zum Hauptinhalt
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.

© dpa

Ungehaltene Rede: Was Schäuble der Finanzelite eigentlich sagen wollte

Bundesfinanzminister Schäuble hat in der vergangenen Woche vor rund 400 Bankern gesprochen. Dabei ersparte er der Finanzelite eine scharfe Abrechnung - obwohl das Redemanuskript genau das vorsah.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat am vergangenen Donnerstag vor der versammelten Finanzelite eine Rede gehalten. 400 Frauen und Männer aus der Bankenindustrie waren gekommen, darunter Bundesbank-Chef Axel Weber, Commerzbank-Chef Martin Blessing und der Aufsichtsrats-Chef der Deutschen Bank, Clemens Börsig.

Es war eine gute, weil kritische Rede. Der Bankensektor müsse wieder zu einer dienenden Funktion für die Realwirtschaft zurückkehren, sagte Schäuble. Besser allerdings waren jene Redepassagen, die Schäuble in Frankfurt nicht vortrug. Aus diesen Passagen, die vor ihm auf dem Pult lagen, sprach das gesammelte Unverständnis gegenüber einer Finanzelite, die am liebsten so weitermachen würde wie bisher.

„Es gibt Anzeichen, dass das Zocken auf den Märkten schon wieder begonnen hat“, heißt es im Manuskript. Es sei gefährlich für den Zusammenhalt in der Gesellschaft, „wenn sich bei immer mehr deutschen Unternehmen der Realwirtschaft der Eindruck verfestigt, dass Teile des Kreditgewerbes kein Interesse mehr an der Zusammenarbeit mit ihnen haben“.

Das Geschäftsmodell der Investmentbanken griff Schäuble in dem ungehaltenen Teil seiner Rede frontal an. „Während die Gewinne aus immer riskanteren Finanzgeschäften bei den einzelnen Akteuren verbucht wurden, wurden die Verluste in der Krise sozialisiert.“

Für den Widerstand der Banken und ihrer Verbände gegen eine straffere staatliche Regulierung – wie sie derzeit in Brüssel, Berlin und Basel vorbereitet wird – brachte Schäuble, der Ungehaltene, kein Verständnis auf: „Wenn man eine Umfrage unter Löwen machte, wäre das Ergebnis: Sie lehnen den Käfig ab, wollen aber weiter eine gute Verpflegung.“

Er richtete in seinem Manuskript die Worte auch sehr persönlich an die, die aus seiner Sicht ihrer Verantwortung gegenüber dem Gemeinwesen derzeit nicht gerecht würden: „Sie, meine Damen und Herren Repräsentanten der Finanzelite, müssen die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft leben, vorleben, wieder beleben.“

Warum Schäuble den Anwesenden diese Worte vorenthielt, ist unklar. Fest steht nur: Es ist bedauerlich. Denn es handelt sich um eine bemerkenswerte, wahrscheinlich sogar um eine große Rede. Deshalb hat das "Handelsblatt" sich entschlossen, sie zu dokumentieren – obwohl, wie stets in solchen Fällen, nur „das gesprochene Wort“ des Ministers gilt.

Zentrale Fragen der Krise sind nicht geklärt

Am kommenden Mittwoch jährt sich zum zweiten Mal die Pleite von Lehman Brothers. Und immer noch sind zentrale Fragen dieser Krise nicht geklärt. Wie lässt sich sicherstellen, dass Banken nicht wieder mit dreistelligen Milliardensummen gerettet werden müssen? Wie entziehen die Notenbanken dem Geldkreislauf jenes Geld, das sie zur Unterstützung der Wirtschaft noch immer in den Markt pumpen? Eine Rede, die in klaren Worten Orientierung gibt, wäre sinnvoll gewesen.

Überwunden ist die Finanzkrise noch lange nicht, mit dieser Einschätzung stehen die wortgewaltigen Redenschreiber des Finanzministeriums nicht allein. „Wir befinden uns nicht im Jahr eins nach der Krise, sondern im vierten Jahr der Krise“, sagte am Freitag auch Bundesbankpräsident Axel Weber bei einer Jubiläumsfeier vor Bankern in Düsseldorf.

Erst am Wochenende wurde deutlich, wie labil das Finanzsystem immer noch ist. 40 Milliarden Euro an staatlichen Garantien braucht die angeschlagene und mittlerweile verstaatlichte Immobilienbank Hypo Real Estate (HRE) zusätzlich. Insgesamt summieren sich damit allein für die HRE die Garantien auf bis zu 142 Milliarden Euro. Das entspricht einem Großteil des Lohnsteueraufkommens in Deutschland.

Lesen Sie weiter auf Seite 2

Im New Yorker Handelsraum der weltgrößten Investmentbank Goldman Sachs gibt es einen Computer, an dem ein großes Schild klebt: „Thanks BP“ steht handgeschrieben darauf. Der Ausdruck hat mittlerweile Karriere gemacht. Er ist zum geflügelten Wort auf den Gängen der Goldman-Sachs-Zentrale geworden.

„Thanks BP“ – nur zwei Worte genügen, um die Gemütslage der mächtigen Banker zu beschreiben: Das Umweltdesaster von British Petroleum im Golf von Mexiko hat den langjährigen Lieblingsfeind von Politik und Medien endlich aus den Schlagzeilen gebracht. Endlich wieder auf das Geschäft konzentrieren, zurück zur Tagesordnung, heißt die Devise. Ausgerechnet Goldman. Jene Bank also, deren Chef, Lloyd Blankfein, die Öffentlichkeit mit der Bemerkung verblüffte, er sei „bloß ein Banker, der Gottes Werk verrichte“.

Sehnsucht nach Normalität

Doch nicht nur bei den Goldman-Managern gibt es diese Sehnsucht nach der Normalität. Auch in Europa werden viele Banker nicht müde, Politiker und Aufseher davor zu warnen, mit den Reformen im Finanzsektor bloß nicht zu weit zu gehen.

Der jüngste Vorstoß fand gestern statt. Kurz vor den entscheidenden Beratungen in Basel wandte sich der Europäische Bankenverband EBF an Jean-Claude Trichet, den Präsidenten der Europäischen Zentralbank. Die europäischen Banken seien sehr besorgt über die Folgen der Vorschriften für die Kreditvergabe, schrieb der Verband in einem Brief. Auch der führende US-Verband kritisierte, die Vorgaben schränkten den Spielraum für Kredite ein.

Aufseiten der Politik stoßen solche Bemerkungen auf Unverständnis. „Mit hohen Summen von Steuergeldern wurden Finanzinstitute gerettet und Finanzmärkte stabilisiert. Ich erwarte dafür keine Dankbarkeit, aber zumindest konstruktive Zusammenarbeit bei den Anstrengungen, solche Prozesse in Zukunft zu vermeiden“, heißt es in Schäubles Redetext.

Zuvor hatte EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier der Finanzindustrie den Kampf angesagt. Auf die schwerste Finanzkrise seit 1929 müssten jetzt „echte Reformen“ folgen, forderte er. Banker hätten sich „unverantwortlich und unmoralisch“ verhalten. Auch Bundesbankpräsident Axel Weber mahnt die Bankmanager genervt, „endlich ihren Widerstand gegen härtere Vorschriften aufzugeben“. „Die neuen Regeln werden kommen“, sagte er auf einem Bankenkongress. Und sie würden die Realwirtschaft nicht beeinträchtigen.

Die Banker auf der einen, die Politik und Finanzaufsichtsbehörden auf der anderen Seite – unterschiedlicher könnten die Wahrnehmungen der Krise nicht sein. Auch gut drei Jahre nach dem Ausbruch der globalen Finanzkrise herrscht in der Politik immer noch Wut über die Manager in den Banktürmen, deren Spiel mit dem Risiko ganze Volkswirtschaften an den Rand des Abgrunds geführt hat.

Wohlstandsverlust von 15 Billionen Dollar

In der Tat ist die Dimension dieser Krise atemberaubend. Nach Schätzung von Experten erlitt die Welt seit Beginn der Krise Mitte 2007 einen Wohlstandsverlust von 15 Billionen Dollar – mit Berücksichtigung der Verluste an den Börsen, der geringer bewerteten Immobilien und Wohlstandsverluste durch geringere Wachstumszahlen der Staaten.

Ganz anders die Sicht der Banker. Große Institute machen schon wieder Milliardengewinne. Trotz allen Volkszorns – laut der jüngsten GFK-Umfrage traut nur noch jeder zweite Bundesbürger den Banken – zahlen sie wieder Millionengehälter. Allein die US-Banken beglückten ihre Angestellten im vergangenen Jahr mit Gehältern und Boni von 140 Milliarden Dollar. Die Banken blicken auf ihre Gewinne und sehen sie durch die geplanten Reformen gefährdet. Für Vergangenheitsbewältigung sehen sie wenig Anlass.

Dennoch berührt die Spitzenmanager in den Banktürmen die ständige Kritik an ihrer Zunft. Martin Blessing etwa, Chef der Commerzbank, sagte auf die Frage, ob in der Branche wieder die alten, rücksichtslosen Methoden herrschten: „Ich bin mir da nicht sicher.“ Er sehe den Finanzmarkt jedenfalls nicht als Kasino. Theodor Weimer, Chef der Münchener HVB, sagte, die Gier sei keinesfalls zurück. „Es ist definitiv so, dass die Banken auf dem Höhepunkt der Krise im Jahr 2008 in den Abgrund geblickt haben.“ Bei allen Bankern, die er kenne, sei der Wunsch tief verwurzelt, dass sich das nicht wiederhole. Nachdenklich äußerte sich auch Alessandro Profumo, Chef der italienischen Bank Unicredit: „Die gesellschaftliche und politische Akzeptanz ist neben langfristig stabilen Gewinnen der zweite Faktor, der uns eine Existenzberechtigung verleiht“, schreibt Profumo im Gastkommentar für das Handelsblatt.

In diese Reihe der Nachdenklichen wollte sich Schäuble einreihen. Deshalb erteilte er seinem Redenschreiberteam unter Leitung von Ministerialrat Christoph Harzer den Auftrag, eine kritische Rede zu schreiben. Das tat es auch. Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen gab sein Einverständnis, bevor die Rede in Kleinstauflage gedruckt wurde.

Der Minister steckte sie – bevor er zum Bankenkongress nach Frankfurt reiste – in seine Aktentasche. Den Tenor trug er vor, die schärfsten Passagen nicht.

Quelle: "Handelsblatt"

Jens Münchrath

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false