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© Kitty Kleist-Heinrich

Vattenfall-Chef Cramer: "Wir planen keine Strompreiserhöhungen"

Vattenfall-Chef Hans-Jürgen Cramer sprach mit dem Tagesspiegel über verärgerte Kunden, abgeschaltete Atomkraftwerke, den Umweltschutz und erneuerbare Energien.

Herr Cramer, Sie selbst haben sich in den vergangenen Monaten um verärgerte Kunden gekümmert. Konnten Sie einigen die Kündigung ausreden?

Ich habe persönlich bestimmt 250 oder 300 E-Mails oder Briefe geschrieben und Telefonate geführt und war vermutlich zu 70 Prozent erfolgreich. Im persönlichen Gespräch kann man eben vieles besser erklären. Wenn ein Fehler passiert, ist jemand sauer, aber als Kunde noch nicht verloren. Wenn die Beschwerde schlecht bearbeitet wird, dann ist der Kunde weg.

Also gibt es eine Chance, die 200 000 Kunden, die Sie in diesem Jahr verloren haben, zurückzugewinnen?

Durchaus. Übrigens ist dieser Trend gestoppt. Die Kunden sind weggegangen, weil sie sich über uns geärgert haben oder ein anderes Angebot attraktiver fanden. Manche erfahren nun aber, dass es beim neuen Lieferanten einen Bonus gegebenenfalls nur im ersten Jahr gibt, und dann ziehen sie auch wieder unser Angebot mit ins Kalkül.

Vattenfall sei womöglich das Geldverdienen zu leicht gemacht worden, haben Sie einmal gemeint. Deshalb habe die Firma den Kunden aus den Augen verloren.

Den Strom unserer Kraftwerke verkaufen wir über die Börse. So will es das Marktprinzip, das wir ja sehr unterstützen. Doch dabei verliert man leicht den Endkunden aus dem Blick. Deswegen habe ich gesagt, wir müssen uns wieder mehr auf den Kunden konzentrieren und ihm erklären, was wir machen, wie der Preis zustande kommt und welchen Service wir anbieten. Auch über unsere vielfältigen und langfristigen Sponsoringaktivitäten darf man reden. In den Schulen unterstützen wir zum Beispiel Lehrküchen und werden jetzt große Klimaschutzprojekte starten.

Sie meinen, Vattenfall als Wohlfahrtsunternehmen habe ein besseres Image verdient?

Mit Wohlfahrt hat das nichts zu tun, sondern mit gesellschaftlicher Verantwortung eines großen Unternehmens. Wir sind auch immer ein Teil der Stadt und der Gesellschaft, in der wir arbeiten. Aber klar ist auch: Wir müssen Geld verdienen.

Trotz der AKW-Pannen und enormen Kundenverluste steigt der Gewinn weiter. Wegen der hohen Strompreise?

Zur Zeit wird in der Branche das Geld vorwiegend mit der Erzeugung von Strom verdient. Wir verdienen besser, auch weil wir unsere Kosten besser im Griff haben, als zu Beginn der Liberalisierung. Wir tun alles, um von den Braunkohletagebauen über die Erzeugung bis zur Verteilung von Strom zu optimieren, um Geld zu sparen. Hinzu kommt: Unser gutes Ergebnis erklärt sich auch mit finanziellen Einmaleffekten, zum Beispiel der geringeren Unternehmensteuer.

Warum geben Sie nicht einen Teil des Gewinns an die Kunden zurück?

Wir nutzen das Geld für unsere Investitionen, und das kommt den Kunden zu Gute. Bei dem neuen Kohlekraftwerk in Moorburg sind das 1,8 Milliarden Euro, im sächsischen Boxberg gut eine Milliarde. In die Netze fließen in den nächsten Jahren mehr als 500 Millionen. In Berlin allein investieren wir in das Verteilnetz pro Jahr 150 Millionen. Und beim Anschluss der Windparks und überhaupt für Erneuerbare Energien sind 1,6 Milliarden Euro vorgesehen. Die Gewinne von heute sind wirklich die Investitionen von morgen.

Die Stillstandskosten der AKWs Krümmel und Brunsbüttel, eine Million am Tag, steckt Vattenfall locker weg.

Nein, das ist durchaus eine nennenswerte Belastung, die sich auf knapp 800 000 Euro pro Tag beläuft, das sind 200 000 Euro weniger als wir befürchtet haben, da im letzten Quartal die Preise am Spotmarkt niedriger waren als sie jetzt sind.

Dann wird der Gewinn 2008 also noch größer sein als 2007?

Nein. Wir erwarten zusätzliche Belastungen durch politische Vorgaben. Die Zuteilung der CO2-Zertifikate ist verringert worden, so dass wir Zertifikate zukaufen müssen. Hier werden uns zusätzliche Kosten von rund 600 Millionen Euro entstehen. Ferner stehen die Bescheide der Bundesnetzagentur für die Netzgebühren 2008 an. Einen dreistelligen Millionenbetrag wird uns das auch kosten.

Die Pläne der EU-Kommissare und die Vorhaben des deutschen Wirtschaftsministers haben ein Ziel: Die Marktmacht der Versorger brechen und die Preise drücken. Können alle diese Politiker irren?

Wenn ich bestimmte Vorwürfe ständig wiederhole, werden diese Vorwürfe nicht richtiger. Wir haben eine politisch gewollte Strombörse, die funktioniert und den Preis über den Ausgleich von Angebot und Nachfrage ermittelt. Und als Verbraucher habe ich die Wahl zwischen sehr vielen Anbietern von Strom.

Das Misstrauen in die Funktionsfähigkeit der Börse ist groß.

Gibt es einen Manipulationsvorwurf, der belegt worden ist? Ist ein Missbrauch der Börse festgestellt worden? Nein, kein einziger ist jemals belegt worden. Die Börse funktioniert und ermittelt einen fairen Marktpreis.

Müssen sich dann Ihre Kunden auf weitere Preiserhöhungen einstellen?

Nein. Derzeit gibt es bei Vattenfall keine Pläne, die Preise zu erhöhen. Allerdings: Unsere Wettbewerber haben ja in den vergangenen Wochen zum Teil zweistellige Preiserhöhungen mit den höheren Beschaffungskosten begründet. Die betreffen natürlich auch uns. Ein Beispiel: Vor sechs Jahren lag der Preis für eine Tonne Kohle noch bei 35 Dollar, heute sind es 115 Dollar. Öl- und Gaspreise sind extrem gestiegen, Frachtraten auch.

Öl verstromen Sie nicht, und Braunkohle hat Vattenfall selbst.

Es sind nicht die Vattenfall-Kraftwerke, deren Strom der Vattenfall-Vertrieb an unsere Kunden verkauft. Unseren Strom vermarkten wir an der Strombörse. Dort kauft unser Vertrieb – wie auch der Vertrieb unserer zahlreichen Konkurrenten – den Strom ein. Es sind die Börsenpreise, die den Strompreis bestimmen. Wenn die Gewächshäuser in Südspanien geheizt werden müssen, wie im letzten Winter, dann treibt das den Preis auch für uns und unsere Kunden.

Also hängt die nächste Preiserhöhung ab vom kommenden Winter?

Nein, wie gesagt: Wir haben derzeit keine Planungen für Preiserhöhungen.

Werden wir je sinkende Preise erleben?

Energie ist weltweit ein wertvolles Gut geworden, auch wegen des Energiehungers von China und Indien. Und der Preiseinfluss des Staates ist ebenfalls gestiegen. Etwa 30 Prozent des Preises gehen auf die Erzeugung und Verteilung von Strom zurück. Weitere knapp 30 Prozent auf die Leitungsgebühren, die von der Bundesnetzagentur festgelegt werden. Und rund 43 Prozent auf Steuern und Abgaben, wozu zum Beispiel auch Erneuerbare Energien gehören. Wir erlösen heute für unseren Strom als Unternehmen weniger als 1998.

Warum bringt man Vattenfall eigentlich kaum mit erneuerbaren Energien in Verbindung?

Ich hoffe, dass man das bald tut, weil wir hier große Investitionen planen und auch jetzt bereits vielfältig tätig sind. Wir verstromen Braunkohle, sicher, aber wir arbeiten dabei sehr intensiv am CO2-freien Kohlekraftwerk. Und: Wir bieten Stromprodukte an, die als reine Ökoprodukte zertifiziert sind. Vattenfall als Gruppe ist einer der großen Windkraft- und Wasserbetreiber. Und wir in Deutschland machen von Photovoltaik über Biomasse und Geothermieanlagen und Brennstoffzellen alles Mögliche im Bereich regenerativer Energien.

Aber deren Anteil ist gering.

Wir haben etwa elf Prozent regenerativer Energien. Das ist deutscher Durchschnitt, aber wir wollen mehr.

Wie läuft die Planung für das Kraft- Wärme-Kraftwerk in Berlin-Lichtenberg?

Das Kraftwerk müssen wir 2015 am Netz haben, weil dann das Kraftwerk in Klingenberg außer Betrieb geht. Wir wollen ein modernes Kraftwerk entweder mit Steinkohle oder Gas betreiben. Um Gas-Verträge bemühen wir uns, aber die sind derzeit wirtschaftlich und mit der erforderlichen Liefersicherheit nicht zu bekommen. Falls wir eine Steinkohlevariante bauen sollten, würde das Kraftwerk so schnell wie möglich mit einer CO2-Abscheidung ausgerüstet werden.

Auf der Klimakonferenz in Bali wird vermutlich bis 2050 eine Halbierung der CO2-Emissionen gegenüber dem Basisjahr 1990 vereinbart. Kann das gelingen?

Ja. Vattenfall geht sogar noch weiter und hat sich zum Ziel gesetzt, bereits 2030 50 Prozent weniger CO2 auszustoßen.

Das Gespräch führten Alfons Frese und Dagmar Dehmer.

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