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Vergessene Berufe: Der Rosstäuscher

Der Pferdemarkt war einst, was der Gebrauchtwagenhandel heute ist: ein Paradies für Feilscher und Trickser. Wenn es darum ging, die Tiere in Szene zu setzen, kannten die Profis keine Hemmungen. Als Betrug empfanden sie das nicht.

Die geheimen Künste der Rosstäuscher“ lautet der Titel eines Buches von 1822, das die „Enthüllten Geheimnisse aller Handelsvortheile und Pferde-Verschönerungskünste der Pferdehändler“ offenlegt. Es wurde von einem der bekanntesten Pferdehändler Deutschlands, einem gewissen Abraham Mortgens aus Dessau, verfasst und später, nach seinem Tode, von einem S. v. Tecker, Königl. Sächs. Major der Cavallerie, Commandant des Train Bataillons, Stallmeister und Oberpferdearzt, des K. Sächs. Civil Verdienstordens Ritter und Mitglied mehrere gelehrten Gesellschaften niedergeschrieben.

Eindrucksvoll, dieser v. Tecker. Das mehr als 100 Seiten starke Buch hält, was sein Titel verspricht, und ist oft so aktuell, dass man sich als Leser wundern muss, ob sich denn gar nichts in dieser Welt verändert hat, außer dass man heute eher Autos als Pferde kauft. Denn viele der Tricks, die damals beim Rosstäuschen angewendet wurden, kennt man heute vom Gebrauchtwagenhandel. PS waren schon immer wichtig, wenn es um Eitelkeiten ging.

Verraten wird, mit welchen Mitteln die Pferde äußerlich hergerichtet oder getunt wurden, um stattlicher auszusehen, wie die Ware Pferd zu präsentieren sei, und wie man psychologisch den Käufer beeinflussen kann. Ein moderner Autohändler könnte seine Verkaufsstrategien nicht klarer definieren als hier in diesem fast 200 Jahre alten Ratgeber.

Der Begriff des Rosstäuschers tauchte schon damals in Romanen auf. Das Wort „Täuscher“ sei ein negativ belastetes Wort, wie die Verfasser der Enthüllungen meinen, wo der Rosstäuscher doch nur gewisse Handelsvorteile einsetzt, um seine Ware an den Mann zu bringen. „Da seht den Händler N.N., der hat den Herrn N.N. doch ganz ordentlich betrogen und mit einem Pferde angeführt, das nicht die Hälfte des Kaufpreises wert ist. Allein ich frage, welcher hat denn eigentlich betrogen, der Käufer sich selbst, dass er sich Kenntnis und Erfahrung genug in einem Geschäfte, dem Pferdehandel, zutraute, das er gar nicht kennt und versteht; oder der Händler, der nichts tat, als dass er zufällig dem Käufer mitten in einem Geräusche, ec. Seine Pferde zeigte, und diese äußeren, oft gar nicht ein Mal von ihm abhängigen Dinge, bloß nur zu seinem Vorteil zu benutzen verstand.“

Vieser
Durch die Welt der verschwundenen Berufe führt Sie die Journalistin und Autorin Michaela Vieser (r.). Von ihr erschien zuletzt das Buch "Tee mit Buddha - mein Jahr in einem japanischen Kloster". Die Illustrationen zur Serie stammen von der Grafikerin Irmela Schautz. -

© privat

Die Vorteile, die sich der Rosstäuscher einfallen ließ, sind nicht so harmlos, wie hier getan wird. Rein optisch gab es einigen Gestaltungsspielraum. Bei alten Pferden wurden die Zähne kurz geschliffen oder gezogen, bei anderen Pferden wurde das Fett über den Augen herausgetrennt, das Fell wurde eingefärbt. Gerne wurde der Schweif englisiert, das heißt, der Muskel, der den Schweif nach unten hält, wurde durchtrennt, damit er nach Mode der englischen Vollblüter abstand. Die Mähne wurde gerupft, die Ohren ausgeschert – für ein besseres Hören und Horchen der Pferde. Die Hufeisen wurden abgerissen – für einen leichteren Gang. In diesem Fall musste darauf geachtet werden, dass beim Verkaufsgespräch das Pferd auf Sand vorritt, da harter Boden den so gewonnenen Gang wieder gefährden würde. Und ganz wichtig: Das Pferd wurde gepfeffert.

„ … der Pfeffer ist der wahre Geist des Pferdehandels; er macht aus alten junge, aus trägen feurige, aus dummen gescheite, aus widerspenstigen folgsame, aus unbeweglichen bewegliche, aus plumpen leichte Pferde und ändert selbst die Form, die Taille, die Bewegung, mit einem Wort, das ganze Wesen des Pferdes auf eine beinahe unbegreifliche und auffallende Weise ab. Daher muss denn jedes Pferd, bevor es den Stall des Händlers verlässt, mit einigen Pfefferkörnern, oder noch besser, Pfefferpillen, versehen sein, die ihm der Koppelknecht, nach Taschenspielerweise, verborgen in den After bringt, womit gleichsam seine Toilette, seine Appretur vollendet wird.“

Kurz: Ein Rosstäuscher war in der Lage, ein Pferd so herzurichten, dass sein vorheriger Besitzer es nicht wiedererkennen konnte. Das Aussehen des Pferdes zu verändern, so die Verfasser der Rosstäuscher-Bibel, sei mit den Kunstgriffen der älteren Fräuleins zu vergleichen, die sich einen Mann angeln wollten. Und bei denen würde ja auch keiner schreien, sie hätten durch ihr verjüngtes Aussehen betrogen.

Falls übrigens gestohlene Pferde im Stall standen und zu befürchten war, dass die Polizei sie sucht, war die Aufgabe des Rosstäuschers, edle Pferden in billige Gäuler zu verwandeln: Er verfilzte das Fell, schlug einen Nagel in die Hufe und griff zu allerlei anderen Tricks.

Wichtig beim Rosstäuschen war auch die Präsentation der Pferde. Immer vor einer weißen Mauer, denn davor sehen Pferde einfach edler aus, die schönen Pferde sollten weiter vorne platziert werden. Im Stall, so wird geraten, darf nicht an Licht gespart werden. Und letztendlich sollten schlechte Pferde einfach unter einer Decke versteckt werden, da dies die Neugierde der Käufer mehr anstachelte, und sie darunter ganz besonders edle Stücke vermuteten.

Ein Rosstäuscher musste aber auch „Menschenkenntnis, Lebensumgang und kluges Benehmen im Allgemeinen“ mit sich bringen. Denn: „Der Mensch bleibt sich von der Jugend bis zum Greisenalter überall gleich und zeigt bei der Auswahl eines Pferdes oft ebenso vielen Eigensinn und Vorurteil, als bei der Wahl eines Spiels und einer Frau.“

So war es also wichtig, beim Verkaufsgespräch herauszufinden, welche Art von Pferd der Käufer suchte und dann dem Vorreiter geheime Zeichen zu geben, die genau diese Qualitäten aus den Pferden herauskitzelten. Nie könne ein Cavallerist Vorreiter sein, auch wenn er der beste Reiter seines Regiments war. Ein guter Vorreiter zeigte nicht sich auf dem Pferd, sondern das Pferd.

Auch schmeichelnde Worte werden genannt als Verkaufsstrategie. Tierärzte und Professoren, die sich selbst als klug einstuften und theoretisch viel von Pferden wussten, kannten sich im Allgemeinen wenig aus mit den Tieren und konnten von den Rosstäuschern mit Floskeln wie „wenn ich nur den geringsten Teil von dem wüsste, was Sie verstehen“ leicht um den Finger gewickelt werden.

Manchmal gingen die Rosstäuscher sogar so weit, dass sie Schauspieler engagierten, die als interessierte Kunden auftraten. „Plötzlich tritt ein unbekannter Herr hinzu, er besieht, er mustert dasselbe Pferd, er spricht leise mit seinem Begleiter, doch aber immer so laut, dass es der eigentliche Käufer hören kann, dass ihm dieses Pferd außerordentlich gefalle, dass seine Stellung, seine Bewegung, seine Form etc., ganz vortrefflich wäre und dass er es um gar keinen Preis wegließe.“ Auch solche kleinen Tricks konnten nachhelfen, den Kauf schnell abzuschließen, und nie, niemals käme ein Rosstäuscher auf die Idee, dass es sich hierbei um Betrug handele. Es ging lediglich darum, sich einen Handelsvorteil zu beschaffen. Vollkommen legitim. Wäre der Käufer klüger, könnte er alles durchschauen.

Und wenn ein Kunde sich nun doch beschwerte, nach dem Kauf? Wenn selbst der Stallmeister meinte, das Tier sähe sich nicht mehr ähnlich? Dann konnte man antworten: Beim Händler wurde es geputzt und reinlich gehalten, der Stallmeister aber sei ein fauler Kerl.

Folge 2 am kommenden Sonntag: Der Lichtputzer

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