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Wirtschaft: Urlaub an der Achterbahn

Die Betreiber investieren in neue Attraktionen und Hotels. Die Besucher sollen länger bleiben und wiederkommen – doch noch steigen die Zahlen nicht

Wer noch kann, schreit laut: Mit 80 Stundenkilometern rast die russische Raumstation „Mir“ in Richtung Boden. Vollbremsung, kurz vor dem Aufschlag. Menschen lachen, selten hat ein Absturz mehr Spaß gemacht. Aussteigen – und auf zur nächsten Attraktion. Deutschlands Freizeitparks rüsten auf. Immer spektakulärere Attraktionen und exotischere Themen sollen Besucher locken. Terrorwarnungen und knappe Reisekassen verstärken den Trend zum Familienurlaub im Inland, Freizeitparks sind dabei beliebte Ausflugsziele. Experten sehen ein großes Wachstumspotenzial – und das Interesse ausländischer Investoren an deutschen Freizeitparks wächst.

Doch während die Branche weltweit gesehen boomt und im vergangenen Jahr mit 20 Milliarden Euro einen Umsatzrekord erzielt hat, stagniert der Gesamtumsatz der Freizeitparks in Deutschland seit Jahren bei 500 Millionen Euro. Steuerbegünstigte Wettbewerber im europäischen Ausland verschärfen den Konkurrenzkampf. Die Experten von Pricewaterhouse Coopers gehen dennoch davon aus, dass der Markt in den kommenden drei Jahren jährlich um durchschnittlich 2,8 Prozent wachsen wird.

Mehr als 14 000 Menschen arbeiten zur Hochsaison in den rund 200 deutschen Freizeitparks. Nach einer Umfrage des Institutes der deutschen Wirtschaft sind 58 Prozent der Deutschen Freizeitparkbesucher. Insgesamt kommen pro Jahr 20 Millionen, Tendenz: gleichbleibend. „Zwei gegeneinander wirkende Kräfte frieren die Besucherzahlen seit Jahren ein“, sagte Ulrich Müller-Oltay, Chef des Verbandes Deutscher Freizeitparks und Freizeitunternehmen (VDFU), dem Tagesspiegel. Zwar führe der Trend zum Familienurlaub im Inland auf der einen Seite zu mehr Besuchern. „Aber durch die steigende Arbeitslosigkeit und die schwierige wirtschaftliche Lage fallen auch viele weg.“ Seit einigen Jahren investieren Betreiber daher nach amerikanischem Vorbild in unterhaltsame Übernachtungsangebote direkt in den Parks. So können Besucher mehrere Tage bleiben und aus größeren Entfernungen anreisen. „Das Einzugsgebiet vergrößert sich drastisch“, sagte Müller-Oltay.

Der Europapark in Rust (Baden-Württemberg), Deutschlands größter Freizeitpark, ist mittlerweile zur größten zusammenhängenden Hotelanlage des Landes geworden. Der Heide-Park Soltau hat 2001 für 3,5 Millionen Euro ein Camp aus Karibik-Holzhütten mit insgesamt 440 Betten gebaut. „Der Erfolg ist überwältigend. Ganze Schulklassen übernachten bei uns“, sagte ein Sprecher. Auch bei Unternehmen würden Freizeitparks zunehmend beliebter für Tagungen.

Doch Standortnachteile bremsen die Entwicklung. „Deutsche Freizeitparks sind gegenüber dem europäischen Ausland benachteiligt“, sagte Ernst Hinsken (CSU), Vorsitzender des Tourismus- Ausschusses im Bundestag, dieser Zeitung. In Nachbarländern wie Holland oder Frankreich zahlen Freizeitparks eine auf sechs bis zehn Prozent reduzierte Mehrwertsteuer. In Deutschland sind es 16 Prozent. „Wenn nichts unternommen wird, verlieren deutsche Parks den Preiskampf“, sagte er. Besonders Parks nahe der Grenze, etwa das Phantasialand bei Köln, würden Gäste an das Ausland verlieren. Polen zum Beispiel erhebe bei den Betreibern überhaupt keine Steuern. „Die Abgaben müssen angeglichen werden“, fordert der CSU-Politiker.

Auch Museen werden zunehmend zur Konkurrenz. Damit ihre Ausstellungen attraktiver und verständlicher werden, übernehmen sie immer häufiger Themenparkkonzepte. Gleichzeitig erhalten sie staatliche Subventionen. „Die Betreiber der Parks sind sauer“, sagte Verbandschef Müller-Oltay. Er fordert, dass die Wettbewerbsbedingungen der Branche innerhalb Europas angeglichen werden.

Unterdessen sammeln ausländische Investoren deutsche Freizeitparks regelrecht ein. Im Juni übernahm Blackstone das im schwäbischen Günzburg liegende „Legoland“. Für die insgesamt vier Parks des Spielzeugherstellers in Deutschland, Dänemark, England und den USA hat Blackstone 375 Millionen Euro bezahlt. Der Heidepark in Soltau gehört seit April dem Golf-Emirat Dubai. Kurz darauf hatte die britische Beteiligungsgesellschaft Palamon den ursprünglich zur amerikanischen Freizeitgruppe Six-Flags gehörenden Themenpark „Movie World“ bei Bottrop gekauft.

Experten halten weitere Übernahmen für wahrscheinlich. Denn Neueröffnungen gelten als risikoreich – spätestens seit dem Schiffbruch des Space Parks Bremen im vergangenen Jahr. Weil der erwartete Besucheransturm ausgeblieben war, musste das 520-Millionen-Projekt des Bremer Senats und der Dresdner Bank nur sieben Monate nach Eröffnung schließen.

Stefan Höffinger, Tourismusexperte bei der Unternehmensberatung AT Kearney, glaubt, dass die Betreiber der Parks professioneller werden müssen, um gegen ausländische Investoren bestehen zu können. Auch kleine, unabhängige Parks hätten eine Chance, wenn sie eine Nische fänden. „Disney World in Florida ist nicht das Maß aller Dinge.“ Allerdings gelinge dort, was viele europäische Parks nicht schafften: Eine Beziehung zu den Besuchern aufzubauen, so dass diese immer wiederkommen. „Urlauber entscheiden sich heute sehr kurzfristig für ein Reise, verbinden gern mehrere Zwecke und bleiben kürzer an einem Ort“, sagt Höffinger. Freizeitparks seien die ideale Antwort auf diesen Trend. „Die Herausforderung ist, den Freizeitpark zu einer echten Urlaubsdestination zu machen.“

Philip Volkmann-Schluck

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