zum Hauptinhalt

Verkehrsexperte Peter Füglistaler: "Die Schweiz kann sich kein Winter-Chaos leisten"

Peter Füglistaler ist Chef des Schweizer Bundesamtes für Verkehr. Mit dem Tagesspiegel spricht er über Eis und Schnee bei der Bahn und Börsen-Pläne der Deutschen.

DER CHEF

Peter Füglistaler ist seit Juni 2010 Direktor des Schweizer Bundesamts für Verkehr (BAV) in Bern. Zuvor arbeitete er in der Geschäftsleitung der Schweizerischen Bundesbahn (SBB).

DAS AMT

Das BAV überwacht den öffentlichen Verkehr in der Schweiz, von der Seilbahn über den Lkw, den Bus und die Eisenbahn. Dabei setzt er die Politik der Schweizer Regierung um. Das Land investiert seit Jahren Milliarden in die Schiene, um das immense Verkehrswachstum vor allem durch den Gütertransport zu bewältigen und die Alpen zu schützen. Die Eidgenossen gelten als ein Volk von Bahnfahrern, jeder Bürger legt pro Jahr mehr als doppelt so viele Kilometer mit der Bahn zurück wie hierzulande. brö

Herr Füglistaler, wie war der Winter für die Eisenbahn in der Schweiz?

Wir hatten schon oft solche Winter. An einem wirklich heftigen Tag mit Kälte und viel Schnee haben auch unsere Züge Verspätung. Die Kunst bei der Eisenbahn ist es, dann wieder möglichst schnell zum Normalfahrplan zurückzukehren. Das haben die Schweizer Bahnen im Griff, am zweiten Tag funktioniert es meist wieder.

Bei der Deutschen Bahn war zeitweise nur jeder fünfte ICE pünktlich. Wie war es bei Ihnen?

Unsere Züge fahren normalerweise zu 98 Prozent pünktlich mit einer Toleranz von drei Minuten. An einem schlimmen Tag wird es zuletzt bei etwa 80, 90 Prozent gewesen sein.

Die Schweiz hat ein viel kleineres Gleisnetz als Deutschland, die Züge legen kürzere Strecken zurück.

Unser Netz ist aber viel dichter ausgelastet. Damit steigt die Komplexität. Je mehr Bahnhöfe und Weichen Sie pro Kilometer haben, desto schwieriger und störanfälliger wird es. Jede Verspätung eines Zuges steckt einen anderen Zug an.

Die Bahn sagt, ihre Züge sind schlecht konstruiert, die Industrie spricht von schlampiger Wartung. Wer hat recht?

Das kann ich nicht beurteilen, ich habe nur die Debatte um die S-Bahn Berlin verfolgt, wo das Unternehmen nach 15 Jahren Betrieb plötzlich über falsch konstruierte Fahrzeuge klagt. Zum Teil ist es tatsächlich eine Zumutung, was uns die Unternehmen auf die Schienen stellen. Es ist heute nicht mehr selbstverständlich, dass jedes neue Fahrzeug auch fahrtüchtig ist.

Die Bahn sagt auch, der Winter sei der härteste seit 40 Jahren.

Ich bin kein Meteorologe. Es kommt aber weniger auf das Wetter an als auf die richtige Vorbereitung, die Organisation und vor allem die Ressourcen. Die Bahn ist ein integriertes System, bei dem Infrastruktur, Rollmaterial und Betrieb ineinandergreifen. Die Probleme liegen immer im Zusammenspiel der Komponenten. Es bricht ja nicht der Verkehr wegen einer einzigen fehlerhaften Zugserie zusammen.

Sondern weshalb?

Bei der Eisenbahn geht es nicht darum, ob man sich vor drei Monaten oder zwei Wochen richtig auf den Winter vorbereitet hat. Wie das geht, weiß die Deutsche Bahn auch. Die Frage ist, ob man vor drei, vier, fünf Jahren richtige Entscheidungen gefällt hat: Ob man die Kapazitäten reduziert, die falschen Fahrzeuge gekauft, zu viel Personal abgebaut hat. Nur wer genügend Ressourcen hat, kann stabil fahren. Hier ist auf deutscher Seite offensichtlich etwas schiefgelaufen, das rächt sich jetzt.

Wie konnte das passieren?

Eisenbahn ist ein langfristiges Geschäft. Nur mit einer langfristigen Perspektive hat man Erfolg. In der Schweiz hat die Bahn zwar eine privatwirtschaftliche Struktur, ist aber im Bundesbesitz. Privatisieren wollen wir sie nicht. Sie soll glückliche Kunden und viele Güter transportieren. Ein wirtschaftlicher Betrieb ist wichtig. Wir haben aber nicht in erster Linie im Kopf, dass sie viel Gewinn machen soll.

Ist die Fixierung auf den Börsengang schuld am deutschen Winter-Chaos?

Ich persönlich würde einen Zusammenhang herstellen.

Sie halten eine Bahn-Privatisierung grundsätzlich für keine gute Idee?

Eine Eisenbahn erfordert immer hohe Subventionen. Man kann natürlich das Netz in staatlicher Hand lassen, auch den Regionalverkehr bezuschussen und jemanden im Fernverkehr hohe Gewinne machen lassen. Der Investor zieht dann aber Geld aus dem System, darüber muss man sich bewusst sein. Jeder Gewinn geht auf Kosten der Ressourcen. Wir haben uns dafür entschieden, dass der Kapitalgeber keine Dividende will – auch die Privatbahnen sind bei uns ja mehrheitlich in der Hand des Staates. Das macht das System einfach billiger.

Bei Luftfahrt und Post hat die Privatisierung doch funktioniert.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin eindeutig dafür, dass eine Bahn unternehmerisch geführt wird. Die Orientierung an Gewinn und Börse ist aber nur dort sinnvoll, wo es um ein kurzfristiges Geschäft geht, etwa bei Güterverkehr und Logistik. Das Netz und der gesamte Fernverkehr sollten in der Hand eines staatlichen Unternehmens sein, bei uns ist das die SBB. Es darf ja nicht pleitegehen. Also fehlt die Möglichkeit eines Konkurses und damit eine Voraussetzung für eine rein privatwirtschaftliche Berechnungsweise, wie dies die Notierung an der Börse verlangen würde.

Die Deutsche Bahn gilt hierzulande als eines der unbeliebtesten Unternehmen. Wie ist es in der Schweiz?

Auch die SBB wird kritisiert. Seit Mitte der neunziger Jahre funktioniert sie aber. Damit hat sich auch ihr Image stark verbessert. Doch auch bei uns kommt mal ein Zug zu spät oder eine Toilette geht kaputt. Wir leisten uns ein teures und dichtes Bahnsystem, der Steuerzahler und der Kunde sind bereit, dafür zu bezahlen. Der Unterschied zur Bundesrepublik ist auch, dass selbst rechtsbürgerliche Politiker begreifen, dass eine gute Erschließung mit öffentlichem Verkehr Staus vermeidet und ein internationaler Standortfaktor ist. Auto und Flugzeug sind wichtig, die Zukunft gehört aber Bahn und Bus.

Offenbar sind Ihre Parlamentarier leidenschaftliche Zugfahrer.

In den neunziger Jahren hat sich dieSchweiz entschieden, die Bahn massiv auszubauen, um den Verkehr auf die Schiene zu verlagern. Das bedeutet Investitionen von 15 Milliarden Euro allein in die Neue Eisenbahn-Alpentransversale, etwa für den Lötschberg- oder den 57 Kilometer langen Gotthard-Basistunnel. Wir müssen angesichts dieser Summen darauf achten, dass wir die Erwartung von Politik und Kunden rechtfertigen. Ein Winterdesaster wie in Deutschland können wir uns nicht leisten. Glücklicherweise ist die Schweiz ein bahn-affines Land, wir haben eine breite politische Unterstützung.

In Deutschland sind auch zahlreiche Neubauten geplant, es fehlt aber das Geld.

Wir haben einen Fonds für Eisenbahn-Infrastrukturinvestitionen gegründet. Er wird gespeist aus einer substanziellen Lkw-Maut, Treibstoffzollgeldern und ganz wenig Mehrwertsteuer. Deshalb mussten wir beschlossene Vorhaben nie wegen Geldmangels in der Bauausführung verlangsamen. Wir sind unabhängiger von Haushaltsentscheidungen.

Sie spielen an auf den Ausbau der Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel, einer der am stärksten befahrenen Zugstrecken Europas, der auf deutscher Seite stockt.

Diese Zufahrt ist für die Alpenquerung, in die wir viel investieren, immens wichtig. Aus unserer Sicht ist sie der limitierende Faktor. Auch die Deutschen würden sich einen Gefallen tun, wenn sie die Strecke rasch ausbauen würden. Immerhin gibt es einen gültigen Vertrag dazu.

Was würden Sie der Deutschen Bahn empfehlen, damit es nicht wieder zu einem Winterdesaster kommt?

Gar nichts, ich glaube, Bahn-Chef Rüdiger Grube macht einen guten Job. Der Politik würde ich aber raten, die Finanzierung für langfristige Investitionen auch langfristig zu sichern. Wenn man wirklich den Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagern will, muss man den Aussagen Taten folgen lassen. Und etwa die Lkw-Maut deutlich heraufsetzen. Die Probleme der Deutschen Bahn sind nicht nur durch das Management verursacht. Die Privatisierung war nicht nur die Idee von Herrn Mehdorn allein, sie war auch eine politische Idee.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false