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Unternehmenspleite: Quelle der Unsicherheit

Tausenden Quelle-Beschäftigten droht der Arbeitsplatzverlust. Auch in anderen Branchen sieht es nicht gut aus. Selbst Angela Merkel warnt vor harten Monaten. Kommt die Krise jetzt auf dem Arbeitsmarkt an?

So viel ist sicher: Allein bei Quelle werden zusätzlich zu den bereits gestrichenen Stellen noch einmal 1500 Menschen ihre Arbeit verlieren. Und die Abwicklung des insolventen Versandhauses wird weitere Jobs kosten. Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg geht sogar davon aus, dass 3000 bis 4000 Menschen betroffen sein könnten. Die Gewerkschaft Verdi erwartet, dass auch die Callcenter und Logistikstandorte, die für Quelle gearbeitet haben, für ihre Mitarbeiter nichts mehr zu tun haben werden. In der Folge drohen zum Beispiel auch bei der Deutschen Post Stellenstreichungen. Es sei davon auszugehen, dass etwa 200 bis 300 Stellen beim Logistikdienstleister DHL direkt betroffen seien, sagte ein Post-Sprecher. Genaue Zahlen zu nennen, sei noch nicht möglich. Von der Insolvenz des Handelsunternehmens Arcandor – zu dem Karstadt und Quelle gehören – waren zuvor bereits insgesamt 560 Arbeitsplätze bei der Post betroffen. Auch rund 1000 Postmitarbeiter aus dem Brief- und Paketbereich erledigen Aufträge etwa beim Versand von Katalogen und Paketen von Quelle. Rund 3000 DHL-Beschäftigte arbeiten in der Logistik direkt für Arcandor.

Und so könnte sich die Wirtschaftskrise nun immer härter auf den Arbeitsmarkt durchschlagen. Noch ist unklar, wie es bei Opel weitergeht, viele andere Unternehmen vor allem in der Automobilwirtschaft und im Maschinenbau blicken in eine ungewisse Zukunft. Folgendes Szenario wäre möglich: Immer mehr Menschen verlieren ihren Job – oder haben Angst davor. In der Folge geben sie weniger Geld aus, das den Unternehmen dann als Einnahme fehlt. Das bringt weitere Firmen in Bedrängnis, die dann ihrerseits Mitarbeiter entlassen müssen. Die Folge wäre eine endlose Spirale nach unten.

Doch so schlimm wird es nicht kommen, sagt Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln. „Einen zwischenzeitlichen Rückgang der Nachfrage können die meisten Unternehmen verkraften“, sagt Schäfer. „Der Einbruch, den wir in bestimmten Teilen der Wirtschaft gesehen haben, muss nicht die ganze Wirtschaft erfassen.“ Und bisher seien die Arbeitsmarktzahlen in diesem Jahr besser als erwartet ausgefallen. „Auch die jüngsten Zahlen von Anfang Oktober waren eine positive Überraschung.“ Die Unternehmen hätten aus der Vergangenheit gelernt und versuchten vor allem Facharbeiter und qualifizierte Kräfte so lange wie möglich zu halten. Eine Möglichkeit dazu ist das Instrument der Kurzarbeit. Rund 1,5 Millionen Menschen in Deutschland sind derzeit davon betroffen – aber sie haben noch einen Job. „Nach unserer Umfrage aus dem Frühjahr wollten sich die meisten Unternehmen bis zum Herbst entscheiden, ob sie bei Kurzarbeit bleiben, oder doch die Zahl der Mitarbeiter reduzieren“, sagt Schäfer. „Im Moment sehen wir von Entlassungen in großer Zahl noch nichts.“ Dennoch geht Schäfer wie andere Experten auch davon aus, dass die Zahl derArbeitslosen von durchschnittlich 3,5 Millionen in diesem auf 4,1 bis 4,2 Millionen im kommenden Jahr ansteigen wird.

Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erwartet nicht, dass die Zahl der Arbeitslosen bereits zum Jahresende die Marke von vier Millionen übersteigen wird. „Wir erwarten einen saisonbereinigten Anstieg“, sagt Brenke, „aber keine dramatischen Zahlen“. Dabei wirke sich die Wirtschaftskrise in den verschiedenen Regionen und Sektoren sehr unterschiedlich aus. Am stärksten gebeutelt seien Baden- Württemberg und Bayern. Hier sei die Arbeitslosigkeit seit dem vergangenen Jahr um 30 Prozent gestiegen. Betroffen sind vor allem das verarbeitende Gewerbe sowie die Exportwirtschaft und ihre Zulieferer – also die Stahlindustrie, die Automobilbranche, der Maschinenbau, die Elektroindustrie und die Chemie. Weitgehend unberührt von der Krise zeigten sich bisher die Region Berlin und Brandenburg sowie die Pharma- und Ernährungsindustrie. Der aktuelle Fall Quelle habe mit der Krise dagegen nichts zu tun. „Quelle ist ein Sonderfall, da hat das Geschäftsmodell nicht funktioniert“, sagt Brenke.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag warnte gerade erst, dass die Chemie- und Metallbranche inzwischen aus dem Gröbsten heraus seien, anderen Sektoren wie etwa dem Einzelhandel oder dem Ernährungsgewerbe stünde die Krise wegen der steigenden Arbeitslosigkeit dagegen noch bevor. Die rasante Talfahrt der deutschen Wirtschaft sieht Holger Schäfer vom IW jedenfalls erst einmal gestoppt. Für das kommende Jahr gehen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute von einem Wachstum von 1,2 Prozent aus – nachdem die Bundesregierung in diesem Jahr einen Rückgang von mindestens fünf Prozent erwartet. Ob die Wirtschaft bei ihrer Talfahrt aber nur eine kurze Verschnaufpause eingelegt hat oder ob es jetzt tatsächlich wieder aufwärts geht, könne man nicht mit Bestimmtheit sagen. Schäfer sieht die Impulse für die deutsche Wirtschaft jedenfalls nicht von innen kommen. „Der Anstoß für den Aufschwung kommt meistens durch die Exportwirtschaft, genauso wie sie auch den Anstoß für die Krise gegeben hat“, sagt der IW-Experte.

In jedem Fall, sagt Schäfer, „gehen die Frühindikatoren seit ein bis zwei Monaten wieder aufwärts“. Erste positive Anzeichen gebe es dabei auch auf auch dem Arbeitsmarkt. „Wir sehen das in der Zeitarbeitsbranche. Sie wurde von der Wirtschaftskrise massiv getroffen“, sagt der IW-Experte. Zuerst haben Unternehmen Zeit- und Leiharbeitskräfte abgebaut, um ihre Stammbelegschaften möglichst halten zu können. „Jetzt ist die Zeitarbeitsbranche schon wieder auf dem Weg nach oben“, sagt Schäfer. Auch die Zahl der freien Stellen sei nur relativ moderat gesunken. „Noch immer gibt es schätzungsweise 800 000 offene Stellen in Deutschland. Das ist eine relativ hohe Zahl.“

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