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Wirtschaft: US-Stahlindustrie: Die Branche ist marode

Die Stahlindustrie steht weltweit unter Druck: sinkende Preise und große Überkapazitäten lassen den Produzenten wenig Spielraum. Während europäische Hersteller in den vergangenen Jahren Produktionskapazitäten abgebaut und in moderne Technik investiert haben, setzt die marode amerikanische Stahlindustrie schon seit Jahrzehnten auf eine andere Taktik: Handelsschranken für Stahlimporte und Subventionen.

Die Stahlindustrie steht weltweit unter Druck: sinkende Preise und große Überkapazitäten lassen den Produzenten wenig Spielraum. Während europäische Hersteller in den vergangenen Jahren Produktionskapazitäten abgebaut und in moderne Technik investiert haben, setzt die marode amerikanische Stahlindustrie schon seit Jahrzehnten auf eine andere Taktik: Handelsschranken für Stahlimporte und Subventionen. Da auch die neue Regierung diese Strategie unterstützt, ist erneut ein Handelsstreit mit der EU ausgebrochen. US-Präsident George W. Bush lässt derzeit prüfen, ob zunehmende Stahlimporte die heimische Industrie schädigen. Sollte eine Schädigung festgestellt werden, könnten noch in diesem Jahr pauschal alle Stahleinfuhren mit höheren Zöllen belegt werden.

Die Forderung der amerikanischen Stahlindustrie nach staatlicher Protektion erschallt in regelmäßigen Abständen seit den 60er Jahren. Brink Lindsey vom wirtschaftsliberalen Cato Institut sagt: Die Stahlbranche "hat systematischer als jede andere Industrie das Streben nach Handelsschranken zur ihrer zentralen Geschäftsstrategie gemacht."

Dank einer starken Lobby der Branche hat sich der Kongress immer wieder auf entsprechende Forderungen eingelassen: Zurzeit sind über 100 Antidumping-Maßnahmen und andere Restriktionen gegen Stahlimporte in Kraft. Eine entscheidende Rolle für die Verabschiedung solcher handelspolitischer Regeln spielt der "Steel Caucus", eine Art Interessengemeinschaft für Stahl, der 1977 im Repräsentantenhaus und Senat gegründet wurde. Viele Mitglieder des Steel Caucus haben inzwischen einflussreiche Positionen in wichtigen Ausschüssen erreicht. Die großen Stahlproduzenten und die Gewerkschaften honorieren die Bemühungen der Abgeordneten mit großzügigen Spenden in jedem Wahlkampf. Dieses Geld ist gut investiert: Vor zwei Jahren verschaffte der ehemalige US-Präsident Bill Clinton angeschlagenen Stahlproduzenten Bürgschaften im Wert von einer Milliarde Dollar. Die Unternehmen waren so unrentabel, dass Banken keine Kredite mehr geben wollten. "Anstatt die maroden Anlagen zu subventionieren, täte die Regierung besser daran, die Stilllegung einiger Produktionsstätten zu finanzieren", sagt der Stahlfachmann Charles Bradford vom Marktforschungsinstitut Bradford Research in New York.

Doch selbst eine Stilllegung ineffizienter Produktionsanlagen wäre teuer. Ein Grund dafür ist die große Anzahl der ehemaligen Stahlarbeiter, die heute in Rente sind. In manchen Betrieben kommen auf jeden Arbeiter sechs Rentner. Die Zahlungsverpflichtungen an die Ehemaligen belaufen sich auf mehrere Milliarden Dollar und machen viele Betriebe für mögliche Fusionen uninteressant. So existieren in den Vereinigten Staaten heute insgesamt 70 Stahlproduzenten. Keiner davon ist unter den zehn Weltmarktführern zu finden. Allerdings zählen zu den Herstellern auch viele kleine Betriebe, die so genannten Mini-Mills. Im Gegensatz zu den großen, integrierten Hüttenwerken arbeiten sie effizienter und schreiben schwarze Zahlen. Mini-Mills verarbeiten Schrott in Elektrolichtbogenöfen direkt zu Stahl, müssen das Rohmaterial nicht erst aus Erz gewinnen.

Nach Branchenberechnungen ist die Produktivität eines Stahlarbeiters in einer Mini-Mill sieben Mal höher als in einem herkömmlichen amerikanischen Stahlwerk. Mini-Mills könnten daher jede Tonne Stahl um 80 Dollar billiger produzieren als ihre Konkurrenten. Damit sind sie Experten zufolge in ihrem Marktsegment, der einfachen Massenproduktion, zu einem beträchtlichen Teil für die niedrigen Preise auf dem amerikanischen Stahlmarkt verantwortlich - und nicht ausländische Importe. Für die Misere der integrierten Hüttenwerke machen Fachleute nicht zuletzt auch die Politik der Gewerkschaft United Steelworkers of America (USWA) verantwortlich. Sie haben in den Tarifverträgen verankert, dass weder Produktionsanlagen geschlossen noch Arbeitnehmer entlassen werden dürfen. Bis auf zwei Unternehmen seien in allen Stahlproduzenten, die in den vergangenen Jahren Konkurs angemeldet haben, die Arbeiter in der USWA gewesen, so Bradford. "Es gibt einen stärkeren Zusammenhang zwischen der USWA und bankrotten Stahlproduzenten als zwischen Rauchen und Krebs", sagt er.

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