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Wirtschaft: „Unternehmen sind keine reine Geldmaschine“

Eberhard von Koerber über die gesellschaftliche und soziale Verantwortung von Managern und die Glaubwürdigkeit der Wirtschaft

Herr von Koerber, wofür trägt ein Unternehmer Verantwortung?

Für Menschen.

Für die Manager und Mitarbeiter in seinem Betrieb.

Nicht nur! Ein Unternehmen ist Teil der Bürgergesellschaft. So wie die Gewerkschaften oder der Sportverein. Ein Unternehmer muss sich daher auch um seine Kunden, Lieferanten, um die Familien seiner Mitarbeiter, die Nachbarn seines Betriebs kümmern. Unternehmen sind keine reine Geldmaschine. Unternehmer tragen auch soziale Verantwortung.

Derzeit zählen nur nackte Zahlen.

Das ist in der Tat so bei den börsennotierten Gesellschaften, weniger bei den Familiengesellschaften und den mittelständischen Eigentümer-Unternehmen, die nachweislich einen relativ höheren Aufwand für soziale Verantwortung leisten. Leider gibt es immer weniger dieser Eigentümer-Unternehmer. Der scharfe Wettbewerb, der Druck der Kapitalmärkte und die Firmenfusionen haben das sicher beschleunigt. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass die Wirtschaft heute Akzeptanzprobleme bei den Menschen hat. Das Problem ist inzwischen erkannt, viele Unternehmen bekennen sich deshalb heute klar zu ihrer Verantwortung.

Papier ist geduldig.

Schlimmer. Die guten Grundsätze funktionieren bei Sonnenschein. Wenn’s regnet, versteckt man sich unter dem Regenschirm. Gute Vorsätze zur sozialen Verantwortung werden schnell über Bord geworfen, wenn das nackte Überleben das Handeln bestimmt.

Ein Grund dafür, dass man derzeit so wenig von den Unternehmern hört? Scheinbar streiten nur Bürger, Politiker und Gewerkschafter über den Umbau des Sozialstaats.

Es ist nicht gut, wenn die Wirtschaft nur durch ihre Verbände und nicht durch ihre führenden Personen spricht. In Deutschland ist es im Gegensatz zu den anderen europäischen Ländern leider immer noch so, dass die Repräsentanten der Wirtschaft diese Sprecherrolle lieber den Verbänden überlassen, statt selbst das Wort zu ergreifen. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Kompetenz der Unternehmer häufig eher wirtschafts- oder tarifpolitisch ausgeprägt ist.

Sind unsere Unternehmer zu unpolitisch?

Nicht generell. Aber wir müssen zwischen dem Unternehmer als Eigentümer und als Angestellter etwa bei einer börsennotierten Gesellschaft unterscheiden. Angestellte Manager sind in einer ganz anderen Abhängigkeit als selbstständige Unternehmer. Das bestimmt natürlich stark ihr Verhalten in der Öffentlichkeit.

Deutschland rühmt sich doch immer des starken und von den Kapitalmärkten unabhängigen Mittelstands.

Eigentümer-Unternehmer, die nicht nur nach den Quartalszahlen schielen und sich vor keinen Dritten rechtfertigen müssen, können sich persönlich viel stärker engagieren, weil sie von dem politischen Umfeld auch viel intensiver betroffen sind. Und sie tun es auch. Nehmen Sie etwa den Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Ludwig Georg Braun. Der schaltet sich in vorbildlicher Weise in die öffentliche Diskussion ein.

Trotzdem sollten sich auch angestellte Manager mit ihrer Meinung in gesellschaftspolitische Fragen einmischen.

Erwarten Sie nicht zu viel. Die Aktionäre werden ihrem Vorstand sagen: „Kümmere dich um den Betrieb und fuhrwerke nicht in der Öffentlichkeit herum. Wir haben dich angestellt, damit du das Vermögen des Unternehmens vermehrst, und nicht, damit du Politik machst.“ Die Zurückhaltung ist deshalb verständlich. Aber es gibt genug Beispiele, dass auch Manager trotz eingeschränkter Unabhängigkeit Profil entwickeln. Wie Siemens-Chef Heinrich von Pierer oder Jürgen Strube von der BASF. Ich gebe aber zu, das sind die Ausnahmen.

Regieren heute nur noch Technokraten in den Unternehmen?

Sagen wir es so: Im Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich viele Wirtschaftsführer deutlicher in der Öffentlichkeit positioniert, als das heute in der globalisierten Welt unter dem verschärften Wettbewerb möglich ist. Da stehen viele mit dem Rücken an der Wand. Wenn es einem schlecht geht, reicht die Energie nicht mehr für ein Engagement in der Öffentlichkeit.

Täuscht der Eindruck, dass sich Unternehmer und Politiker, aber noch mehr Unternehmer und Bürger zurzeit nicht viel zu sagen haben?

Es ist schwierig geworden, den Graben zwischen Politik und Wirtschaft zuzuschütten. Ich kann nur hoffen, dass sich mit dem wirtschaftlichen Aufschwung wieder mehr Persönlichkeiten aus der Wirtschaft in die innere und äußere Reform des Standortes Deutschland einmischen.

Ist der Graben nach mehr als drei Jahren Konjunkturflaute, Massenentlassungen und Pleitenrekorden so tief, dass er kaum mehr überwunden werden kann?

Nach langer Zeit bin ich in diesem Punkt erstmals wieder optimistisch. Offensichtlich gibt es jetzt einen Grundkonsens in der Bevölkerung und in den beiden großen Volksparteien, dass es so nicht weitergeht. Vor allem besteht Einigkeit darüber, dass man sich von den Gewerkschaften Verdi und IG Metall nicht mehr das Reformtempo dieses Landes vorschreiben lassen will.

Die Gewerkschaften haben ihre Interessen vielleicht nur besser organisiert als die Unternehmer.

Eindeutig.

Oder Gewerkschaften haben die besseren Argumente?

Nein, der massive Mitgliederschwund der Gewerkschaften beweist, dass deren Politik nicht mehr bei den Bürgern ankommt. Das Klima ist umgeschlagen. Was die Gewerkschaften fordern, ist zurzeit nicht mehrheitsfähig. Das macht es der SPD einfacher, mit der Wirtschaft ins Gespräch zu kommen. Und die Sozialdemokratisierung der CDU hat ein Ende.

Das Image der Unternehmen ist zurzeit nicht besonders gut.

Die Wirtschaft hätte zuweilen einen kooperativeren Ton anschlagen sollen, um besser gehört zu werden. Da sind Fehler gemacht worden. Und es besteht kein Zweifel daran, dass die Bevölkerung weitgehend den Eindruck hat, die Wirtschaft sei unwillig, Reformen mitzugestalten. Dabei hat sie durchaus gute Reformvorschläge gemacht. Die sind aber zwischen dem politischen Wunsch nach Wiederwahl und dem Einfluss der Gewerkschaften zerrieben worden.

Zeitgleich hat die Überzeugungskraft des marktwirtschaftlichen Systems gelitten. Wer glaubt denn heute noch an die wohlstandsfördernden Wirkungen des internationalen Wettbewerbs und der Globalisierung?

Der Hinweis, dass die unsichtbare Hand des Marktes schon alles regeln werde, zieht nicht mehr. Die Folgen der Globalisierung sind so umfassend und kompliziert, dass kaum jemand in der Lage ist, die Zusammenhänge verständlich aufzuzeigen.

Trauen Sie sich einen Erklärungsversuch zu?

Ein Aspekt der Globalisierung, der insbesondere in den reichen Hochlohnländer Ängste in der Bevölkerung auslöst, ist, wie Unternehmen Arbeitsplätze scheinbar uneingeschränkt verlagern können. Eben dieses Beispiel macht deutlich, dass eindimensionale Erklärungsversuche scheitern müssen: Die Globalisierung bietet Vorteile durch die wachsende Nachfrage nach unseren Produkten vor allem aus den aufstrebenden Ländern wie Indien oder China. Die Billigarbeitsplätze in diesen Staaten führen aber dazu, dass in Deutschland Arbeitsplätze verloren gehen. Das Problem ist, dass die Vorteile für uns erst mit großer Zeitverzögerung eintreten. Leider muss man erst durch die Feuertaufe einer stärkeren Rationalisierung gehen, bis eine neue Wachstumsphase zu einem neuen Aufschwung führt.

Sie haben als Manager bei ABB auch viele Arbeitsplätze gestrichen. Haben Ihre Beschäftigten das verstanden?

Wir haben damals in Westeuropa Arbeitsplätze gestrichen und in Mittel- und Osteuropa welche geschaffen. Nach dem Fall der Mauer waren wir der größte ausländische Arbeitgeber in Mittel- und Osteuropa. Wir haben damals Tausende von Arbeitsplätzen in Westeuropa verloren, weil wir für ein Zehntel der Kosten in Polen, Tschechien oder Ungarn fertigen konnten. Hierdurch verbesserte sich unsere Wettbewerbsfähigkeit beträchtlich. Viele Arbeitsplätze sind später durch zusätzliche Exportaufträge aus diesen und aus anderen Ländern in Deutschland wieder ausgeglichen worden. Die Rezession hat aber eine vollständige Kompensation verhindert. Erst jetzt spürt man, wie dieselben Länder durch wachsende Nachfrage den Export aus Deutschland ankurbeln. Die Notwendigkeit der Wettbewerbsfähigkeit wird von den Beschäftigten natürlich verstanden. Völlig anders reagiert häufig der Einzelne – verständlicherweise –, wenn er persönlich Opfer von Kostensenkungsmaßnahmen ist. Der Sozialplan ist dann nur eine materielle Schadensbegrenzung.

Wundert es Sie, wenn Globalisierung inzwischen zum Reizwort geworden ist?

Nein. Deshalb stecken wir ja auch mitten in einer Systemdebatte über unsere Wirtschaftsordnung. Das Thema gehört auf den ersten Platz der internationalen Tagesordnung.

Sind unsere Manager dieser Debatte gewachsen?

Die Unternehmen sind die eigentlichen Triebfedern der technischen und ökonomischen Entwicklung und Schrittmacher der Globalisierung. Ihr Einfluss reicht heute und zu jeder beliebigen Zeit bis in den letzten Winkel der Welt. Viele Manager sind sich der Zunahme ihrer Verantwortung, die über die reine Betriebswirtschaft weit hinausgeht, noch gar nicht bewusst.

Wir haben also nicht das richtige Führungspersonal?

Wir haben es versäumt, Eliten mit breit angelegtem Wissen auszubilden, die in der Lage sind, ökonomische Aufgaben genauso zu lösen wie soziale und kulturelle. Das lernt man heute in Deutschland nicht in den Schule und auch nicht auf den Universitäten.

Ist die Politik dem Tempo der ökonomischen Globalisierung gewachsen?

Wenn die Politik wirkungsvoller werden will, muss sie schneller werden. Nehmen Sie die mühsame Verfassungsdebatte der EU. Aber man muss auch Verständnis und Geduld haben. Es geht auch gar nicht schneller, weil hier schließlich historische, kulturelle und politische Identitäten aufgegeben werden sollen. Die Wirtschaft tut sich da leichter, bei ihr geht es nur um Soll und Haben.

Deutsche Bank oder Daimler-Chrysler warten doch nicht darauf, dass die Politik endlich aus den Puschen kommt.

Ich möchte mich hier nicht zum Verhalten einzelner Unternehmen äußern. Es ist ein Irrtum, wenn ein Weltunternehmen glaubt, die sozialen, kulturellen und ökologischen Aspekte einfach vor der Tür lassen zu können. Kurzfristig mag das funktionieren, weil betriebswirtschaftliche Vorteile erzielt werden können. Langfristig schaden sich die Unternehmen damit selbst. Sie müssen doch die Menschen mitnehmen, die Führungskräfte, die Mitarbeiter, selbst die Lieferanten und Kunden. Wenn der Kunde das Gefühl hat, das ist nicht mehr seine Firma, dann geht er eben zur Konkurrenz.

Sind weltumspannende Konzerne überhaupt steuerbar?

Jeder noch so globalisierte Konzern dieser Welt braucht lokale Wurzeln. Sie können nicht alles mit einer großen, globalen Konzernsoße wegoptimieren. Das erfordert übrigens sehr viele fähige Manager, die vor Ort die Geschäfte führen.

Was empfehlen Sie als Berater einem Kunden, der plötzlich in eine Krise gerät und Tausende von Jobs streichen will?

Das Schlimmste, was man in einer solchen Situation machen kann, ist es, oben Marschbefehle auszugeben, die unten nicht verstanden werden. Da reicht es auch nicht, nur mit den Betriebsräten oder Gewerkschaftsvertretern zu sprechen. Da muss der Vorstandschef selbst mit der Belegschaft reden und die Karten auf den Tisch legen. Nur so können Mitarbeiter verstehen, warum Opfer im Interesse des Ganzen gebracht werden müssen.

Was unterscheidet den früheren Manager von Koerber vom heutigen Förderer und Berater?

Ich bin sozialer geworden.

Das Gespräch führte Dieter Fockenbrock.

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