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Ungewisse Zukunft: Diese Maßnahmen sollen den Azubis helfen

Die Coronakrise könnte zu einem Einbruch auf dem Ausbildungsmarkt führen. Der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, fordert einen "Berufsstarterbonus".

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Dieter Mießen kann sich glücklich schätzen. „Die Auftragsbücher sind voll, unsere Planungen laufen unverändert“, sagt der Kaufmännische Leiter der Berliner Tiefbaufirma Frisch und Faust. Über Jahre hinweg war das selbstverständlich, jetzt nicht mehr. „Einige Betriebe wird es nach der Coronakrise nicht mehr geben“, sagt Mießen, „darunter auch Ausbildungsbetriebe.“ Deshalb will Mießen nun Azubis aus kriselnden Unternehmen bei sich aufnehmen. „Warum sollte aus einem gelernten Koch nicht ein guter Tiefbauer werden?“

Gut möglich, dass Betriebe wie der von Mießen bei der Ausbildung bald stärker in die Pflicht genommen werden. Das Coronavirus hat die Wirtschaft in eine Rezession getrieben, manche Firmen sorgen sich um ihre Existenz – mit gravierenden Folgen für den Nachwuchs. Dabei stellt sich nicht nur die Frage: Können alle Azubis ihre Ausbildung beenden? Sondern auch: Gibt es zu Beginn des neuen Ausbildungsjahres im August und September genügend Ausbildungsplätze? Und: Werden alle Azubis, die dieses Jahr ihre Ausbildung beenden, auch übernommen oder finden anderswo einen Job? Wirtschaft und Gewerkschaften fürchten jedenfalls einen regelrechten Crash auf dem Ausbildungsmarkt.

Um den zu verhindern, wollen Bund und Länder mit Gewerkschaften und Unternehmerverbänden konkrete Maßnahmen beschließen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat für Ende Mai ein Treffen der „Allianz für Aus- und Weiterbildung“ angekündigt. Er sorgt sich, dass wegen der Corona-Pandemie ein Jahrgang entsteht, in dem Ausbildungsplätze auf breiter Front wegbrechen.

Erste Ideen liegen bereits auf dem Tisch. So fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) einen Zuschuss für Unternehmen, die Azubis aus insolventen Firmen aufnehmen. Damit bekämen Betriebe wie der von Mießen einen zusätzlichen Anreiz, betroffene Azubis umzuschulen. „Angesichts der Zahlen ist schon jetzt offensichtlich, wie groß die Herausforderungen im kommenden Ausbildungsjahr werden“, sagt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack.

Betriebe bieten weniger Stellen an

Schon jetzt sind Betriebe zurückhaltend bei Neueinstellungen. Laut Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sind die angebotenen Ausbildungsplätze im April im Vergleich zum Vorjahresmonat um acht Prozent zurückgegangen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) fordert daher einen allgemeinen Zuschuss für Ausbildungsbetriebe. Das Konzept: Für jeden Neuvertrag zahlt der Staat einmalig 75 Prozent eines Azubigehalts für drei Monate. Zwar will knapp die Hälfte der Handwerksbetriebe auch im kommenden Ausbildungsjahr mindestens so viele Azubis einstellen wie zuvor. Jedes vierte Unternehmen will sein Stellenangebot aber reduzieren, wie eine Umfrage ergab.

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Johannes Vogel, der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, schlägt vor, dass der Staat bis Jahresende oder länger die Sozialversicherungsbeiträge für neugeschaffene Ausbildungsverhältnisse übernimmt. „Das wäre ein wirksamer Anreiz.“ Er warnt: „Wenn die Coronakrise zur Ausbildungskrise wird, leiden wir als Gesamtgesellschaft, weil dann der Fachkräftemangel von morgen angelegt ist.“ Auch Tilman Kuban, der Chef der Jungen Union, ist dafür, dass der Staat Anreize schafft, geplante Ausbildungsplätze zu erhalten: „Es darf gerade für kleinere Betriebe keine Hemmnisse geben, die dazu führen, jetzt auf die Auszubildenden zu verzichten.“

Viele Jugendliche sorgen sich derzeit um ihren Ausbildungsplatz.
Viele Jugendliche sorgen sich derzeit um ihren Ausbildungsplatz.

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Die Grünen kritisieren, dass die Regierung die Situation der Auszubildenden nicht ausreichend auf dem Schirm hatte. „Die sind erst mal hinten runtergefallen“, sagt Beate Walter-Rosenheimer, Sprecherin für Aus- und Weiterbildung der Grünen im Bundestag. Ihre Partei fordert schon seit Längerem eine staatliche Ausbildungsgarantie. „Wir wollen, dass jeder, der eine Ausbildung machen will, auch einen Platz bekommt“, sagt Walter-Rosenheimer. Weil Ausbildungen teuer sind, fände sie es sinnvoll, dass sich Unternehmen zusammenschließen können. Mehrere Friseurbetriebe könnten etwa gemeinsam einen Azubi ausbilden.

Höheres Kurzarbeitergeld auch für Azubis gefordert

JU-Chef Kuban will den Fokus auch auf die Azubis lenken, die bereits in einem Arbeitsverhältnis sind. Wenn diese Kurzarbeitergeld bekämen, dürfe das auf keinen Fall nur bei 60 Prozent liegen. „Davon kann niemand leben.“ Es müsse bei mindestens 80, am besten aber bei 100 Prozent liegen. Noch müssen Betriebe ihren Azubis sechs Wochen lang die volle Vergütung zahlen, ehe sie Kurzarbeitergeld beantragen können. Außerdem sagt Kuban: „Damit Auszubildende ihre Ausbildung auch in der Coronakrise beenden können, müssen wir digitale Möglichkeiten stärker nutzen – beispielsweise in den kaufmännischen Berufen.“

Tilman Kuban, Vorsitzender der Jungen Union, fordert einen Bonus für Berufsstarter.
Tilman Kuban, Vorsitzender der Jungen Union, fordert einen Bonus für Berufsstarter.

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Dazu brauche es genug Notebooks und Tablets. Und es müsse dafür gesorgt werden, dass auch in den Berufsschulen der Unterricht stattfinden könne, etwa über Videotelefonie im Homeoffice. Dafür fordert die Junge Union einen Digitalbonus für Unternehmen, wie es ihn bereits in Niedersachsen gibt. „Das wäre ein Zuschuss für Ausbildungsbetriebe, die Homeoffice-Aktivitäten fördern oder Videokonferenztechnik, Telemedizin-Technik und Ähnliches anschaffen.“

JU-Chef schlägt "Berufsstarterbonus" vor

Kuban schlägt zudem einen „Berufsstarterbonus“ vor, damit Absolventen einer Ausbildung oder eines Studiums auch einen Job finden. Er sagt: „Wenn jetzt die Neueinstellungen einbrechen, bekommen wir einen Fachkräftemangel und eine hohe Arbeitslosigkeit unter jungen Leuten.“ Der „Berufsstarterbonus“ solle Unternehmen unterstützen, die jetzt Jobs schaffen und Ausbildungs- oder Hochschulabsolventen für mindestens drei Jahre oder unbefristet einstellen. Kuban könnte sich vorstellen, dass der Staat das Gehalt des neuen Mitarbeiters für drei Monate zu 50 Prozent bezahlen solle.

Jeder vierte Handwerksbetrieb will weniger Azubis einstellen.
Jeder vierte Handwerksbetrieb will weniger Azubis einstellen.

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Auch für einen Azubi zahlen Firmen immer mehr. So muss ein Ausbildungsbetrieb mittlerweile mit Nettokosten von knapp 7000 Euro pro Azubi und Jahr rechnen – fast doppelt so viel wie noch 2007. Was in erfolgreichen Zeiten kaum ein Problem war, könnte in Krisenzeiten wie diesen zum Ballast für Firmen werden.

Unternehmen erreichen Schüler nicht mehr

Doch auch ohne Coronakrise ist der Ausbildungsmarkt zunehmend ins Stocken geraten. Beteiligte sich im Jahr 2007 noch fast ein Viertel aller Unternehmen an der Ausbildung, tat dies zehn Jahre später nicht einmal mehr jedes fünfte. In den vergangenen zehn Jahren ist darüber hinaus auch die Nachfrage nach Stellen fast kontinuierlich gesunken. Das zeigt der kürzlich vorgestellte Datenreport des Berufsbildungsberichts. Und ohnehin scheinen Betrieb und Schulabsolventen immer schwieriger zueinanderzufinden. Denn sowohl die Jugendlichen als auch die Firmen sind auf der Suche nach dem passenden Partner zunehmend erfolgloser.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Die Coronakrise erschwere die Suche noch, heißt es aus den Unternehmen. „Wir erreichen die Schüler nicht“, sagt Mießen von Frisch und Faust. Berufsmessen sind abgesagt, der Schulbetrieb noch eingeschränkt. Wie viel das ausmacht, kann Mießen an den aktuellen Bewerberzahlen erkennen. Es liegen gut ein Drittel weniger Bewerbungen auf den Schreibtischen seiner Mitarbeiter, schätzt er. „Das müssen wir jetzt mit noch mehr Anstrengungen kompensieren.“

Coronakrise könnte auch das Handwerk noch treffen

JU-Chef Kuban fordert digitale Angebote, damit sich Betriebe weiterhin als Arbeitgeber präsentieren können. „Wenn jetzt keine Jobmessen stattfinden dürfen, kann ich mir gut eine Digital-Plattform vorstellen, die die Bundesregierung gemeinsam mit Arbeitgeber- und Handwerksverbänden aufsetzt.“ Das dürfe dann auch Spaß machen: „Dass man in einer Art Videospiel eine Hauswand mauert und die dann bewertet wird. Oder dass man digital einen Zug fährt.“

Auch wenn es seinem Unternehmen noch gut geht: Gedanken über die Zukunft macht sich Mießen trotzdem. Die Coronakrise könnte die Baubranche noch in zwei, drei Jahren treffen, mutmaßt der Kaufmännische Leiter von Frisch und Faust Tiefbau. Nämlich dann, wenn dem Senat das Geld für Investitionen in Infrastruktur fehlt. Mießen bleibt optimistisch: „In den vergangenen Jahren haben wir es immer geschafft.“

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