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Wirtschaft: Unter Tage ist die Zukunft grau

KAPSTADT . Wenn Minenarbeiter Simone Thamae tief unter der Erde mit gekrümmten Rücken den Bohrer ins goldführende Gestein trieb, spürte er bei aller Mühe oft ein Gefühl der Genugtuung.

KAPSTADT . Wenn Minenarbeiter Simone Thamae tief unter der Erde mit gekrümmten Rücken den Bohrer ins goldführende Gestein trieb, spürte er bei aller Mühe oft ein Gefühl der Genugtuung. "In Lesotho", sagt Thamae, "wird man erst durch die Arbeit auf den Minen zum Mann." Bergleute sind in dem kleinen Königreich hoch angesehen. Auch heiraten konnte man dort lange nur als Minenarbeiter oder mit genügend Land, um das traditionelle Lobola zu bezahlen.Wer sein Brautgeld noch nicht zusammen hat, wird es kaum mehr schaffen. Am letzten Dienstag wurden Thamae und seine Kumpel auf der 106 Jahre alten East Rand Proprietary Mine (ERPM) wieder an die Globalisierung und den erbarmungslosen Wettkampf der Goldförderländer erinnert: Tausende von Kilometern entfernt versteigerte an jenem Tag die Bank von England die ersten 25 Tonnen ihrer Goldreserven und versetzte damit dem bereits schwachen Goldpreis einen weiteren Tiefschlag. Binnen weniger Stunden fiel der Goldpreis auf 256 Dollar pro Unze, seinen tiefsten Stand in 20 Jahren.Noch am selben Tag meldete ERPM den Konkurs an; auch der Handel mit den Minenaktien wurde ausgesetzt. ERPM ist das erste Goldbergwerk am Kap, das im Zuge des Goldpreisverfalls vor dem Bankrott steht: Rund 5000 Bergleuten droht die Entlassung, den meisten ohne größere Abfindung. 80 000 weitere könnten bei einem anhaltenden Verfall des Preises schon bald folgen, denn nach Angaben der Bergbaukammer in Johannesburg arbeiten bereits 16 Goldminen nahe der Verlustzone.Thamaes Arbeitsplatz ist einer der tiefsten Punkte der Erde. Die Schächte sind kaum einen Meter hoch und wenig mehr als 1,50 Meter breit. Die dunklen Förderkörbe sind qualvoll eng. Eine Schicht in 3000 Meter Tiefe dauert acht Stunden; zweieinhalb Stunden davon brauchen die Kumpel, um ein- und auszufahren. Aus Düsen spritzt Wasser, die Luft ist feucht und riecht nach Erz. Klimaanlagen blasen kalte Luft in die Schächte, um den Bergstock von 50 auf 32 Grad herunter zu kühlen. Es ist tropisch schwül.Nicht ohne Grund wagen sich Menschen trotz Hitze, Staub und Steinschlag in ein solches Terrain: Noch immer schürft Südafrika sein Gold auf den vor über 100 Jahren am Johannesburger Weißwasserbecken entdeckten Flözen und muß ständig tiefer graben, um den Goldadern zu folgen. In Australien oder Kanada wird Gold dagegen im Tagebau gewonnen und für weit weniger Geld von der Oberfläche gekratzt.Der Tiefbergbau am Kap ist aufwendig und teuer: Aus einer Tonne Erz werden hier sechs bis 16 Gramm Gold gewonnen, was gerade einmal für ein Paar Ringe reicht. Zwar haben sich die Bergwerke am Kap in den letzten beiden Jahren einer radikalen Schlankheitskur unterzogen und die Abbaukosten von 342 auf 250 Dollar pro Unze gesenkt, doch ist der Goldpreis schneller gefallen als erwartet. Weitere Unruhe bringen die Zentralbanken, die Gold jahrelang zum Inflationsschutz als Ersatzwährung horteten. In ihren Tresoren lagern über 30 000 Tonnen, rund acht Jahresproduktionen. Nun wollen die Banken ihre Bestände versilbern.Viele Experten glauben, daß das gelbe Metall seine einstigen Funktionen verloren hat und zu einem normalen Rohstoff wird. Geldpolitisch spielt es bereits seit längerem keine Rolle mehr, es ist "demonetarisiert" worden. Die modernen Finanzmärkte, so heißt es, böten heute weit bessere Instrumente zum Inflationsschutz. Dazu paßt auch der Plan des Internationalen Währungsfonds (IWF), 311 Tonnen seiner Goldreserven zu verkaufen. Mit dem Erlös sollen die Schulden der ärmsten Entwicklungsländer vermindert werden. Das gutgemeinte Vorhaben hat Tücken, denn der Verkauf trifft gerade jene Länder, denen der IWF mit dem Goldverkauf eigentlich helfen will. Selbst das völlig verarmte Mosambik, das zu den größten Nutznießern des Schuldenerlasses zählt, hat bereits Bedenken gegen die Verkäufe angemeldet. Viele Bergleute am Kap kommen aus dem südostafrikanischen Land. Allein auf der ERPM sind mehr als die Hälfte der Arbeiter Mosambikaner.Wenn ERPM nicht in Kürze durch einen Aufkauf gerettet wird, müssen viele Bergleute schon am Monatsende in die Heimat zurückkehren - die meisten zu ihren Familien in Lesotho und Mosambik, wo jahrzehntelang aus Kostengründen Wanderarbeiter rekrutiert wurden. Mit jedem entlassenen Bergmann versiegt damit die Einkommensquelle von bis zu zwölf Angehörigen.Viele Südafrikaner, von Präsident Mbeki über die Goldbarone bis zu den Gewerkschaftsführern, sind über die plötzliche Geringschätzung des gelben Metalls durch die Weltmärkte erzürnt und enttäuscht. Während Simon Thamae die (weißen) Minenbosse für die Misere verantwortlich macht, haben Mbeki und die Goldbarone ihre Zielscheibe anderswo gefunden. "Ein 25jähriger Spekulant, der noch nie eine Goldmine von innen gesehen hat, kann die verheerenden Folgen seines Handels einfach nicht begreifen", ereifert sich Roger Baxter, Chefökonom der Johannesburger Bergbaukammer.Der fallende Goldpreis erschwert es der schwarzen Bevölkerungsmehrheit am Kap,sich nach den Jahren der Apartheid einen Weg aus der Armut zu bahnen. Seit 1997, als der radikale Umbau im Goldsektor begann, hat das Land fast 100 000 Jobs im Goldsektor eingebüßt. Seit 1987 sind damit fast die Hälfte aller Jobs im Minensektor verloren gegangen.

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