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Wirtschaft: "Umrubeln" im Sekundentakt

MOSKAU .Von Panik kann bei den krisengestählten westlichen Managern in Moskau keine Rede sein.

MOSKAU .Von Panik kann bei den krisengestählten westlichen Managern in Moskau keine Rede sein.Im Gegenteil: Sie lehnen sich zurück und warten ab, daß sich der Nebel lichtet."Hier läuft nichts.Wir haben schon vor einer Woche dicht gemacht", berichtet Hans-Jürgen Weise, Chef von Moscow Cash&Carry Moschaisk.Innerhalb eines Tages sei der interne Verrechnungskurs von 3,7 auf 7,5 Rubel je D-Mark hochgeschossen.

Vor allem mit importierten Lebensmitteln erzielt der Großmarkt in normalen Zeiten rund zwei Mill.DM Umsatz monatlich, doch die Kalkulation der Preise ist derzeit unmöglich."Ich bekomme die Rubel zwar noch konvertiert, aber das Geld dann nicht mehr aus dem Land heraus, um Nachschub zu bezahlen", berichtet Weise.Daher beliefert er nur noch Kunden, die wie die Filialen westlicher Hotelketten direkt auf Konten im Ausland einzahlen.

Je länger die Krise anhält, desto stärker lähmt sie das Geschäftsleben im ganzen Land.An der Oberfläche sind nur erste Warnsignale sichtbar, doch hinter den Kulissen bewegt sich nur noch wenig.Die Einfuhren, die bei Konsumgütern rund drei Viertel und bei Lebensmitteln ein Drittel des gesamten Bedarfs decken, versiegen allmählich.Viele einheimische Unternehmen haben ihre Produktion eingestellt.Stollwerck Rus, die vor einem Jahr mit großem Tamtam in Pokrow eröffnete Tochter des deutschen Schoko-Konzerns von Hans Imhoff, wollte in diesem Jahr 170 Mill.DM Umsatz machen.Jetzt wurde die Produktion in der Fabrik gestoppt, viele der 500 Beschäftigten vorerst nach Hause geschickt."Klar geht uns jeden Tag viel Geld verloren, aber was sollen wir mit den abgewerteten Rubel anfangen?", fragt Finanzdirektor Wadim Fomitschow.

Der Verband der Deutschen Wirtschaft in Moskau übt sich zwar in Gelassenheit.Die großen Konzerne aber beordern ihre Manager reihenweise zu Beratungen zurück, lokale Kräfte dürfen nichts sagen.Auch Andreas Meyer-Landrut, Repräsentant von Daimler-Benz in Rußland, sagt zunächst, die Geschäfte liefen allgemein im gewohnten Rahmen.Dann räumt er ein, daß Mercedes den Fahrzeugverkauf gegen Rubel "ausgesetzt" hat.Auch seien alle Geschäfte mit längerfristigen Zahlungszielen storniert.

Wer die Waffen nicht streckt, muß kurzfristig vor allem technische Probleme bewältigen.Erstens zwingt der sich ständig, aber unstetig bewegende Rubelkurs die Einzelhändler dazu, ihre Preisschilder fast täglich zu ändern.Zwar sind alle Waren in Rubel ausgezeichnet, doch faktisch haben importierte - und viele einheimische - Produkte einen festen Dollarpreis, der laufend "umgerubelt" wird.Der Rubel hat seit seiner Freigabe mehr als die Hälfte des Außenwertes verloren, die Preise versuchen mitzuhalten.Eine Rolle Faxpapier kostete vor zwei Wochen 15, am Donnerstag aber bereits 40 Rubel - zum jeweils aktuellen Dollarkurs umgerechnet ein Plus von rund 20 Prozent.Wer nur Rubel hat, muß gut 160 Prozent mehr auf den Tisch legen.

Zweite technische Hürde ist der Cash-flow.Die meisten russischen Banken stehen am Rande des Bankrotts, einige wurden bereits unter staatliche Verwaltung gestellt, ihre Konten eingefroren.Andere weigern sich, Überweisungen auszuführen.Das führt dazu, daß auch die übliche Vorkasse für neue Lieferungen im Ausland nicht ankommt.Als Auswege sind Konten bei einer Niederlassung westlicher Banken oder Barzahlungen möglich: Die Koffer voller Geld für die Auszahlung von Lieferanten gehören wieder zum Geschäftsalltag.Aber auch Cash ist knapp.All dies führt zur weiteren Entmonetarisierung Rußlands.

Mittlerweile werden weit mehr als die Hälfte aller Inlandskontrakte werden jetzt in Form von Barter- und Gegengeschäften abgewickelt.Noch sind die Lager gefüllt.Doch sind die Transporte um mindestens die Hälfte zurückgegangen, berichten die Verwaltungen der St.Petersburger Region, über deren Häfen und Straßen der Großteil des Handels mit dem Westen abgewickelt wird.Schon im zweiten Augustdrittel waren nach Angaben des Staatlichen Zollkomitees Rußlands Einfuhren um 20 bis 30 Prozent gesunken.Derzeit würden an den Grenzen täglich Waren im Wert von rund 50 Mill.Dollar umgeschlagen - ein Drittel des üblichen Volumens.

GEORG WATZLAWEK

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