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Rutschpartie. Im vergangenen Winter hat das Image der Bahn schwer gelitten. Hochmoderne Züge erwiesen sich als wenig zuverlässig.

© dpa

Verkehr: Bahn auf Bewährung

Ein Winterchaos wie im vergangenen Jahr will die Bahn um jeden Preis vermeiden. Sie hat noch viel zu tun, finden Kritiker. Erst 2014 fahren alle ICE-Züge wieder so wie geplant.

Berlin - Nach stundenlangen Schneefällen und einem heftigen Sturm in der Nacht ging nichts mehr. An eine planmäßige Abfahrt des Morgenzuges war nicht zu denken, einen halben Meter hoch hatte die weiße Pracht vergangenen Dienstag die Gleise zugeweht. Eine Schneefräse musste her, um der Bahn den Weg freizupusten, dann erst konnte der zweite Zug des Tages wie vorgesehen den Bahnhof verlassen.

Für die dampfbetriebene Harzer Schmalspurbahn ist ein Schneesturm Ende November nichts Ungewöhnliches – am Brocken hält der Winter meist schon früh Einzug. Für die ungleich größere Deutsche Bahn wird die kalte Jahreszeit dagegen zu einer der wichtigsten Bewährungsproben der jüngeren Vergangenheit. Einen erneuten Katastrophenwinter wie 2009/2010 wollen die Manager des Staatskonzerns um jeden Preis vermeiden. „Das dürfen wir uns nicht noch einmal leisten“, sagt ein hochrangiger Manager des Konzerns. Mit einem Millionenaufwand versucht das Unternehmen, die Auswirkungen von Eis und Schnee in Grenzen zu halten. „Jetzt müssen unsere Maßnahmen die Bewährungsprobe bestehen“, sagte Bahn-Chef Rüdiger Grube dem Tagesspiegel am Sonntag.

Rückblende: Im vergangenen Winter hatte die Bahn eine beispiellose Pannenserie hingelegt. Im Schnitt 114 Züge am Tag fielen aus, viele verspäteten sich, Reisende mussten zeitraubende Umwege in Kauf nehmen. Die Kälte sorgte für Defekte im Dutzend: Waggontüren froren fest, eindringender Schnee verursachte Kurzschlüsse, umherfliegendes Eis und Schotter beschädigten Zugachsen. Auf dem Höhepunkt der Krise mussten hochmoderne ICEs für die Strecke von Berlin nach München im Depot bleiben – ausgerechnet am Tag vor Weihnachten. Und all das wenige Monate, nachdem der neue Vorstandschef Grube angetreten war, das „Brot- und Buttergeschäft“ des Staatskonzerns endlich in Ordnung zu bringen.

Schon im Januar hatte er von seinen Managern verlangt, nach dem Fehler im System Schiene zu suchen. Herausgekommen ist eine lange Liste von Maßnahmen, die die Bahn zuverlässiger machen sollen. „Es sieht so aus, als stehe uns nach dem vergangenen nun ein weiterer Jahrhundertwinter bevor. Wir haben uns intensiv darauf vorbereitet“, beteuert Grube.

330 Millionen Euro gibt die Bahn bis 2014 für mehr Zuverlässigkeit und Service sowie für 300 neue Mitarbeiter aus. Sie hat mehr Personal fürs Schneeräumen auf Bahnsteigen und Gleisen engagiert, Weichenheizungen eingebaut, Enteisungsanlagen gekauft, um ICEs in der Werkstatt schneller reparieren zu können. An die Züge haben Mechaniker Bleche geschweißt, die Schutz gegen umherfliegende Steine und Eis bieten sollen.

Die Bahn-Manager wissen indes: Völlige Sicherheit gegen Ausfälle gibt es nicht. Gegen Eisregen, wie am Silvestertag in Niedersachsen, lässt sich kaum etwas ausrichten. Daher soll wenigstens die Information der Kunden besser werden – ein oft beklagtes Manko. „80 Prozent aller Beschwerden handeln davon, dass sich die Kunden bei Störungen nicht genügend informiert fühlen“, berichtet Grube. Alle Mitarbeiter auf den Bahnsteigen und in den Zügen habe man nun mit Smartphones ausgerüstet, zudem soll es verständlichere Lautsprecherdurchsagen geben. Daneben hat der Konzern ein Krisenzentrum für den Fernverkehr eingerichtet – Grube spricht vom „Snowboard“. Darin säßen alle entscheidenden Leute, die binnen kürzester Zeit Entscheidungen fällen könnten. „Hier laufen alle Fäden zusammen. Das gab es bislang bei der Bahn so nicht.“

Doch die große Schwachstelle sind die Züge. Noch immer müssen viele ICE-Züge zehnmal häufiger als geplant in die Werkstatt, um die Achsen kontrollieren zu lassen, die sich als brüchig erwiesen haben. Daher fehlt der Bahn ein Dutzend Züge – gerade im Winter ist das schmerzlich. „Die Verfügbarkeit der Züge ist nicht sehr viel besser geworden“, sagt Grube. Die neuen Achsen müssen noch konstruiert, zugelassen und hergestellt werden. Erst 2014 werde man zu normalen Verhältnissen zurückkehren. „Bei der Eisenbahn gibt es eben keine Verbesserungen von heute auf morgen.“

Der Konzern muss deshalb improvisieren und den Fahrplan umgestalten. Wo weniger Kunden fahren, setzt die Bahn verkürzte ICEs ein oder nur einen IC. Von der französischen Staatsbahn SNCF und der schweizerischen SBB hat man Waggons gemietet, von den Niederländern sogar zehn Interregio-Wagen zurückgekauft, die erst wieder umgebaut und umlackiert werden mussten. Ergebnis: Die Reserve an ICEs ist laut Grube wieder um zehn Züge gestiegen. Kritiker erkennen das Bemühen des Unternehmens um mehr Zuverlässigkeit zwar an, erwarten aber davon keine Wunder. „Ich würde keinem Fahrgast garantieren, dass er im Winter nicht irgendwo frieren muss, weil sich ein Zug verspätet oder ausfällt“, sagt Karl- Peter Naumann, Vorsitzender des Kundenverbandes Pro Bahn.

Das Misstrauen gegen den Konzern sitzt tief – über Jahre hat er mit Blick auf die Börse einen harten Sparkurs gefahren, hat Personal abgebaut, Züge verschrottet, das Angebot reduziert. Zugleich fahren in Schweden, in Russland oder in Tibet Züge im Winter mit weniger Pannen, obwohl das Klima dort viel extremer ist. „Es fällt schwer zu glauben, dass die Bahn nun den Hebel umlegt, nachdem sie ein Jahrzehnt an Infrastruktur und Unterhalt gespart hat“, sagt der Grünen-Verkehrsexperte Anton Hofreiter. „Man hat sich für die betriebswirtschaftliche Optimierung entschieden, statt den Betrieb zu optimieren – das war eine bewusste Entscheidung.“

Hans Leister war einmal bei der Bahn, heute leitet er den Konkurrenten Keolis. Er beobachtet, dass seit 1994, als die Bahn in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, Bäume und Sträucher entlang der Gleise weit weniger sorgfältig zurückgeschnitten werden. Das sei riskant. „Wenn bei einem Wintersturm Bäume umstürzen, können Züge entgleisen und Oberleitungen herunterkommen, das ist für Lokführer und Passagiere lebensgefährlich“, beklagt er. Erst kürzlich gab es einen Unfall – zum Glück ohne Verletzte.

Dass die Bahn noch immer jeden Cent umdreht, zeigen ihre Pläne für den Kauf neuer Züge. Ab 2014 soll Siemens Ersatz für die alte IC-Flotte liefern – noch gibt es aber Streit um die Kosten, denn die Bahn will auf keinen Fall mehr als 30 000 Euro pro Zugsitzplatz zahlen. „Fatal“ findet diese Obergrenze Jürgen Siegmann, Eisenbahn-Professor an der TU Berlin. „Das geht womöglich wieder auf Kosten der Zuverlässigkeit im Winter.“

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