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Wirtschaft: Versicherer lüften das Geheimnis ihrer stillen Reserven

Nun ist die Katze aus dem Sack: Die stillen Reserven der Versicherungen, ein lange sorgfältig gehütetes Geheimnis, werden nach und nach bekanntgegeben - der Gesetzgeber zwingt die Unternehmen dazu.Aber was sagen diese "Bewertungsreserven", wie sie nach der Veröffentlichung meist genannt werden, eigentlich aus?

Nun ist die Katze aus dem Sack: Die stillen Reserven der Versicherungen, ein lange sorgfältig gehütetes Geheimnis, werden nach und nach bekanntgegeben - der Gesetzgeber zwingt die Unternehmen dazu.Aber was sagen diese "Bewertungsreserven", wie sie nach der Veröffentlichung meist genannt werden, eigentlich aus?

Darüber sind sich die Versicherungsvorstände selbst nicht einig.Als Meinungstrend läßt sich feststellen: Wer reichlich Reserven hat, hält sie für wichtig, wer geringe hat, hält sie für wenig aussagekräftig.

Was ist überhaupt eine stille Reserve? Wer gewohnt ist, sich mit Unternehmens-Bilanzen zu beschäftigen, kennt diesen Begriff.Es handelt sich um Gewinne, die in der Bilanz nicht gezeigt werden können, weil dem entsprechende Vorschriften entgegenstehen.Grundlage ist das deutsche, sehr vorsichtige Bilanzrecht.Ein Beispiel: Wenn eine Versicherung Aktien zu 100 DM pro Stück kauft, dann werden sie auch dann (aus "Vorsichtsgründen") mit 100 DM in der Bilanz bewertet, wenn der Kurs inzwischen auf 200 DM gestiegen ist.Die 100 DM Kursgewinn pro Stück - bei einem großen Aktienpaket kann das eine gewaltige Summe ausmachen - bleiben ein verstecktes Polster.In diesem Jahr müssen die Versicherungen nach EU-Recht erstmals Angaben darüber machen.

Am wichtigsten dürften die Reserven bei Lebensversicherungen sein.Denn dort können sie einen Hinweis darauf geben, ob eine Gesellschaft in der Lage sein wird, die in Aussicht gestellte Rendite tatsächlich zu erwirtschaften.Dies ist gerade zur Zeit ein heikler Punkt.Denn die meisten Lebensversicherungen versprechen noch rund sieben Prozent Rendite (nach Abzug der Kosten), obwohl der Kapitalmarkt nur noch etwa fünf Prozent hergibt.Zum Teil besitzen die Versicherer von früher noch höher verzinste Forderungen oder Papiere.Sonst müssen sie die Differenz durch geschickte Geldanlage, zum Beispiel auch mit Aktien, verdienen.

Je höher die Reserven eines Versicherers sind, desto weniger Geschick muß er haben, um dieses Ziel zu erreichen - es ist noch etwas da, was zugefüttert werden kann.Das heißt aber nicht, daß Versicherer mit niedrigen Reserven unsolide gewirtschaftet hätten.Sie haben vielleicht weniger in Aktien investiert - was bei einem Börsencrash sogar ein Vorteil wäre; oder sie haben rascher stille Reserven aufgelöst und an ihre Kunden ausgeschüttet - was von Kritikern der Branche oft gefordert wird.Die niedrigen Zinsen bereiten der Branche schon leise Kopfschmerzen.Wenn sich der Trend nicht ändert, könnte daher 1999 die garantierte Mindestverzinsung von derzeit vier Prozent herabgesetzt werden.Eine wichtige Rolle spielte die Kapitalanlage auch bei den Krankenversicherungen, weil damit ein Polster fürs Alter aufgebaut wird.Weniger entscheidend dürfte sie aus Kundensicht bei den meisten Sachversicherungen sein.

Das absolute Volumen der Reserven, mag es auch in Einzelfällen sehr eindrucksvoll sein - etwa bei der Allianz Lebensversicherung mit fast 100 Mrd.DM, sagt nach einhelliger Meinung wenig aus.Mehr dagegen der Prozentsatz.In der Regel werden die Reserven in Prozent des Buchwerts der gesamten Kapitalanlagen angegeben.Vorgeschrieben ist die Angabe bisher nur für die Wertpapiere, die meisten Gesellschaften nennen aber auch die Reserven in den Immobilien.Bei Wertpapieren errechnet sich die Reserve als Differenz des Börsenkurses zum Buchwert (wie eingangs erläutert), bei den Immobilien wird der aktuelle Wert nach den Miet-Erträgen abgeschätzt.

Der Löwenanteil der Polster fällt, wie sich bisher zeigt, meist auf die Aktien, weil deren Kurse so enorm gestiegen sind.Gegenüber den Werten in der Tabelle per Ende 1997 dürften die Reserven mit dem weiteren Höhenflug der Börse inzwischen noch größer geworden sein.Die Angaben müssen aber mit Vorsicht gelesen werden.Zum einen zeigen sie nur einen Teil der tatsächlichen Reserven.Denn Versicherungen legen ihr Geld (beziehungsweise das ihrer Kunden) ja auch in Schuldscheindarlehen oder durch die Herausgabe von Krediten an.Darin können auch erhebliche Reserven stecken, wenn sie mit hohen Zinssätzen ausgestattet sind.Weil diese Vermögenswerte nicht gehandelt werden, gibt es aber keine Angabe über diese Reserven - sie müßten fiktiv abgeschätzt werden.

Reserven können auch gar nicht flüssig zu machen sein - etwa weil sie in strategisch wichtigen Beteiligungen der Versicherung oder selbst genutzten Immobilien stecken.Zusätzlich ist zu beachten, daß vor allem die Aktienreserven sehr stark mit dem Auf und Ab der Börse schwanken.Die Versicherer argumentieren ja daher auch, daß sie sie benötigen, um die Börsenschwankungen abzufedern.Und schließlich darf nicht übersehen werden, daß es noch andere Puffer gibt - die Hannoversche Leben weist zum Beispiel auf die Bedeutung der freien und nicht verplanten Rückstellung für Beitragsrückerstattung hin.

Fazit: Hohe Reserven haben als Sicherheitspolster einen gewissen Wert.Andere Kriterien, etwa die Nettorendite der Kapitalanlagen, sind aber mindestens ebenso wichtig.Außerdem könnte eine Börsenflaute die Polster ganz schnell wieder abschmelzen lassen.Die Reserven sind also nur einer von vielen Mosaiksteinen bei der Einschätzung einer Lebensversicherung.Erschwerend für eine Beurteilung kommt hinzu, daß sich Nettorendite und Polster gegenseitig beeinflussen: Wenn eine Gesellschaft ihre Reserven realisiert, also hoch bewertete Papiere verkauft, dann verschwinden Reserven.

Ein Indiz geben hohe Reserven am ehesten jenen Kunden, die mit einem Einmalbeitrag eine Rente kaufen: Sie können sich sozusagen ein Stück von einem fetten Kuchen sichern.Bei Verträgen mit laufenden Beiträgen ist hingegen kaum absehbar, wie sich die Reserveposition während der Laufzeit verändern wird.

FRANK WIEBE (HB)

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