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Die Türken wechseln ihr Geld in harte Währung. Ausgabeschalter in Istanbul.

© Sedat Suna/dpa

Türkei: Erdogan gibt Spekulanten die Schuld am Absturz der Lira

Investoren ziehen sich wegen politischer Unsicherheit aus der türkischen Währung zurück – Erdogan greift Spekulanten an und vergleicht sie mit Terroristen.

Von Andreas Oswald

Angesichts der Turbulenzen um die Landeswährung Lira hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Notenbank zu einem Abwehrkampf aufgerufen. Es gebe keinen Unterschied zwischen Menschen mit Waffen und solchen, die die Türkei mit dem Wechselkurs ins Visier nähmen, sagte der Staatschef am Donnerstag nach Angaben der Agenturen. Die Spekulation um den Wechselkurs habe jedoch keine Substanz: „Unsere Zentralbank und andere Banken müssen diesen Spielchen ein Ende bereiten“, sagte Erdogan. Die Notenbank verfüge über die nötigen Mittel dafür. Die Lira ist in den vergangenen Tagen zum Euro und zum Dollar von einem Rekordtief zum nächsten gefallen. Sie hat seit Jahresbeginn mehr als sieben Prozent abgewertet und ist damit eine der schwächsten Währungen der Gruppe der großen Schwellenländer.

Nachdem die Intervention der Notenbank noch am Mittwoch verpuffte, zeigte sie am Donnerstag ein wenig Wirkung. Immerhin gelang es, den Vortagesverlust wett zu machen. Unklar ist, ob der Verfall der Währung aufgehalten werden kann, solange die politische Unsicherheit weiterhin Investoren verschreckt.

Politische Unberechenbarkeit schreckt Finanzmärkte

Um die Währung zu stützen, hat die Zentralbank bislang lediglich die Anforderungen für die Mindest-Devisenreserven der Geschäftsbanken gelockert und dem Finanzsystem Liquidität in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar zugeführt, berichtet Reuters. Die Wirtschaft leidet unter einer steigenden Inflation. Da nach zahlreichen Anschlägen wie an Silvester in Istanbul das wichtige Touristik-Geschäft eingebrochen ist, würden Zinserhöhungen die Konjunktur wohl vollends abwürgen.

Wegen politischer Turbulenzen und Terroranschlägen ziehen Anleger scharenweise ihr Geld aus dem Land am Bosporus ab. Seit Jahresbeginn war die Lira immer schneller eingebrochen. Wertverluste von mehr als zwei Prozent an einem Tag sind derzeit keine Besonderheit, am Mittwoch war die Währung so schwach wie nie zuvor. Inzwischen müssen die Türken mehr als vier Lira hinblättern, um einen Euro zu erhalten – noch im Sommer waren es kaum mehr als drei Lira. Und Hinweise auf baldige Besserung gibt es nicht. „Eine Stabilisierung oder gar eine Gegenbewegung ist nicht in Sicht“, sagt Manuel Schimm, Experte bei der Bayerischen Landesbank. Auch in diesem Jahr werde die Lira für Investoren äußerst unattraktiv bleiben.

Zwar ist die Währung bereits seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 deutlich unter Druck. Aber jetzt nimmt die Verunsicherung der Anleger wegen neuer Sorgen um die politische Entwicklung in der Türkei noch weiter zu. Denn im Parlament in Ankara wird dieser Tage über eine von Erdogan angestrebte Verfassungsreform abgestimmt.

Der Staatschef will ein Präsidialsystem einführen und somit seine Macht noch weiter ausbauen. Die ersten beiden von 18 Artikeln haben die Abgeordneten in der Nacht zum Mittwoch vorerst abgenickt. Am Ende soll noch das Volk abstimmen. Weite Teile der Opposition laufen Sturm gegen die Reform und warnen vor einer „Diktatur“ in der Türkei.

Erdogan: Türken sollen ihre Devisen gegen Lira eintauschen

Nichts aber fürchten Anleger an den Finanzmärkten mehr als einen unberechenbaren Staatschef, der schalten und walten kann wie er will. So gerät die Lira ins Taumeln; und die türkische Notenbank schaut offenbar machtlos zu. Zwar hat sie sich gegen die Lira-Schwäche gestemmt, indem sie den heimischen Banken erlaubt, mehr Dollar zu verkaufen. Zuvor mussten die Geldhäuser höhere Dollar-Bestände als Sicherheit bunkern. Dies sei aber weder das richtige Mittel noch reiche es aus, kritisiert Tatha Ghose, Experte bei der Commerzbank.

Auch Appelle Erdogans, die Türken sollten ihre Devisen unterm Kopfkissen hervorholen und zur Bank bringen, klingen eher verzweifelt als nach einer durchdachten Strategie. Oder wird Patriotismus die Türken dazu bringen, ihr Geld aufs Spiel zu setzen? Auf die Dauer werde die Notenbank um Zinserhöhungen nicht herum kommen, meint Ghose.

Das Problem aber ist: Höhere Leitzinsen drohen die türkische Wirtschaft noch weiter abzuwürgen. Deshalb sitzt Erdogan den Währungshütern im Nacken. Bereits mehrfach hat der Staatschef sogar Zinssenkungen gefordert. Zwar stellt er offiziell die Unabhängigkeit der Notenbank nicht infrage. Als Präsident habe er aber das Recht zur Kritik. „Denn ich bin es, der vor seinem Volk die Ohrfeige abbekommt, nicht der Notenbank-Bürokrat“, so lautet sein Argument. So sitzt der Notenbankchef Murat Cetinkaya „zwischen einem Felsen und einem harten Platz“, zitiert die „Financial Times“ Eirini Tsekerindu, Analyst bei Julius Baer.

Am 24. Januar tagt die Notenbank und wird eine Zinsentscheidung bekanntgeben. Stürzt bis dahin die Währung weiter ab, wird sie um eine Erhöhung nicht herumkommen. Das hätte weitere Folgen. Die türkische Wirtschaft ist im dritten Quartal 2016 erstmals seit dem Krisenjahr 2009 geschrumpft. (mit rtr/dpa)

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