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Wirtschaft: Unternehmerfamilien zwischen Tradition und Aufbruch (11): Zimperlich waren die Wallenbergs nie

Sie sind nicht so sagenhaft reich wie die Rothschilds oder die Flicks, doch keine andere Finanzfamilie in Europa beherrscht in gleichem Maße wie die schwedische Wallenberg-Sippe die Privatwirtschaft ihres Landes. Das gilt auch heute noch, wo die Gruppe ihr Reich unter neuen Bedingungen verteidigen muss.

Sie sind nicht so sagenhaft reich wie die Rothschilds oder die Flicks, doch keine andere Finanzfamilie in Europa beherrscht in gleichem Maße wie die schwedische Wallenberg-Sippe die Privatwirtschaft ihres Landes. Das gilt auch heute noch, wo die Gruppe ihr Reich unter neuen Bedingungen verteidigen muss. Dynastie ist die treffende Bezeichnung für das Geschlecht. Die geschulten "Thronfolger" werden in die Führungspositionen hineingeschleust, und wie die schwedischen Könige oft die Namen Carl oder Gustaf tragen, heißen die Oberhäupter der Finanzfamilie meist Jacob oder Marcus.

Den Grundstein für das Imperium legte André Oscar Wallenberg 1856 mit der Errichtung der Stockholms Enskilda Banken. Der lebenslustige Bankier zeugte in zwei Ehen und mehreren Verhältnissen 21 Kinder. Auch manche Nachfahren waren große "womanizer", allerdings unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Ebenso praktizieren die Wallenbergs in ihren Geschäftsaktivitäten das Motto "Wirken, aber nicht sichtbar sein".

Die Wallenbergs bauten ihr Bankhaus zum mächtigsten in Schweden aus und kauften sich das Gros der Ende des 19. Jahrhunderts emporschießenden, Weltgeltung erlangenden Industrieunternehmen des Landes, wie ASEA (heute ABB), Alfa Laval (Tetra Laval), Atlas Copco, Astra (Astra-Zeneca), Saab-Scania, Stora Kopparberget (StoraEnso), SKF, Swedish Match, Ericsson und Skandia; in jüngster Zeit verbanden sie sich auch mit Volvo.

Die Methoden der Wallenbergs waren nie zimperlich: Antitrust-Gesetzen begegnete der Clan mit der Überführung des Familienbesitzes in Stiftungen und mit der Gründung der Beteiligungsgesellschaft Investor (1916). Diese ist immer noch das "Machtinstrument" der Familie, das ein Portefeuille mit einer Börsenkapitalisierung von umgerechnet rund 25 Milliarden Mark verwaltet.

Mit den Politikern arrangierten sich die Wallenbergs: Die Großväter der heutigen Chefs, Jacob und Marcus die Älteren, führten während des Zweiten Weltkrieges für Schweden günstige Handelsverträge mit beiden Seiten herbei. Daneben wirkte der weltweit wohl berühmteste Wallenberg, ihr entfernter Verwandter Raoul, als Judenretter in Ungarn. Die zwar mit den Westalliierten sympathisierenden Wallenbergs verdienten auch kräftig an der deutschen Kriegführung; die Folge war, dass die USA sie nach dem Kriege zu "unerwünschten Personen" erklärten, Marcus jedoch für einen hohen britischen Orden vorgeschlagen wurde.

Nicht alle "Kronprinzen" hielten den in sie gesetzten Erwartungen stand; 1971, wenige Wochen nachdem die Familienbank mit dem größten Konkurrenzinstitut zur Skandinaviska Enskilda Banken (SEB) fusioniert hatte, erschoß sich der vermutlich von seiner Führungsaufgabe überforderte 47jährige Marc Wallenberg. Der jüngere Bruder Peter erwies sich jedoch unerwartet als bulliger Stratege und behauptete in seiner Amtszeit ab 1982 die dominierende Rolle der Wallenbergs in Schwedens Finanz- und Industriesektor.

Das Geheimnis des Machtgewinns und -erhalts ist ihr bis heute gepflegtes Prinzip, nie ein Unternehmen ganz oder mehrheitlich zu erwerben, sondern unter sinnreicher Nutzung des schwedischen Aktienrechts maximalen Einfluß im Aufsichtsrat zu erlangen. Im heutigen Zeitalter der Internationalisierung wird indes die Macht der Wallenbergs durch Fusionen und ausländische Aufkäufe ausgedünnt. Sie verfügen zum Beispiel nur noch über fünf Prozent von AstraZeneca, fünf Prozent von ABB und zehn Prozent von StoraEnso. Die Saab-PKW haben sie an General Motors abgegeben, bei den Scania-LKW ist Volkswagen mit 25 Prozent eingestiegen, immer wurde das "Tafelsilber" aber mit hohem Gewinn verkauft.

Das Imperium wurde kritisiert, an zu vielen konventionellen Industrien ohne größere Expansionsaussichten beteiligt zu sein und den Anschluß an New Economy zu verpassen. Nach Abtritt des Patriarchen Peter Wallenberg im Jahre 1997 wählte man deshalb den Manager-Weltstar Percy Barnevik als neuen Investor-Präsidenten. Er setzte die alten Gesellschaften unter Erfolgsdruck. Inzwischen hat Peter Wallenbergs Sohn, Jacob, den Aufsichtsratsvorsitz der SEB übernommen, die gezielt ins internationale Investmentgeschäft expandiert, und Cousin Marcus betreibt als Investor-Vorstandschef die Umschichtung in Richtung IT und Biotec. Damit steigt das Risiko, und die Wallenbergs sind jetzt auch vom Absturz der IT-Titel betroffen. Doch für die Glücksritter des schnellen Geldes haben sie nur Spott übrig, und immer noch stellen solide Konzernschiffe das Schwergewicht des Besitzes dar, der über ein Drittel der Stockholmer Börse umfasst. Die Söhne der heutigen Wallenberg-Herrscher dürften deshalb einmal ein intaktes Reich erben, - sie heißen übrigens Jacob und Marc.

Jörgen Detlefsen

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