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Wirtschaft: „Unser Energiemix ist für Kyoto nicht optimal“

EU-Kommissar Andris Piebalgs über Tempo 90 auf Autobahnen, die Sicherheit von Atomkraftwerken und die Höhe der Strompreise

Herr Kommissar, wie schnell fahren Sie, wenn Sie auf der Autobahn sind?

Ich fahre nicht gern Auto, mir macht das keinen Spaß. Aber ich muss es natürlich trotzdem ab und zu tun, dann fahre ich immer mit dem Tempolimit, das gerade gilt. Und wenn es keine Begrenzung gibt, fahre ich höchstens 120.

Als die Internationale Energieagentur für ganz Europa ein einheitliches Tempolimit von 90 km/h vorgeschlagen hat, zeigten Sie Sympathie für die Idee.

Ja, aber das steht derzeit nicht an – vor allem nicht gegen den Willen der Bürger. Allerdings kann es zu Situationen kommen, in denen wir außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen müssen, zum Beispiel wenn eines Tages die Ölproduktion der Nachfrage nicht mehr hinterherkommt. Eine solche Situationen sehe ich aber zurzeit nicht.

Hat sich Europa zu sehr von Energieimporten abhängig gemacht?

Mit Sicherheit ja. Ein Drittel unseres Öls stammt aus Ländern der OPEC (Organisation Erdöl exportierender Länder), das ist schon ziemlich viel. Hinzu kommen noch einige andere Produzentenländer. Wir geben für Energieimporte immer mehr Geld aus – das ist dann für den Konsum nicht mehr verfügbar.

Was kann die EU dagegen tun?

Wir müssen unsere Bezugsquellen besser streuen. Dafür nehmen wir mit den kaspischen Staaten und Nordafrika Kontakt auf, und seit vergangener Woche führen wir erstmals auf europäischer Ebene auch Gespräche mit der OPEC. Auf dem Gasmarkt wird in Zukunft auch Flüssiggas eine große Rolle spielen, das wir zum Beispiel aus Katar, Angola oder Algerien beziehen können. Die entscheidende Antwort für Europa lautet aber Energieeffizienz. Wir brauchen neueste Technologien, um den Energiebedarf im Verkehr, beim Heizen und in der Stromerzeugung so weit wie möglich zu reduzieren. Nur so lässt sich die Abhängigkeit verringern.

Anders ist es bei der Kohle – die kann Europa zum großen Teil selbst fördern.

Das ist richtig. Beim Öl geht es in 40 Jahren nicht mehr weiter, wenn der Verbrauch so hoch bleibt wie bisher. Bei der Kohle ist die Situation viel besser: Das Angebot reicht für 200 Jahre. Das heißt aber nicht, dass der Anteil der Kohle am gesamten Energieverbrauch steigen muss.

Die neue CDU-FDP-Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat beschlossen, die Subventionen für die Steinkohle stark zurückzufahren und langfristig ganz abzuschaffen. Ändert das die Situation?

Nein. Stromerzeugung aus Kohle und Steinkohlebergbau in Deutschland sind zwei verschiedene Sachen. Die Energieunternehmen kaufen Steinkohle auf dem Markt – egal, wo sie herkommt.

Das heißt, Europa braucht die deutsche Steinkohle nicht?

Wenn sie konkurrenzfähig ist, schon, sonst nicht. Was zählt, ist der Preis. Es gibt genug Kohle auf dem Weltmarkt.

Bei der Verbrennung von Kohle entsteht das Treibhausgas CO2 – wie kann man dieses Problem lösen?

Ich halte die Clean-Coal-Technologien für außerordentlich wichtig. Dabei wird das CO2 abgespalten und gelangt nicht in die Atmosphäre. EU, Mitgliedstaaten und Industrie müssen alle Ressourcen bündeln, um diese Technologie in zehn bis zwanzig Jahren marktreif zu machen.

Aber noch ist die Technik nicht so weit. Kann die EU mit dem derzeitigen Energiemix überhaupt die Kyoto-Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen einhalten?

Der Energiemix ist für Kyoto nicht optimal. Es kann sein, dass wir die Ziele später erreichen werden als gedacht.

Haben wir genug erneuerbare Energien?

Die Antwort ist ganz klar nein. Wir hatten uns das Ziel gesetzt, dass die Erneuerbaren bis 2010 an der Stromerzeugung 22 Prozent ausmachen. Ich halte nun nur noch 18 bis 19 Prozent für realistisch. Wir müssen vor allem für Biomasse mehr Interesse zeigen. Die Erneuerbaren sind neben der Energieeffizienz der wichtigste Teil unserer Kyoto-Lösung.

In Deutschland möchten CDU und FDP die Förderung der erneuerbaren Energien zurückfahren. Sind die Technologien dafür schon weit genug entwickelt?

Deutschland hat viel für die Erneuerbaren getan, ich sehe das sehr positiv. Natürlich ist es möglich, das Fördersystem zu ändern, das liegt in der Hand der deutschen Regierung. Manche Leute beklagen, dass zu viel gefördert wurde. Ich sehe das nicht so. Deutschland hat ganz Europa gezeigt, wie viel man mit den Erneuerbaren erreichen kann.

Wie lange brauchen die Erneuerbaren noch staatliche Unterstützung, bevor sie am Markt bestehen können?

Das ist vor allem abhängig vom Ölpreis. Ich gehe davon aus, dass die Erneuerbaren wettbewerbsfähig sind, wenn der Ölpreis bei 66 Dollar je Barrel liegt. Derzeit liegt der Ölpreis bei mehr als 50 Dollar, und dass er weiter steigt, können wir nicht ausschließen.

Kann auch die Atomkraft einen Beitrag zum Klimaschutz leisten?

Ja, natürlich. In vielen Mitgliedstaaten, vor allem Frankreich, helfen Kernkraftwerke, dass wir den Kyoto-Zielen näher kommen. Aber das ist eine hochpolitische Frage, und in einigen Mitgliedstaaten gibt es eben keine Mehrheit für die Kernkraft. Das müssen wir akzeptieren. Im Prinzip ist es möglich, die Kyoto- Ziele auch ohne Kernenergie zu erreichen. Es ist allerdings die Frage, wie viel das kostet und ob die Bürger bereit sind, das zu zahlen.

Bei der Sicherheit von Kernkraftwerken will die Kommission mehr mitreden. Aber die Mitgliedstaaten, vor allem Großbritannien und Deutschland, sperren sich.

Ich glaube, dass es die Rolle der Kommission ist, in diesem sensiblen Bereich die Bedingungen für ganz Europa festzulegen. Dass einige Mitgliedstaaten das nicht möchten, ist für mich unverständlich. Schließlich sind in Fragen der Sicherheit alle Länder betroffen, auch diejenigen, die selber keine Kernkraftwerke haben. Das gilt besonders auch für nukleare Abfälle. Bei Atommüll aus anderen Ländern sind die Bürger sehr wachsam. Sie müssen wissen, was damit geschieht.

In Deutschland haben sich die Parteien auf ein neues Energiewirtschaftsgesetz geeinigt, das für mehr Wettbewerb auf dem Strom- und Gasmarkt sorgen soll. Die Kommission hat ein solches Gesetz seit langem gefordert. Sind Sie nun zufrieden?

Sehr, sehr zufrieden. Das ist die beste Nachricht in diesem Jahr. Zum einen brauchen die Kunden und die Wirtschaft in Deutschland dieses Gesetz; zum anderen ist aber auch Europa darauf angewiesen, um den Binnenmarkt im Energiebereich zu verwirklichen.

Dürfen sich die Bürger nun auf sinkende Energiepreise freuen?

Ich hoffe ja, aber ich kann es nicht versprechen. Neben dem Wettbewerb spielen auch andere Faktoren eine Rolle, zum Beispiel der gerade erst begonnene CO2-Handel und die Rohstoffpreise für Kohle, Öl und Gas. Der liberalisierte Markt sorgt aber dafür, dass wir zumindest den bestmöglichen Preis erreichen.

Das Interview führte Anselm Waldermann

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