen. Auch in der gesundheitsbewussten westlichen Unternehmenskultur könnte der Alkoholkonsum einen neuen Aufschwung erleben. Dank des Erfolgs der US-Fernsehserie „Mad Men“, die das Milieu der US-Werbeagenturen der 60er Jahren porträtiert, ist Whiskey plötzlich wieder stark gefragt. Ein Zeichen dafür, dass sich auch im Westen viele Geschäftsleute noch nach der alten Art sehnen, Geschäftspartnerschaften zu pflegen.

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