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Wirtschaft: Verdienen am (Un)glück anderer

Ist es ehrenrührig, für eine Dienstleistung Geld zu verlangen? Ein Schuster für das Reparieren einer Sohle?

Ist es ehrenrührig, für eine Dienstleistung Geld zu verlangen? Ein Schuster für das Reparieren einer Sohle? Ein Versicherungsvertreter für den Verkauf einer Lebensversicherung? Zweimal nein.Aber ein Arbeitsvermittler für das Vermitteln eines Arbeitsplatzes an einen Langzeitarbeitslosen?

Zwei Jahre nachdem die Bundesanstalt für Arbeit das Arbeitsvermittlungsmonopol abgegeben hat, abgeben mußte, hat sich ein Teil der Öffentlichkeit noch immer nicht daran gewöhnt, daß private Arbeitsvermittlung eine normale Dienstleistung ist.Das ist auch der Eindruck von Renate Erxleben, der Leiterin von "Maatwerk" in Berlin, seit vier Monaten in Wilmersdorf ansässig.Im Bezirksamt Wilmersdorf, gleich beim Sozialamt, signalisieren die rot-weißen Firmenschilder, daß sich hier, in den Fluren staatlicher Oberhoheit ein privatwirtschaftlicher Fremdkörper eingenistet hat.

Maatwerk, zu deutsch "Maßarbeit", ist eine GmbH, die Arbeitslose zurückbringt auf den Arbeitsmark.Um es genau zu sagen: Maatwerk bringt Langzeitarbeitslose zurück auf den ersten, den richtigen, Arbeitsmarkt.Gegen Entgelt.Wie sich das für einen Dienstleister gehört.Maatwerk entstand 1986 in Holland, als dem Staat das Vermittlungsmonopol entrissen wurde.Langzeitarbeitslos ist nach deutschem Verständnis, wer länger als ein Jahr lang ohne Beschäftigung ist.Maatwerk hat seine Latte noch ein Stück höher gehängt: Vermittelt werden Sozialhilfeempfänger, also Menschen, die seit Jahren arbeitslos und finanziell vom Staat abhängig sind und den Anspruch auf Arbeitslosengeld und -hilfe verloren haben, Menschen am ganz, ganz unteren Ende der Skala.Das Bezirksamt arbeitet mit Maatwerk zusammen.Es hat einen Teil seiner Sozialhilfeempfänger-Kartei an Maatwerk verkauft.Von etwa 4500 Sozialhilfeempfängern des Bezirks sind am 2.Juli dieses Jahres, als Maatwerk seine Arbeit aufnahm, 1057 in die Karteikästen des Unternehmens gewandert.240 von ihnen müssen laut Vertrag in einem Jahr einen Arbeitsplatz haben.Bisher ist das 46 Mal geglückt.Nicht immer in die Berufe, die sie gelernt haben.Aber sozialversichert, unbefristet, ohne den Köder eines Lohnzuschusses, der nach Erfahrung Erxlebens kein Garant für einen dauerhaften Arbeitsplatz ist.

Sieben Arbeitsvermittler beschäftigt Maatwerk.Bei den Gesprächen mit den Arbeitslosen versuchen sie, mehr zu tun, als den beruflichen Werdegang zu protokollieren.Sie wollen den Menschen, seine Stärken, seine Hobbys kennenlernen.Ein Fleischer, der Blumen liebt, könnte auf diese Weise in einer Gärtnerei unterkommen.

1,32 Mill.DM bekommt Maatwerk in Wilmersdorf.Das sind 6000 DM für eine geglückte Vermittlung.Und das ist der Punkt, an dem es für viele unmoralisch wird."Die verdienen am Unglück Anderer", wird Erxleben vorgeworfen."Wir verdienen am Glück Anderer", entgegnet sie.Am Glück, Menschen wieder zu dem zu verhelfen, was sie seit Jahren nicht finden konnten: Arbeit.

KATHRIN SPOERR

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