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Wie süß darf's denn sein?

© imago/BE&W

Kampf gegen Übergewicht: Was bringt Klöckners Zucker-Deal mit den Konzernen?

Im Kampf gegen Übergewicht setzt die Ministerin auf die Lebensmittelbranche. Sie soll weniger Zucker, Salz und Fett verarbeiten. Kritikern reicht das nicht.

Gutes Essen weiß Bundesernährungsministerin Julia Klöckner zu schätzen. An Heiligabend gibt es auf dem elterlichen Weingut in Rheinland-Pfalz Hühnerfrikassee in Pastete, die CDU-Politikerin steuert den Nachtisch bei. Berührungsängste mit Zucker, Salz oder Fett im Essen hat die Winzerstochter nicht.

Dennoch will Klöckner erreichen, dass die Bundesbürger künftig weniger davon essen. Am Mittwoch verabschiedete das Kabinett ihre „Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie“, die dafür sorgen soll, dass die Menschen künftig gesünder essen. „Die gesunde Wahl soll die einfache Wahl werden“, sagte die Ministerin nach der Kabinettssitzung in Berlin.

Was ist das Problem?

Während weltweit 820 Millionen Menschen hungern, kämpft Deutschland mit dem Überfluss. Fast jede zweite Frau und über 60 Prozent der Männer sind übergewichtig, weiß das Robert-Koch-Institut. Fast ein Fünftel der Erwachsenen ist sogar adipös, also fettleibig.

Auch Kinder und Jugendliche haben mit Gewichtsproblemen zu kämpfen. Mehr als 15 Prozent der 3- bis 17-Jährigen haben Übergewicht, ein Drittel davon Adipositas. Die Fehlernährung kann krank machen und zu Herz-Kreislauf-Problemen oder Diabetes führen. „Ernährungsbedingte Krankheiten verursachen nicht nur schweres individuelles Leid“, sagt Klöckner, „sondern auch großen wirtschaftlichen Schaden“. Nach Schätzungen der Krankenkassen beläuft sich der auf 70 Milliarden Euro.

Was plant die Regierung?

Im Koalitionsvertrag hat sich die schwarz-rote Koalition zu einer Strategie für gesünderes Essen verpflichtet. Diese sollte im Laufe des Jahres vorgelegt werden. Mit dem Kabinettsbeschluss am Mittwoch hat Klöckner die zeitliche Vorgabe nun auf den letzten Drücker eingehalten. Wichtige Vereinbarungen, um ihre Strategie umzusetzen, werden jedoch erst im nächsten Jahr folgen.

Bestimmt jetzt die Regierung, was wir essen?

„Der Staat ist keine Geschmacksnanny“, betont Klöckner, „wir werden keine Rezepte vorschreiben“. Stattdessen setzt die Ministerin auf den Konsens mit den Lebensmittelproduzenten. Diese sollen per Selbstverpflichtung festlegen, wie viel Zucker, Fett oder Salz sie bei ihren Produkten sparen wollen.

Sind alle Produkte betroffen?

Die Strategie betrifft zunächst nur Fertigprodukte. Hier ist der Handlungsdruck aus Sicht der Ministerin am größten. Nicht nur, weil die Menschen immer häufiger zu Tiefkühlpizza oder Fertiglasagne greifen statt selbst zu kochen, viele der Produkte enthalten auch unverhältnismäßig viel Zucker, Fett oder Salz.

Das will Klöckner ändern, lässt der Ernährungsindustrie für die Umstellung aber einige Jahre Zeit. Die Rezepturen sollen bis zum Jahr 2025 umgestellt sein. Allerdings will das Ministerium im Herbst nächsten Jahres eine erste Bestandsaufnahme machen, im Jahr 2020 soll es einen Zwischenbericht geben. Zudem soll im Internet kontinuierlich über die Einsparerfolge berichtet werden und ein Beratergremium soll die Entwicklung begleiten.

Warum dauert das so lange?

Die Menschen sollen Zeit bekommen, sich an die neuen Rezepturen zu gewöhnen. „Wir haben nichts von Ladenhütern“, meint Klöckner. Zudem will die Ministerin die kleinen Handwerksbetriebe schützen. Die CDU-Politikerin hat Angst, dass die Kleinbetriebe mit der Umstellung überfordert sein könnten.

Anders als die Ernährungsmultis Nestlé oder Unilever, die neue Rezepturen in großen Laboren entwickeln können, tun sich die kleinen regionalen Betriebe mit der Weiterentwicklung ihrer Produkte schwerer. Ihnen will Klöckner mit Fördermitteln helfen. 56 Millionen Euro hat sie aus ihrem Etat zur Verfügung gestellt, um Innovationen in kleinen Betrieben zu fördern. Bei Berliner Pfannkuchen etwa lässt sich Fett sparen, indem die Bäcker eine andere Weizensorte verwenden. Große Hoffnung setzt die Ministerin auch auf einen neuen kalorienarmen Zucker aus Rüben. Allein für die Forschung an der Allulose stehen 1,6 Millionen Euro zur Verfügung.

Sie wolle einen Positivwettbewerb, betonte die Ministerin. Der ist allerdings schon seit Jahren im Gange – schon vor der neuen nationalen Reduktionsstrategie der Regierung. Nestlé brüstet sich etwa damit, beim Schokoriegel Kitkat mit einer neuen Rezeptur 1500 Badewannen Zucker gespart zu haben. Die Supermarktkette Rewe hat nach eigenen Angaben seit 2017 bereits bei mehreren Hundert ihrer Eigenmarken Zucker im zweistelligen Prozentbereich weggelassen.

Gibt es schon Vereinbarungen im Rahmen von Klöckners Strategie?

Erste Vereinbarungen zwischen Klöckner und den Lebensmittelproduzenten liegen bereits vor. So sollen Frühstückscerealien für Kinder bis zum Jahr 2025 mindestens 20 Prozent weniger Zucker enthalten, in Erfrischungsgetränken sollen mindestens 15, in Kinderjogurts wenigstens zehn Prozent Zucker gespart werden. Eine Vereinbarung gibt es auch mit den Bäckern, die Salzspitzen im Brot, also Rezepturen mit besonders viel Salz, zurückfahren sollen. In Tiefkühlpizzen soll der Salzgehalt bis zum Jahr 2015 nicht mehr als 1,25 Gramm pro 100 Gramm Pizza betragen. Bislang liegt er – je nach Sorte – zwischen 0,3 und zwei Gramm. Weitere Vereinbarungen sollen im nächsten Jahr folgen.

Was passiert, wenn sich die Hersteller nicht an die Vorgaben halten, ist allerdings unklar. Sie werde nicht mit sich Schlitten fahren lassen, stellte Klöckner am Mittwoch regulatorische Eingriffe in Aussicht. Die Lebensmittelindustrie warnte davor, die Kunden zu bevormunden. Letzlich würden die Käufer den Geschmack bestimmen.

Warum gibt es konkrete Vorgaben bisher nur für Kinderlebensmittel?

Kinderlebensmittel enthalten oft mehr Zucker als Müsli, Jogurt oder Softdrinks von Erwachsenen. Die Kinder werden so von Klein auf an die supersüßen Lebensmittel gewöhnt, das soll sich ändern. Auch per Gesetz: Für Babytees oder Milchprodukte für Säuglinge will Klöckner per Diätverordnung den Zusatz von Zucker verbieten.

Ist Klöckner zu lasch?

Ihre Kritiker sehen das so. Eine ihrer Amtsvorgängerinnen, Renate Künast, spricht von einem „Geschenk an die Lebensmittelkonzerne“. Die Strategie sei gänzlich unverbindlich, die Umsetzung liege in weiter Ferne, und auch für die Kinder sei fast nichts erreicht worden. Die Grünen-Politikerin fordert eine verbindliche Reduktion des Zuckers in Kinderprodukten um 50 Prozent.

„Julia Klöckner hat es mit einem massiven Gesundheitsproblem zu tun und unterlässt es zu handeln“, kritisiert Martin Rücker, Geschäftsführer von Foodwatch. „Sie belässt es dabei, bei der Lebensmittelindustrie lieb ,Bittebitte’ zu sagen.“ Klaus Müller, Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, warnte vor möglichen Tricks der Ernährungsindustrie. Freiwillige Vereinbarungen seien nur dann ein Erfolg, wenn sie nicht auf anderem Wege umgangen werden – etwa durch veränderte Verpackungsgrößen oder den Austausch von Zucker durch Süßstoffe oder Fett als Geschmacksträger.

Sind andere Länder härter?

In Großbritannien versucht die Regierung, mit einer Zuckersteuer den Konsum von ungesunden Limonaden zu drosseln. Klöckner lehnt solche Zwangsmaßnahmen ab. Die Hersteller würden nur knapp unter den neuen Höchstwerten bleiben, sagt sie, eine nennenswerte Reduktion gibt es ihrer Meinung nach nicht. Foodwatch sieht das anders. Coca-Cola habe auf der Insel den Zuckergehalt von Fanta und Sprite unter die Fünf-Gramm-Marke gesenkt, in Deutschland würden diese Limos dagegen doppelt so viel Zucker enthalten – aktuell mehr als neun Gramm, sagt Geschäftsführer Rücker.

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