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Wirtschaft: UMTS-Netzaufbau verschlingt Milliarden

Berlin. Immer wieder erschüttern neue Hiobsbotschaften die Mobilfunkbranche.

Berlin. Immer wieder erschüttern neue Hiobsbotschaften die Mobilfunkbranche. Zuletzt haben die Analysten von Credit Suisse First Boston in einer aktuellen Studie zehn Gründe aufgelistet, warum sich die Einführung der neuen Mobilfunktechnik der dritten Generation UMTS (Universal Mobile Telecommunication Standard) verzögern werde. Ein Grund ist die "Add-one-year-rule": Bisherige Erfahrungen mit neuen Technologien im Mobilfunkgeschäft hätten gezeigt, dass sie immer erst ein Jahr später als ursprünglich erwartet auf den Markt kommen.

Für die Mobilfunkanbieter heißt das: Sie werden erste Einnahmen aus den hohen Investitionen erst später als geplant erzielen können. Das hat auch Folgen für die Unternehmen, die die Netztechnik liefern. Ericsson, Nokia und andere, die ihren Kunden zum Teil mit Lieferantenkrediten den Vertragsabschluss schmackhaft gemacht haben, werden ebenfalls die negativen Auswirkungen zu spüren bekommen.

100 Milliarden Mark haben sechs Unternehmen und Konsortien allein in Deutschland für die UMTS-Lizenzen ausgegeben. Europaweit sind es bisher 120 Milliarden Euro. Zusätzlich sind hohe Investitionen - geschätzte 150 Milliarden Euro in Europa - für den Aufbau der Netze nötig, auch die Entwicklung neuer Produkte und Dienste für die neue Multimedia-Technik wird die Netzbetreiber viel Geld kosten. Doch das wird knapp. Fast alle europäischen Telekommunikationsunternehmen ächzen unter hohen Schuldenbergen. Die Aktienkurse sind im Keller, daher ist auch der Weg zu frischem Kapital von der Börse versperrt. Was lag da für die klammen Mobilfunkbetreiber näher, als die Netzausrüster über Lieferantenkredite an der Finanzierung des Netzaufbaus zu beteiligen?

Lieferanten, die sich Marktanteile erobern oder sichern wollen, müssen gegenüber ihren Abnehmern Zugeständnisse machen. Sie räumen in aller Regel ein Zahlungsziel ein. Das heißt: Der Ausrüster liefert nicht nur das Produkt, er sichert seinem Kunden auch einen Teil der Finanzierung. In einer Branche, in der die Kunden bereits hoch verschuldet sind, ist auch das Risiko für die Lieferanten hoch - im schlimmsten Fall gefährden sie die eigene Existenz.

Beispiel Lucent: Der amerikanische Telekommunikationsausrüster hat sich bei Lieferantenkrediten stark engagiert und daher viele Aufträge in die Bücher schreiben können. Das Engagement hat sich gerächt: Unter den Lucent-Kunden waren viele Start-up-Unternehmen, die mittlerweile in Finanznöte geraten oder tatsächlich schon pleite sind. Das hat auch Lucent in Schwierigkeiten gebracht.

Hinzu kommt, dass die gesamte Branche der Telekomausrüster unter der stark zurückgegangenen Nachfrage leidet. Fast alle Firmen müssen Kosten reduzieren und haben Restrukturierungsmaßnahmen angekündigt. Die Analysten der Investmentbank Goldman Sachs listen neun Firmen von Alcatel bis Siemens auf und kommen auf 182 100 Stellen, die bei diesen Unternehmen gestrichen werden. Prozentual entlassen Lucent (35 Prozent) und Nortel (sogar 52 Prozent) die meisten Mitarbeiter.

Droht jetzt auch im teuren UMTS-Geschäft, bei dem hoch verschuldete Mobilfunkbetreiber sich bei den ohnehin belasteten Netzwerkausrüstern verschulden, eine große Kreditblase zu platzen? Den Vergleich zum Lucent-Beispiel will Frank Wellendorf, Analyst von WestLB-Panmure, für das UMTS-Szenario in Deutschland nicht ziehen. "Hier sind die Kunden extrem große Unternehmen, die einen stabilen Cash-flow aus dem Mobilfunkgeschäft generieren", sagt Wellendorf. Zudem hätten die Lieferanten dem hohen Druck standgehalten und seien nicht so extrem in die Finanzierung der Netze mit eingestiegen, wie man es hätte denken können. Zum Teil haben die Unternehmen auch innovative Finanzierungsinstrumente entwickelt, um sich besser abzusichern. Ericsson etwa habe seine Forderungen gegen Kunden in einen Pool eingebracht und zur Refinanzierung der Forderungen ebenfalls einen Pool von Banken gebildet. "So ist Ericsson zu einem Großteil aus dem Risiko raus", sagt Wellendorf.

Alle sechs Netzbetreiber in Deutschland haben mittlerweile Lieferanten ausgewählt. Nokia war bei T-Mobile, Mobilcom und Viag Interkom (künftig O2) erfolgreich. Für Siemens-Technik haben sich T-Mobile und Vodafone entschieden. Nortel ist nur bei T-Mobile, die drei Ausrüster wählte, zum Zuge gekommen. Ericsson hat Vodafone, Mobilcom und E-Plus auf der Kundenliste. Lucent rüstet E-Plus und Quam (früher Group 3G) aus. Die Lieferverträge, die meist noch nicht endgültig unterschrieben sind, fallen allerdings kleiner aus, als von den Ausrüstern ursprünglich erhofft. Denn inzwischen hat die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post den Netzbetreibern gestattet, Technik gemeinsam zu nutzen. So sparen die Mobilfunkfirmen nach eigenen Angaben zwischen 30 und sogar 60 Prozent der Investitionen in die Netze - Aufträge, die den Ausrüstern nun fehlen.

Welche Zugeständnisse die Lieferanten gemacht haben, um überhaupt an die Aufträge zu kommen, darüber sprechen sie nicht gern. Bei Siemens, so sagt ein Sprecher, betreibe man in Hinsicht auf Lieferantenkredite eine sehr konservative Politik. In Einzelfällen sei man zwar den Kunden etwas entgegengekommen, halsbrecherische Finanzierungszusagen von bis zu 100 Prozent oder mehr, die Wettbewerber gewährt hätten, sei man nicht eingegangen.

Lucent war großzügiger. Das Unternehmen hat mit der niederländischen KPN, Muttergesellschaft von E-Plus, einen Liefervertrag über 100 Millionen Euro abgeschlossen. Die Rückzahlungen beginnen erst in der zweiten Jahreshälfte 2003 oder nach dem kommerziellen Start der ersten UMTS-Dienste. Offiziell macht Lucent keine Angaben über das Finanzierungsmodell für den Telefónica-Auftrag im Volumen von 900 Millionen Euro. In Pressemeldungen heißt es aber, Lucent finanziere das Netz der deutschen Telefónica-Beteiligung Quam zu 240 Prozent, legt also noch einen Milliardenkredit oben auf.

Auch Nokia ist offensiver als bisher gewesen. Das erklärte Ziel der Finnen: Dem bisherigen Marktführer Ericsson Marktanteile in großem Stil abzujagen. Für den 1,5-Milliarden-Euro-Auftrag von Orange, der Mobilfunktochter von France Télécom, hat Nokia ein Finanzierungspaket von zwei Milliarden Euro geschnürt. Orange sei jedoch eine von wenigen Ausnahmen, sagt ein Unternehmenssprecher. "Es handelt sich um einen der stärksten Betreiber Europas", sagt er. "Wir gehen kein Risiko ein, das eine Bank nicht auch eingehen würde." Nokia wolle dabei helfen, das Netz so schnell wie möglich aufzubauen. Es soll nicht an der Finanzierung scheitern. "Wir wollen unseren Kunden im Wettbewerb stärken." Christian Riefers, Analyst von Delbrück, hält das Engagement von Nokia bei Orange ebenfalls für unproblematisch. Nokia habe im Gegensatz zu anderen Ausrüstern einige wenige Kreditnehmer mit Substanz ausgewählt.

Unproblematisch ist das finanzielle Engagement der Ausrüster trotzdem nicht. Immerhin geht die Mehrzahl der Analysten und Branchenexperten davon aus, dass etwa in Deutschland auf lange Sicht nicht alle sechs UMTS-Netzbetreiber überleben werden. Und das wird auch die Ausrüster treffen.

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