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Mobilität war noch nie ein reines Männer-Thema.

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Vergessene Frauen der Mobilitätsbranche: Die Gebrüder Wright hatten auch eine Schwester

Viele Männer sind Ikonen der Verkehrsgeschichte. Doch auch zahlreiche Frauen hatten Schlüsselrollen in der Entwicklung moderner Verkehrsmittel.

Der Vater wünschte sich einen Sohn. Er sollte Walentin heißen und am 8. März zur Welt kommen. Das Kind wurde zwei Tage früher geboren – am Freitag vor 83 Jahren – und war ein Mädchen. Mit zehn bastelte sie einen Fallschirm aus Bettlaken und holte sich Schrammen beim Sprung von einem Baum. Mit sechsundzwanzig flog sie in den Weltraum.

Walentina Tereschkowa war die erste Frau im All. Bis heute ist sie die Einzige, die alleine um die Erde kreiste. Am 16. Juni 1963 stieg die Kosmonautin in Kasachstan in die enge Raumkapsel Wostok 5. Tschaijka – die „Möwe“, so ihr Codename – flog 48-mal um die Erde. Drei lange Tage dauerte die Heldenreise. Es war ein Horrortrip.

Die Männer auf dem Boden hatten die Raumkapsel falsch programmiert. Das fiel aber erst auf, als Tereschkowa schon im All war. Die Mission endete beinahe in einer Katastrophe. Darüber sprechen durfte die Volksheldin der Sowjetunion jahrzehntelang nicht. Ihr Chef schob der Frau die Schuld für den Pannenflug in die Schuhe – „Weiber kommen mir nicht mehr ins All“, soll er gesagt haben und hielt sich fortan daran.

Die Russin Valentina Tereschkowa. Links nach ihrer Rückkehr aus dem All 1963 und im Jahr 2007).
Die Russin Valentina Tereschkowa. Links nach ihrer Rückkehr aus dem All 1963 und im Jahr 2007).

© EPA/Sergei Chiriko / picture alliance / dpa

Bei der Konkurrenz lief es umgekehrt. Die Nasa hatte damals zwar keine Astronautinnen, dafür war das Programmieren Frauensache. Ein Glücksfall für Neil Armstrong und seine Männerrunde auf dem Mond, denn ohne die Arbeit etwa von Katherine Johnson und Margaret Hamilton wären die Kerle weder hin- noch sicher zurückgekommen. Die eine berechnete die Flugbahnen für Apollo 11, die andere programmierte die Software. Es gab viele solcher Nasa-Frauen, lange wusste das kaum einer, bis sich die Popkultur der Sache annahm.

Das Flugzeug wurde nicht nur von Männern erfunden

Männer mögen seit hundert Jahren und länger die Welt der Mobilität dominieren, aber Frauen haben sie geprägt. Auffällig viele waren Pionierinnen. Carl Benz strich zwar den Ruhm der Nachwelt ein. Bertha Benz aber war es, die nicht nur das Geld für die Entwicklung des Automobils besorgte. Sie wagte auch als erster Mensch eine längere Fahrt damit.

Die Wright-Brüder sind als Erfinder des Flugzeugs in die Geschichte eingegangen, aber auch nur, weil die Rolle ihrer Schwester später unterschlagen wurde. Genau wie Bertha Benz kümmerte sich Katharine Wright um die Finanzen, führte Verhandlungen, knüpfte Kontakte und managte die Wright Company.

In der Fliegerei waren Pilotinnen anfangs keine Ausnahme. Das Wort Stewardess gab es erst gar nicht, weil Flugbegleiter in den ersten Jahren ein reiner Männerjob war. Das drehte sich irgendwann. Flogen Frauen im Zweiten Weltkrieg noch Kampfeinsätze für die USA, fanden sie in Friedenszeiten plötzlich keine Jobs als Pilotin mehr. Weniger qualifizierte Männer dagegen schon.

Vom Führerhaus bis zur Vorstandsetage fehlte es lange an weiblichen Perspektiven in der Verkehrswelt. Motoren galten als Männersache und Frauen konnten nicht einparken. Jungs träumten davon, Lokführer oder Pilot zu werden. Mädchen wurde das früh ausgeredet. Solche Rollenklischees mögen passé sein, aber tiefgreifender Wandel braucht seine Zeit.

Keine Frauen auf den Chefposten

Noch immer sind Taxi- und Busfahrerinnen, Kapitäninnen und Pilotinnen, Ingenieurinnen und Programmiererinnen die Ausnahme. Im Top-Management geht es teils sogar noch monogeschlechtlich zu. Und Branchentreffen, das nur nebenbei, sind oft nur schwer erträglich, weil sich Kerle oft eben gern selbst beim Reden zuhören. Da helfen nur Frauen, am besten viele Frauen. Die kommen erfahrungsgemäß schneller zum Punkt, weil sie im Leben noch Besseres zu tun haben.

It’s a Man’s Man’s Man’s World? Das nun nicht mehr. Klar, bei BMW, Daimler, Volkswagen, der Deutschen Bahn und Lufthansa war noch nie eine Frau auf dem Chefposten. In den Ahnenreihen dieser Konzernzentralen hängen bis heute ausschließlich Männer – im Jahr 2020.

Dennoch sind die Zeiten andere. Die deutsche Autoindustrie hat ihre politische Zukunft in die Hände von Hildegard Müller gelegt – ausdrücklich auch, weil eine Frau an der Spitze den überfälligen Aufbruch in die Moderne symbolisiert. Bei Daimler sitzen mit Britta Seeger und Renata Brüngger zwei Frauen im Vorstand, bei BMW und Volkswagen sind es mit Ilka Horstmeier und Hiltrud Werner jeweils eine. Im Bahn-Tower verantworten Sabina Jescke und Sigrid Nikutta zwei wichtige Zukunftsressorts, genau wie Christina Foerster bei der Lufthansa.

"Vielfalt fördert innovatives Denken"

Kurzum, es gibt sie nicht nur, es werden auch mehr: Frauen, die es in der Mobilitätswelt bis ganz nach oben schaffen. Die Anzugträger sind nicht nur in der übergroßen Mehrheit, sie machen vieles immer noch unter sich aus. Das ist nicht nur ungerecht, es ist vor allem unklug.

Auf der anderen Seite des Atlantiks steuert Mary Barra seit sechs Jahren General Motors (GM). Männer hatten die einst stolze Industrie-Ikone zuvor ruiniert. Barra brachte den taumelnden Riesen auf Kurs und machte GM zu einem Vorreiter beim autonomen Fahren. Die erste Frau an der Spitze eines globalen Autokonzerns hält nichts von feministischen Sonntagsreden oder Gendergedöns. Für Barra sind reine Herrenclubs schlicht und einfach geschäftsschädigend.

Verkehrswende wird von Männern geplant

„Vielfalt sorgt für stärkere Teams und fördert frisches, innovatives Denken“, sagt Barra. „Diversität ist für uns deshalb eine notwendige unternehmerische Voraussetzung.“ Um Frauen Aufstiege zu ermöglichen, brauche es erst einmal aber mehr weiblichen Nachwuchs – eine „pipeline of talents“. Übersetzt: Wenn es für eine Top-Stelle ausschließlich männliche Kandidaten gibt, ist schon früher auf unteren Ebenen viel schiefgelaufen.

Dass es vor allem Männer sind, die Autos entwickeln, ist bekannt. Dass es nicht schaden könnte, die Bedürfnisse der anderen Hälfte der Weltbevölkerung zu berücksichtigen, ist eine Binse. Doch es geht weit über Produkte hinaus. Auch die Verkehrswende wird vor allem von Männern geplant, obwohl etwa die Fahrgäste im Nahverkehr mehrheitlich weiblich sind. Und dass in Dänemark so viel mehr Menschen Fahrrad fahren als hierzulande, hat auch damit zu tun, dass dort Frauen bei der Stadtplanung mehr mitreden.

Die 83-jährige Walentina Tereschkowa hätte nichts gegen einen Flug zum Mars – falls sich die Gelegenheit ergibt. Der Pionierin folgten bis heute 65 Raumfahrerinnen. Fast zehnmal so viele Männer. Dabei hat die Nasa die Erfahrung gemacht, „dass Frauen extreme Situationen besser wegstecken“, wie der Astronaut Ulrich Walter berichtet, „die ziehen Sachen oft besser durch als Männer“. Sechs Jahrzehnte nach dem Flug der „Möwe“ könnte nun die Zeit für die erste deutsche Astronautin anbrechen. 2021 soll es so weit sein.

Felix Wadewitz

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