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Klein gestartet. Am neuen Flughafen Kassel-Calden, der am vergangenen Donnerstag eröffnet wurde, gibt es derzeit pro Woche nur ein Dutzend Flüge.

© dpa

Unrentable Regionalflughäfen: Kassel-Calden fehlen die Passagiere

Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier wollte mit seinem neuen Regionalflughafen ein Zeichen für Aufbruch setzen. Doch leider fehlen in Kassel-Calden bisher die Passagiere.

Volker Bouffier ist mit dem Auto zur Flughafeneröffnung gekommen. „Es war keine reine Freude“, erzählt der hessische Ministerpräsident später auf der Bühne. Während der ganzen Fahrt habe er im Radio die Vorberichte zur Eröffnung des neuen Regionalflughafens in Kassel-Calden gehört. Von maßloser Selbstüberschätzung der Politiker war da die Rede, von planmäßiger Geldverschwendung. „Eines können wir nicht gebrauchen“, ruft der CDU-Politiker den rund 200 Ehrengästen bei seiner Festrede am Donnerstag zu, „Häme und Niedertracht gegen alles.“

Im fernen, finsteren Nordhessen ist Bouffier angekommen, im ehemaligen Zonenrandgebiet. Das ist der Blick, den der reichere Süden des Landes mit der Finanzmetropole Frankfurt und dem Sitz der Landesregierung in Wiesbaden wohl immer auf die Region um Kassel hatte. „Lange galt für Nordhessen das Verdikt, eine benachteiligte, nicht kraftvolle Region zu sein, aus der die Menschen lieber wegziehen als hinziehen“, sagt Bouffier. Hessisch-Sibirien eben – die Zuhörer im gut geheizten Festzelt wissen, wovon er spricht. Draußen weht ein eisiger Wind. Doch die Lage hat sich geändert. Inzwischen sei die Region zu einer der dynamischsten in ganz Deutschland geworden, trägt Bouffier vor. Und in eben dieser Region will die Politik nun ein „überzeugendes Zeichen für Aufbruch und Zukunft“ setzen.

Ausgerechnet mit einem Flughafen. Ein ambitioniertes, wenn nicht unerreichbares Ziel, denn Beispiele für Regionalflughäfen, die erfolgreich wirtschaften und ihrer Region Aufschwung und Jobwunder gebracht haben, gibt es praktisch nicht. Im Gegenteil, ein neuer Wettbewerber macht den nahe gelegenen Flughäfen in Paderborn, Dortmund oder Erfurt das Leben nur noch schwerer. Auch der viel größere Airport in Hannover befürchtet „Kannibalisierungseffekte“. Die Fluggesellschaften zeigen ebenfalls kein Interesse an Kassel-Calden. Ralf Teckentrup, Chef des Ferienfliegers Condor, hält das Ganze „für eine komplette Fehlinvestition“. Tatsächlich stehen derzeit pro Woche nur etwa ein Dutzend Flüge auf dem Flugplan. In der ersten planmäßigen Verbindung von Tailair nach Antalya am Donnerstag sitzen 30 Passagiere. Ein anderer Flug wurde gestrichen, die Fluggäste werden mit dem Bus nach Paderborn gefahren.

Die Idee zum Flughafenausbau kam von der Industrie- und Handelskammer Kassel-Marburg, die 1998 ein Positionspapier erstellte mit dem Ergebnis, dass ein Flughafen der regionalen Wirtschaft einen positiven Schub geben könnte. Tatsächlich existiert bereits seit vielen Jahren ein Verkehrslandeplatz, der von Sportfliegern und Firmenjets genutzt wird. Jedoch genügte er den gestiegenen Sicherheitsanforderungen nicht mehr, war also nicht zukunftsfähig, wie Bouffier das nennt.

Die Politik (Bouffiers Vorgänger Roland Koch) nimmt die Anregung der Kammer zum Aus- und Neubau des Flughafens auf. Aus den ursprünglich veranschlagten Kosten von 70 Millionen D-Mark werden in den 15 Jahren Planungs- und Bauzeit erst 151 Millionen Euro, dann 225 Millionen, schließlich 271 Millionen Euro. Anteilseigner der Flughafengesellschaft sind das Land Hessen (68 Prozent), die Stadt und der Landkreis Kassel (je 13 Prozent) und die Gemeinde Calden (sechs Prozent). So sind auch die Kosten verteilt.

Mit den Kosten ist noch lange nicht Schluss.

Dabei ist mit den Kosten noch lange nicht Schluss. Nicht nur Grüne Oppositionspolitiker und der Steuerzahlerbund beklagen, dass der Betrieb des Flughafens jedes Jahr weiter Millionen verschlingen wird. Sogar Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) sagte dem Hessischen Rundfunk: „Aus jetziger Perspektive glaube ich nicht daran, dass man mit dem Flughafen richtig Geld verdienen kann. Das Ziel muss eine schwarze Null sein, damit es keine weitere Belastung der öffentlichen Kassen gibt.“ 2020, so lautet die Prognose, sollen annähernd 660 000 Passagiere Kassel-Calden nutzen, wobei Kassel knapp 200 000 und Calden rund 7500 Einwohner hat. Wenn alles gut läuft, soll der Betrieb bis 2020 kostendeckend sein.

Kassels Oberbürgermeister Bertram Hilgen (SPD) rechnet anders. Er ist überzeugt, dass der Nutzen, den der Flughafen in der Region stiftet, die hohen Kosten rechtfertigt. „Wir starten durch, aber fliegen auf Sicht“, sagt er. So sei es nicht geplant, mit Sonderkonditionen Billig-Airlines anzulocken. In anderen Regionen habe man Flughäfen gebaut, um die Wirtschaft anzukurbeln. In Kassel sei es umgekehrt: „Nordhessen braucht als wirtschaftlich prosperierende Region einen Anschluss an den Flugverkehr“, sagt Hilgen. Viele Unternehmen, die in Kassel sitzen, „verdienen ihr Geld in der ganzen Welt“. Kritiker fragen allerdings, warum die Wirtschaft, wenn sie den Flughafen denn so dringend braucht, sich nicht direkt engagiert. Eine frühere Beteiligung der IHK an der Trägergesellschaft hat das Land inzwischen übernommen.

Unbestritten ist, dass Kassel vorangekommen ist. Die Gewerbesteuereinnahmen der Stadt sind hoch wie nie, die Arbeitslosigkeit ist spürbar gesunken. Der Oberbürgermeister hat kaum noch Platz, um neue Gewerbegebiete auszuweisen. „Der Ausbau des Flughafens Kassel-Calden war erforderlich, damit die Region im immer stärker werdenden Wettbewerb der Regionen nicht ins Hintertreffen gerät“, argumentiert Hilgen. Und Calden sichere und schaffe Arbeitsplätze. Immerhin rund 750 Menschen arbeiten bereits rund um den Flughafen. „Viele von den Leuten sind vorher stempeln gegangen“, weiß Hilgen.

Mit rund 15 500 Beschäftigten ist das Volkswagen-Werk der größte Arbeitgeber der Region. Aber auch Daimler ist hier vertreten, der Düngemittelhersteller K+S, die Medizintechnikfirma B. Braun Melsungen oder der Erdöl- und Erdgasproduzent Wintershall. „Als international tätiges Unternehmen mit Sitz in Kassel nutzt Wintershall den Flughafen Kassel-Calden natürlich regelmäßig“, heißt es auf Anfrage bei der BASF-Tochter. Calden biete schnellen Zugang zu Geschäftspartnern und den weltweiten Märkten. Die Flugziele der konzerneigenen Maschinen sind etwa die Ölfelder in Norwegen, Libyen – und auch im echten Sibirien.

Vielleicht auch bald Urumqi. Unter den Festgästen sitzt an diesem Tag Thomas Fischer, Vertreter von VW in der Provinz Xinjiang im Westen Chinas. Die dortige Hauptstadt Urumqi hat drei Millionen Einwohner. Xinjiang sei viermal so groß wie Deutschland, erklärt Fischer, und eine der aufstrebenden Regionen in China mit vielen Bodenschätzen wie Öl, Gas und Seltenen Erden. „Da ist noch viel ungehobenes Potenzial“, sagt Fischer. Volkswagen baut dort ein neues Werk. „Wenn alle an einem Strang ziehen“, meint er, könnte es klappen mit einer Direktverbindung zwischen Calden und Urumqi. Bislang sei die Reise umständlich. „Von chinesischer Seite ist das Interesse da“, sagt Fischer. Urumqi – das ist eine Option, an die Hessens Politiker womöglich noch nicht gedacht haben.

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