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UBS-Chefökonom Klaus Wellershoff: „Die Kurse sehen nur billig aus“

Klaus Wellershoff, der Chefökonom der Schweizer UBS, erwartet angesichts der Finanzkrise sinkende Unternehmensgewinne. Im Tagespiegel-Interview erklärt er auch, warum in Europa die Gefahr einer Rezession groß ist.

Herr Wellershoff, die Finanzkrise beschäftigt die Börsen seit eineinhalb Jahren. Warum fallen die Aktienkurse plötzlich so dramatisch?

Das hat viel mit kurzfristigen Marktreaktionen zu tun. Es gibt eine Reihe von Investoren, die schiefliegen. Sie haben auf steigende Kurse gewettet, können sich am Geldmarkt kein neues Geld besorgen und müssen deshalb liquide Anlagen, also Aktien, abstoßen. Anders ist eine so starke Kursbewegung in so kurzer Zeit kaum zu erklären.

Wer sind die Investoren, die jetzt Aktien abstoßen?

Das können alle sein. Von privaten Anlegern über normale institutionelle Anleger wie Investmentfonds oder Versicherungen bis zu Hedgefonds.

Erwarten Sie, dass es noch weiter nach unten geht?

In dem jetzigen Ausmaß kann man das ja gar nicht erwarten. Das ist absolut außergewöhnlich. Man muss sich aber fragen, wo der längerfristig gerechtfertigte Wert des Aktienmarktes liegt. Und genau da ist das Problem: Die Rezession, die in einigen Ländern begonnen hat, wird durch die Finanzmarktkrise noch mal verstärkt. Das kann auch mittelfristig die Wachstumsfähigkeit der Wirtschaft berühren. In dieser Unsicherheit leben die Märkte derzeit.

Einige Experten raten dazu, die günstigen Kurse zu nutzen, um jetzt Aktien zu kaufen …

Die Kurse sehen jetzt zwar billig aus. Diese Einschätzung blendet aber aus, dass die Unternehmensgewinne in einer Rezession um 40 bis 50 Prozent sinken dürften. Das muss erst mal durch die Börsen verkraftet werden. Ich denke, dass die Aktienmärkte für längere Zeit keine großen Gewinne verzeichnen werden.

Wie lässt sich wieder mehr Sicherheit in die Märkte bringen?

Was einen Teil der Unsicherheit wegnehmen könnte, wäre eine international koordinierte Politikreaktion. Die hat bisher gefehlt. Deshalb haben nationale Rettungsversuche nicht geholfen. Jetzt hoffen alle, dass es am Wochenende beim Treffen des Internationalen Währungsfonds internationale Ergebnisse gibt.

Was sollte die Politik tun, um die Banken zu retten?

Im Zentrum der Politik sollte jetzt stehen, das Vertrauen in den Finanzsektor zu steigern. Das braucht eine sehr, sehr große, international koordinierte Maßnahme. Und es braucht wahrscheinlich auch eine staatliche Involvierung in der Geschäftsführung der Banken.

Wird auch die deutsche Wirtschaft durch die Finanzkrise in eine Rezession abrutschen?

Die weltwirtschaftliche Abkühlung war ja schon unterwegs, bevor die Bankenkrise ausgebrochen ist. Die Bankenkrise ist also eher ein Symptom dieser Abkühlung. Sie hat zum Ziel, die großen weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte auszugleichen, also zum Beispiel das riesige Leistungsbilanzdefizit in den USA, die großen Investitionen der Chinesen und die negativen Realzinsen in vielen Teilen der Welt. In dem Maße, wie Deutschland von diesen Ungleichgewichten profitiert hat, etwa beim Maschinenexport nach China, werden wir jetzt auch vom gegenläufigen Trend berührt werden. Die Gefahr einer Rezession in Europa insgesamt ist sehr groß.

Wie lange werden die Volkswirtschaften unter der Krise leiden?

Das Ganze ist ja zu vergleichen mit dem Platzen einer spekulativen Blase. Die Erfahrung lehrt, dass solche Blasen zwar sehr schnell platzen, die Rückkehr zur Normalität aber sehr lange dauert. Die Amerikaner werden über Jahre deutlich langsamer wachsen als bisher. Das wird ausstrahlen, auch nach Asien. Und in Europa sind die Probleme in den Immobilienmärkten zum Teil ja noch größer als in den USA. Ich denke, wir werden uns auf eine längere Phase wirtschaftlicher Schwäche oder sogar Rezession einstellen müssen.

Das Interview führte Stefan Kaiser.

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