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Wirtschaft: Und sie bewegt sich – noch

Die Musikindustrie saniert sich, die Konzerne fusionieren mit Erfolg. Doch ein Geschäftsmodell für die Zukunft hat die Branche noch nicht gefunden

Rolf Schmidt-Holtz war aus dem Häuschen. „Begrüßen Sie mit einem warmen Applaus Natasha Bedingfield – einen europäischen Star“, rief der BMG-Chef am vergangenen Mittwoch 800 Gästen der Bertelsmann-Party in der Berliner Konzernrepräsentanz zu. „Vielleicht“, so der Musikmanager, „erleben Sie heute einen künftigen Weltstar.“ Ja, vielleicht.

Im Publikum konnten wohl noch wenige etwas mit dem Namen der blonden Sängerin anfangen. Aber klar war allen: Auf der Bühne präsentierte sie eine Neuheit aus der aktuellen Produktserie des Musikherstellers BMG, die jetzt für den weltweiten Vertrieb vorbereitet wird. BMG – laut Phonoverband durch die Fusion mit Sony Music jüngst zum weltgrößten Musikkonzern aufgestiegen – steht unter Erfolgsdruck. Nur wenn sich ein neuer Star weltweit verkauft, spielt er die hohen Kosten der Produktion, des Marketings und des Konzernapparates wieder ein.

1:10 lautete früher eine Formel der Branche: ein Hit finanziert zehn Flops. Heute wird anders gerechnet: „Jede dritte Neuerscheinung muss ein wirtschaftlicher Erfolg sein“, sagt Jörg Hellwig, Musikchef bei BMG in München.

Bei Bertelsmann scheint diese Rechnung im ersten Halbjahr noch aufgegangen zu sein. Stars wie Usher, Avril Lavigne oder Yvonne Catterfeld kletterten in den Charts und Verkaufslisten ganz nach oben. Bei anderen Majors, wie die vier größten Musikkonzerne der Welt genannt werden, sieht es auch nicht schlecht aus.

In den USA, dem wichtigsten Musikmarkt, zogen zuletzt sogar die CD-Verkäufe wieder leicht an. Ist die Krise der Gute-Laune-Industrie, die seit 1999 mehr als 20 Prozent ihrer Umsätze an Internet-Piraten und CD- Brenner verloren hat, vorbei? Die Fassade täuscht. „Die guten Ergebnisse sehen besser aus als sie sind“, sagt Martin Fabel, Medienexperte beim Beratungsunternehmen AT Kearney. „Es gab ein paar wirklich große Charterfolge. Vor allem zeigen aber massive Kosteneinsparungen bei Personal und Künstlern Wirkung.“

Die Sanierung greift bei den Kosten. Was der lange vom Erfolg verwöhnten und deshalb träge gewordenen Industrie hingegen immer noch fehlt, ist ein tragfähiges Geschäftsmodell für die Zukunft. Ein Modell für den Wettlauf mit dem ärgsten Feind – dem Internet. Doch die riesigen Konzerne bewegen sich zu langsam. Aktuelles Indiz: Der erst im Frühjahr gestartete gemeinsame Online-Vertrieb Phonoline der deutschen Musikindustrie wird wohl mangels Erfolg wieder eingestellt. „Plattenfirmen im herkömmlichen Sinne sind überflüssig, die Manager potenziell überfordert“, schreibt Tim Renner in seinem kommende Woche erscheinenden Buch „Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm – Über die Zukunft der Musik- und Medienindustrie“.

Renner war 17 Jahre in der Branche beschäftigt, zuletzt als Deutschlandchef von Universal Music. Er plädiert für einen radikalen Schnitt: „Es wird höchste Zeit, das Musikgeschäft neu zu denken.“ Sein Vorschlag: Die Musikfirma der Zukunft versteht sich – anders als heute – zugleich als Manager, Verleger und Label und greift offensiv ins digitale Geschäft ein. Dort macht sie der Fangemeinde ein besseres Angebot als die illegalen Piraten: Neuproduktionen werden ohne Kopierschutz in perfekt funktionierenden Download-Shops zur Verfügung gestellt. Die Künstler wiederum werden vom Tonstudio über die Konzertbühne bis zum Plattenverkauf begleitet. Denn: Zwei Drittel des Geldes im Musikbusiness wird durch Tourneen, Verlagsgeschäft, Merchandising und Sponsoring verdient.

Wie man die Nähe zu den Künstlern behält, zeigen die unabhängigen Labels. Sie profitieren davon, dass sich die Majors aus den lokalen Märkten zurückziehen. Etwa ein Viertel des deutschen Musikmarktes liegt in den Händen von rund 1000 Independents. „Die kleinen, inhabergeführten Firmen arbeiten kostengünstiger und sind näher am Künstler und an den Fans – hier fließt häufig richtig Geld“, sagt Peter James, Geschäftsführer des Verbands unabhängiger Tonträgerunternehmen (VUT).

Der Erfolg der Independents ist den Majors nicht verborgen geblieben. „Künstler, die dort entdeckt werden und einen gewissen Anfangserfolg haben, werden gekauft. Das ist weit weniger riskant, als sie selbst zu entwickeln“, sagt Martin Fabel. Gerade was die Teilhabe an Tournee-Umsätzen der Stars angeht, sind die Labels aber oft machtlos. „An die Superstars, die häufig eigene Labels gegründet haben, kommen wir nicht mehr ran“, sagt BMG- Mann Jörg Hellwig. „Das geht nur bei Newcomern.“ „Im Moment“, räumte Bertelsmann-Chef Gunter Thielen jetzt in einem „Wall Street Journal“-Interview ein, „ist das nur eine Idee“.

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